Neueste Forschungsergebnisse
2020 bekam die Forschung neuen Anschub: Dank neuer technischer Methoden, die Menhardt noch nicht zur Verfügung standen, können heute die Texte des Palimpsests deutlicher gelesen werden.
Der Historiker Prof. Dr. Eckhard Wirbelauer von der Universität Straßburg beschäftigte sich intensiv mit der Pergamenthandschrift, unterstützt vom Theologen Dr. Matthias Simperl von der Universität Augsburg.
UV-Licht-Aufnahmen und Multispektralanalysen wurden im Digitalisierungszentrum der Universitätsbibliothek Graz angefertigt. So konnte auch der darunterliegende Text des Palimpsestes endlich zur Gänze sichtbar und lesbar gemachen werden.
Die Texte aus dem 10. Jh. konnten die beiden Forscher nun genau identifizieren: Es sind Kommentare des Kirchenlehrers Hieronymus (348/349-420) zu den alttestamentarischen Büchern des Zacharias und des Ezechiel sowie ein Fragment des Smaragd von Saint-Mihiel (760-840), eines benediktinischen Gelehrten am Hofe Karls des Großen.
Die Forscher konnten zwei verschiedene spätantike Schriften ausmachen: einen noch gänzlich unbekannten Kommentar zum Matthäus-Evangelium in Halbunzialen und unziale Passagen aus der Legende des römischen Bischofs Silvester, beide in einer auffallend orange-roten Tinte geschrieben, die so ungewöhnlich ist, dass eine ort- und zeitgleiche Entstehung naheliegt.
In der Spätantike, als das römische Reich zerfallen war und in Rom Ostgotenkönig Theoderich (454-526) herrschte, entstand die Legende über den Heiligen Silvester (*vor 300- 335, Papst ab 314): Er soll den kranken Kaiser Konstantin getauft und vom Aussatz geheilt haben.
Im Vergleich mit anderen historischen Beständen ist klar geworden: Beim vorliegenden Text des Palimpsestes über den Heiligen Silvester handelt es sich die älteste erhaltene Heiligenlegende in Österreich.
Die Handschrift entstand vielleicht direkt in der Stadt Rom, aber eher noch in einem klösterlichen Schriftzentrum weiter südlich. Gut möglich wäre das Castellum Lucullanum bei Neapel als Entstehungsort. Auf der zerstörten Festung gründete Eugippius (ca. 460-533), der Biograph des Heiligen Severin von Noricum, ein Kloster.
Zudem ergab sich eine neue These: Möglicherweise wurde das Pergament sogar von österreichischen Mönchen geschrieben, die nach Süditalien gezogen waren.
Die Geschichte der dreizehn Palimpsest-Fragmente ist also nach 1500 Jahren noch immer nicht fertiggeschrieben!
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