Die Handschriften des Benediktinerstiftes Millstatt
Das Benediktinerstift Millstatt war im Mittelalter die bedeutendste Kulturstätte in Oberkärnten. Es wurde vor 1088 gegründet und stand von den Anfängen bis zu seiner Übernahme durch die St. Georgs-Ordensritter (1469) unter starkem Einfluss der Diözese Salzburg. Sein Bücherbestand zu dieser Zeit wird auf 250-300 Bände geschätzt. Neunzig davon befinden sich heute in der UB Klagenfurt.
Ein Forschungsprojekt setzt sich zum Ziel, die zerstreuten Corpora zu sichern und die Texte zu identifizieren, um durch die Rekonstruktion der Bibliothek den benediktinischen Wissenshorizont und seine Bildungskultur in Kärnten zu beschreiben.
Millstätter Handschrift
Universitätsbibliothek Klagenfurt, Faksimileausgabe: Signatur I FA 136251.
Das Original liegt als Sammelhandschrift 6/19 des Geschichtsvereins für Kärnten im Kärntner Landesarchiv.
Zeit: 1050-1170
Umfang: 167 Blätter
Beschreibstoff: Pergament
Die Handschrift gehört zu den interessantesten Schöpfungen der frühmittelhochdeutschen Zeit. Sie ist die wichtigste Handschrift aus dem Millstätter Kloster und trägt daher dezidiert auch dessen Namen.
Sie enthält 8 verschieden Dichtungen mit insgesamt 119 fein kolorierten Federzeichnungen in roter, blauer und brauner Farbe:
Die Millstätter Genesis, den Physiologus in Reimform, den Millstätter Exodus, die Texte Vom Rechte und Die Hochzeit, die Millstätter Sündenklage, das Millstätter Paternoster, eine Auslegung des Vaterunsers und die verstümmelten Anfangsverse des Himmlischen Jerusalem.

Exponat 9_1 Millstätter Genesis Erschaffung der Eva | Foto: Bem
Adam benennt alle Tiere mit Namen.

Exponat 9_1 Millstätter Genesis Gott | Foto: Bem
Die Erschaffung der Eva.
Fotos aus dem Original, zur Verfügung gestellt durch das Kärntner Landesarchiv.
Theologisch-didaktische Sammelhandschrift PA 109
Universitätsbibliothek Klagenfurt: Signatur PA 109
Zeit: 9.-15. Jh.
Umfang: 216 Blätter; gebunden im 15. Jh.
Beschreibstoff: Papier und Pergament
Herkunft: mittelbairisch
13 verschiedene Texte, unter anderen eine Expositio über De disciplina scolarium, eine stark verbreitete, im 13. Jahrhundert entstandene Schrift, deren Verfasser sich als Boethius ausgibt. Es handelt vom Unterrichtsbetrieb, den Pflichten der Schüler oder Studenten und den Umgang der Lehrer mit ihnen. Erst im 15. Jahrhundert erkannte der Humanist Alexander Hegius den Text als Fälschung.
Signaturenschild auf dem Vorderdeckel:
Super Boetium de disciplina scolarium…
Textbeispiel:
weitere Besonderheiten:
Palimpsest: vermutlich 9. Jh., Text noch erkennbar, aber nicht leserlich
Pergamentfalzstreifen mit Neumen
Federzeichnung eines Kopfes (Engel, Frau oder Jüngling) im Stil der Millstätter Genesis auf Blatt 190:
auf Blatt 206v ein mittelhochdeutscher Wurmsegen:
eine Beschwörungsformel zur Austreibung des „Wurms“, ein Synonym für einen Krankheitsdämon
[I]ob lage in dem miste. er rieph zů dem heyligen christe.
er sprach so wol dir heiligir christ. daz tů in dem himmele bist. /
[d]ů gebůze herre disem menische. N. der wrme durch die iobs
pete. die er zů dir tet. dv er zů dir sprach. dv er /
[in] dem miste lach. Dů růffte iob in dem miste. dů uil heiliger
christ. herre die wurme sind tot. si sint in dem namen /
[di]ner eren tot. Amen
Breviarium cum Calendario
Universitätsbibliothek Klagenfurt: Signatur PE 38
Zeit: 1165
Umfang: 239 Blätter
Beschreibstoff: Pergament
Die Texte eines Breviers sind im Vergleich zu jenen, die beim feierlichen gemeinsamen Chorgebet der Klöster gebetet wurden, deutlich kürzer. Daher benutzten früher nur diejenigen Kleriker ein Brevier, die nicht am gemeinsamen Chorgebet teilnehmen konnten.
Textseite:
Wie jedes Brevier enthält auch diese Sammlung von Stundengebeten einen Kalender; die Ostertafel des vorliegenden reicht für die auf 1165 folgenden Jahre bis 1235. Damit ist die Datierung der Handschrift gesichert.
Kalenderseite:
Buchschmuck: rote kalligraphische Initialen, verschlungenes Blatt- und Rankenwerk, von Querbändern durchzogen, rot und schwarz mit Feder gezeichnet
Blatt 46r: typisch romanische Spaltleisteninitiale Q mit Knollenblätter- u. Kelchblütenranken im Binnenfeld: die Cauda wird durch eine Drachen-Figur gebildet, die durch eine Spange mit dem Buchstabenkörper verbunden ist, der Schwanz läuft zu einer Knollenblätterranke aus.
Vocabularium Ex quo
Lateinisch-deutsche Grammatik und Vokabelsammlung.
Universitätsbibliothek Klagenfurt: Signatur PA 78
Zeit: um 1437 bzw. 1443.
Umfang: 335 Blätter
Beschreibstoff: Papier
Herkunft: Böhmisch
Der Vocabularius Ex quo ist benannt nach den ersten Worten der Vorrede. Er entstand auf der Basis der großen lateinischen Enzyklopädien und war gedacht als praktisches und bezahlbares Hilfsmittel zum Verständnis der Bibel und auch anderer lateinischer Texte für Benutzer mit elementaren Lateinkenntnissen, denen die großen lateinischen Sprachenzyklopädien zu schwierig und zudem unerschwinglich waren.
Das Wörterbuch bietet in knapper Form Grundinformationen: grammatische Angaben zu den alphabetisch angeordneten Stichwörtern, eine lateinische Begriffserklärung sowie ein deutsches Äquivalent.
Der um 1410 im Niederdeutschen entstandene Vocabularius Ex quo hatte einen enormen Erfolg; er ist in über 280 handschriftlichen Zeugnissen erhalten, deren Verbreitung über das gesamte deutsche Sprachgebiet reicht, und hat mit 37 Inkunabeln auch Eingang in die Druckerzeit gefunden. [zit. nach Deutsches Wörterbuch nach Jacob und Wilhelm Grimm]
Textseite:
Blatt 78r:
Figureninitiale G, gebildet aus einer gelben, hornförmigen Reuse, in der ein grauer Fisch verschwindet und einem Knabe an der Spitze des Horns, im Hintergrund quadratisches Feld mit grünem Flechtwerk, darüber eine unkolorierte Kontur einer Blattranke.
Vocabularium Ex quo
Universitätsbibliothek Klagenfurt: Signatur PA 16
Zeit: 15. Jh.
Umfang: 381 Blätter
Beschreibstoff: Papier
Zeitgenössischer, roter Ledereinband.
Textseite mit Initiale aus PA 16, 78 recto:
im Vorderdeckel innen ein Teigdruck: braun, 8,1 x 5,2 cm, stark beschädigt
Der Teigdruck ist eine Form des Prägedruck aus den mittelalterlichen Goldschmiedewerkstätten des späten 15. und des frühen 16. Jahrhunderts, bei dem man eine geschnittene Metallplatte mit einer reliefartigen Darstellung wie einen Stempel in eine als Brei auf Papier gestrichene Teigmasse drückte. Die Oberfläche des Teiges wurde mit Eiweiß oder gar Blattgold überzogen, in dem das Relief dann besonders gut zur Geltung kam.
Nur etwa 200 Stück dieser spätmittelalterlichen Illustrationskunst sind erhalten. Die UB Klagenfurt besitzt noch zwei weitere Teigdrucke.
Darunter auf Papier ein Besitzereintrag:
„Von herr Erhartn Helfunperger das puechl in dy librey“
Digitalisat der PA 16: http://ubdocs.uni-klu.ac.at/open/voll/handschriften/AC05887658.pdf.
Moraltheologisch-katechetische Sammelhandschrift
Universitätsbibliothek Klagenfurt: Signatur PA 29
Zeit: 15. Jh.
Umfang: 329 Blätter
Beschreibstoff: Papier
Textseite:
Mit Heinrich von Langenstein und Nikolaus von Dinkelsbühl sind Texte sehr prominenter Autoren vertreten. Eine Vielzahl von Glossen und weitere Auszeichnungskategorien, wie Nummerierungen, Überschriften, Notabene-Zeichen und Signakel zeigen, dass es sich um ein vielgenutztes Nachschlagewerk handelt.
Blatt 226r: Schreibervermerk Franciscus Engelhardi
Franciscur Engelhardi vicarius in Kellerberg 1445 feria quarta ante Kathenam Petri
[wohl Cahtedram Petri; 017.2.]
Theologische Sammelhandschrift
Universitätsbibliothek Klagenfurt: Signatur PA 30
Zeit: 15. Jh.
Umfang: 252 Blätter
Beschreibstoff: Papier
Herkunft: Bairisch
Das Compendium theologicae veritatis von Hugo Ripelin von Straßburg ist mit einem Vocabularium theologicum alphabeticum und einem Vocabularius Ex quo kombiniert.
Hugo Ripelinus verfasste um 1260/1268 das Compendium theologicae veritatis, einen Abriss der Theologie in 7 Büchern, gedacht für die theologische Praxis wie für den Studienbetrieb.
Das Handbuch enthält das gesamte theologische Wissen von der Gotteslehre bis zur Eschatologie. Es ist beeinflusst u.a. durch Augustinus, Pseudo-Dionysius Areopagita, Anselm von Canterbury, Petrus Lombardus, Hugo von St. Viktor, Bonaventura und anderen und war vielleicht sogar das im Spätmittelalter meistgelesene theologische Werk. Es existieren mehr als 1000 Handschriften und zahlreiche Drucke. [zit. nach Lexikon des Mittelalters]
Der Band aus dem Nachlass des Priesters Erhard Thanhauser wurde 1443 dem Kloster Millstatt vermacht und dort im Unterricht verwendet.
Die Griffelritzungen wurden erst später eingefügt

Blatt 64r: Initiale S
Das Forschnungsprojekt
Text: Während der Herrschaft der Jesuiten in Millstatt (1598-1773) wurden mehrfach größere Korpora an die Ordens-Residenz in Graz übergeben. Nach der Auflassung des Jesuitenklosters Millstatt gingen die verbliebenen Bestände an die 1775 gegründete Studienbibliothek Klagenfurt, die erste öffentliche Bibliothek in Kärnten und Vorgängerin der heutigen Universitätsbibliothek, und bildeten zusammen mit der Bibliothek des Klagenfurter Jesuitenkollegiums deren Grundstock. Nicht zuletzt auf Grund ungenauer Verzeichnisse ist der Verbleib zahlreicher Bände bis heute ungeklärt. Von den heute noch nachweisbaren Millstätter Handschriften ließen sich jedenfalls durch sorgfältige kodikologische Untersuchungen nur noch 90 Bände der benediktinischen Phase sicher zuordnen. Für 18 weitere Handschriften sind die Provenienzverhältnisse noch nicht hinreichend geklärt. Weitere Zuordnungen sind nicht ausgeschlossen.Das überlieferte Korpus zeigt, bei aller Fragmentarizität der Überlieferung, die typischen Charakteristika benediktinischen Geisteslebens. Neben den für den klösterlichen Tagesablauf erforderlichen liturgischen Büchern (Psalterien, Breviare, Lektionare, Heiligenlegenden und ein Missale) finden sich größere Bestände, die der in der Benediktinerregel vorgeschriebenen wissenschaftlichen Privatlektüre dienten. Hier finden sich sowohl Texte aus dem Bereich des Triviums (Grammatiken, Glossare, Poetiken, logische Schriften u.a.) als auch theologische (Kirchenväter), katechetische und exegetische Literatur.Das geplante Projekt dient der provenienziellen Sicherung und modernen kodikologischen Erschließung des benediktinischen Korpus. Viele teils prominente Texte können erst auf der Grundlage heutiger Datenbanken und Findemittel identifiziert bzw. sogar Autoren zugewiesen werden. Die erhobenen Daten zu den Handschriften aller heutigen Standorte werden dann zusammen mit den Handschriften-Digitalisaten (http://opac.uni-klu.ac.at ) in einer interaktiven Datenbank…
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