Dimitri Würschl | Foto: KK

„Wir brauchen keine Schulreform, wir brauchen eine Lehrerreform.“

Dimitri Würschl ging im Rahmen seiner Dissertation den verlorenen Spuren der Reformpädagogik in den österreichischen Regelschulen nach. Mit uns hat der ehemalige Lehrer und nunmehrige Zirkusdirektor über seine Erkenntnisse gesprochen.

In der Ersten Republik herrschte an Österreichs Schulen Aufbruchsstimmung: Reformpädagogische Konzepte von Otto Glöckl, Siegfried Bernfeld oder August Aichhorn kamen auf und fanden Eingang in Österreichs Schulen. „Blickt man heute in die Klassenzimmer vieler Regelschulen, ist nur noch wenig von diesen damals neuen Unterrichtsideen vorhanden“, erklärt uns Dimitri Würschl, der nach seiner Ausbildung zum NMS-Lehrer selbst fünf Jahre lang unterrichtete. Er hat nach dem Abschluss an der Pädagogischen Hochschule Kärnten das Masterstudium Schulpädagogik an der Universität Klagenfurt absolviert und gleich ein Doktoratsstudium drangehängt. Für seine Dissertation, die schon eingereicht ist und von Gerald Grimm begleitet und begutachtet wurde, ging er auf die Spuren dieses „reformpädagogischen Vergessens“. Den großen Einschnitt ortet Würschl historisch in der Machtübernahme von Engelbert Dollfuß, aber auch im darauf folgenden Nationalsozialismus. Nach 1945 habe man verabsäumt, „an die große Tradition der österreichischen Reformpädagogik anzuschließen. Und heute stehen wir wieder bei den Ziffernnoten in der Volksschule“, erklärt uns Dimitri Würschl.

Für seine Dissertation interessiert er sich dafür, wie es Lehrerinnen und Lehrern dennoch gelingt, auch in der Regelschulpraxis reformpädagogisch zu unterrichten. In Johanna Löwenzahn, einer Volksschullehrerin, hat er beispielsweise so eine begeisterte Reformpädagogin gefunden, die ihn an ihren zahlreichen Erfahrungen teilhaben ließ. Mit ihr führte er ero-epische Gespräche (nach Girtler), wobei der Soziologe und Kulturanthropologe Roland Girtler auch als Zweitbetreuer für die Dissertation von Dimitri Würschl fungiert. Bei Würschls Analysen steht im Vordergrund: „Mich interessiert das praktische Kleine. Welche Möglichkeiten habe ich als engagierter Pädagoge, reformpädagogische Ideen heute hier und jetzt in der Klasse gemeinsam mit den Kindern umzusetzen?“

Seine Ergebnisse sind für engagierte Lehrerinnen und Lehrer durchaus Mut machend, denn: „Der österreichischer Lehrplan liest sich wie ein reformpädagogisches Konstrukt. Er gibt eine Richtung vor, die heute viele Lehrerinnen und Lehrer nicht erfüllen.“ Daraus schließt Würschl: „Die Politik strebt immer wieder nach den großen Bildungsreformen. Ich glaube aber, dass wir keine Schulreform, sondern eine Lehrerreform brauchen würden.“ Viel läge im Gestaltungsspielraum der Lehrkräfte, denen Würschl vor allem mitgeben möchte: „Nicht jammern! Fangen Sie heute damit an, mit einem strahlenden Lächeln in die Schule zu gehen und das Kind als Individuum zu betrachten.“ Dimitri Würschl gesteht – auch angesichts seiner eigenen Erfahrung – durchaus ein, dass der Lehrerberuf einer der schwierigsten der Gegenwart sei und es viel Aufwand bedürfe, lehrplangerecht reformpädagogisch zu unterrichten. Hinzu kämen die Herausforderungen, die viele junge  Menschen heute in ihrem Aufwachsen erfahren und die oft auch dafür verantwortlich sind, dass diese erst in der Schule erstmals Struktur erleben. Wer als Lehrerin oder Lehrer hart arbeitet, würde aber auch belohnt: „Die Erfolge der Reformpädagogik sind ja wissenschaftlich eindeutig belegt.“

Dimitri Würschl selbst genoss die Arbeit mit den Kindern sehr, „wollte aber irgendwann nicht mehr in so einem Konferenzzimmer sitzen“. Er hat also aufgehört, als Lehrer zu arbeiten, und geht nun seiner zweiten großen Leidenschaft nach. Der heute 30-Jährige hat als „Selfmade-Man“, wie er sich selbst bezeichnet, einen nostalgischen Zirkus gegründet, den er zum „schönsten Zirkus“ ausbauen möchte. Der Circus Dimitri erfreut sich regen Zulaufs, geht auf Tournee durch Österreich und die benachbarten Länder, kann aber auch für Veranstaltungen gebucht werden. Wir fragen den Zirkusdirektor zum Schluss nach seinen beruflichen Perspektiven und ob er vom selbstgegründeten Zirkus auch leben kann und erfahren von ihm, verschmitzt lächelnd: „Ja, das ist mein größtes Zauberkunststück.“

Auf ein paar Worte mit … Dimitri Würschl

Was ist schön an Wissenschaft?
Ihre Freiheit.

Und was nicht?
Dass sie häufig viel zu kompliziert dargestellt wird.

Was bringt Sie in Rage?
Fremdenfeindlichkeit, Egoismus und Unhöflichkeit.

Und was beruhigt Sie?
Ein Schaumbad mit Eukalyptus.

Wer ist für Sie der „größte“ Pädagoge oder die „größte“ Pädagogin der Geschichte und warum?
Alle, die mit Herzblut unterrichten, Kindern und Jugendlichen mit Sonnenschein begegnen und ihre natürliche Neugierde und Begeisterung an der Welt fördern, sind für mich die größten Pädagoginnen und Pädagogen der Geschichte.

Warum fürchten sich viele vor der Schule?
Weil es noch immer Lehrerinnen und Lehrer im Stil „Gott Kupfers“ gibt, deren weltlicher Horizont durch die Schultafel, den Rotstift und durch das Prüfungsbuch begrenzt ist.

Wofür schämen Sie sich?
Über die obersten „pädagogischen“ Zuständigkeiten, die nichts dagegen unternehmen.

Wovor fürchten Sie sich?
Vor zu viel Digitalisierung.

Worauf freuen Sie sich?
Auf die strahlenden Kinderaugen bei meiner nächsten Zirkusshow. Manege frei!