Was uns Fotografien von der Pandemie erzählen: Artikel beleuchtet die Rolle der Bilder von leeren Plätzen

Wie besetzt man die physischen und gesellschaftlichen „leeren Plätze“ in Zeiten des Social Distancings? Anna Schober, Professorin für Visuelle Kultur an der Universität Klagenfurt, hat sich in zwei ihrer jüngsten Artikel mit politischem Protest und Solidarität unter Fremden beschäftigt, und dafür Fotografien aus der Zeit der Pandemie als Untersuchungs- und Dokumentationsmaterial herangezogen.

Nur die Tauben bevölkern die Las Ramblas in Barcelona, während sich in Bergamo die Rettungskräfte um einen Einsatzwagen drängen: Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie im März 2020 brachte Bilder hervor, die bis dahin rein dystopisch waren. Im Frühjahr 2020 veröffentlichten fast alle großen Zeitungen Fotoserien von weitgehend oder sogar vollständig entvölkerten Stadtgebieten. In einer Phase, in der man einander nicht physisch begegnen durfte, der Bedarf an Diskussion und Austausch aber groß und drängend war, erfüllten Kunst, Kultur und insbesondere fotografische Praktiken eine wichtig Rolle: Sie dokumentierten Selbstinszenierung und gesellschaftliche Dynamiken und machten politische Positionierungen und Solidarität öffentlich präsent.

„Nehmen wir als Beispiel die Masken. Da drängen sich beim EU-Ratstreffen die Staatspräsidenten maskiert beim Krisengespräch, während die Demonstranten die Maske parodistisch über die Augen ziehen. Das Pflegepersonal in den Intensivstationen erscheint uns hingegen stark durch Schutzkleidung verhüllt, fast gesichtslos. Die Maske wird zum Symbol der medizinischen Nöte der Pandemie, und an der Art und Weise wie sie verwendet wird, zeigt sich   die Polarisierung in den politischen Diskursen“, erläutert Anna Schober. Ihre Analyse zeigt, dass Aktivist:innen in einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Interpretationshochheit in Zeiten der Unsicherheit stehen – und dabei ihre theatralischen Inszenierungen in Fotografien festhalten. Dabei wurde die Art und Weise, wie andere vorgingen, oft zum Modell für eigenes Handeln. In Zeiten der Pandemie ist ein Mimetismus der Praktiken wie auch des Bilder-Machens feststellbar.

Davon wollten sich manche Bilderpraktiker:innen jedoch explizit abheben, indem sie Fotografien als Medien einsetzen, um das Gemeinschaftsgefühl zu vertiefen. Beispielhaft führt Anna Schober dafür den italienischen Fotografen Fabio Bucciarelli an, der in seinen Bildern nicht nur leere Räume und maskierte Menschen in den Fokus rückt, sondern vor allem die emotionalen Aspekte der von der Pandemie betroffenen Personen in ihren Beziehungsgeflechten thematisiert. Die Fotografien dienen als ästhetisch-narrative Medien, um über das Hier und Jetzt hinaus ein wechselseitiges Aufeinanderangewiesen-Sein sowie eine Unverfügbarkeit des Lebens wahrnehmbar zu machen und so Solidarität und Empathie inmitten von komplexen gesellschaftlichen Dynamiken zu fördern. (siehe Bildbeispiele dazu unter https://www.fabiobucciarelli.com/tag/covid19/)

Anna Schober (2023). Occupying Empty Places: Political Protest and Solidarity Among Strangers in Times of Social Distancing. In: Sandra Križić Roban and Ana Šverko, eds.: Watching, Waiting. The Photographic Representation of Empty Places. Leuven University Press, 87-113.

Anna Schober (2023). Fotografie als Akt der Solidarität unter Fremden: Die Covid-19-Serien von Fabio Bucciarelli. In:  Claudia Hattendorff, Simone Abendschön, Ansgar Schnurr und Nicole Zillien (eds.), Bilder der Pandemie. Interdisziplinäre Perspektiven auf die Visualisierung einer unsichtbaren Gefahr, Frankfurt/ Main und New York: Campus Verlag 2023, 43-57.