Primus-Heinz Kucher | Foto: aau/Maurer

Kulturmetropole Wien in der Zwischenkriegszeit: Rund 300 Portraits fast vergessener Stars in Online-Lexikon

Zwanzig Jahre liegen zwischen 1918 und 1938: Für Wien, das plötzlich nicht mehr Hauptstadt eines Kaiserreichs war, aber im Zentrum Europas ein Anziehungspunkt für Intellektuelle blieb, war diese Zeit trotz einschneidender politisch-sozialer Krisen kulturell und künstlerisch spektakulär und fruchtbar. In Kunst, Tanz, Literatur, Journalismus und Theater war man mit Berlin in einem beflügelnden Konkurrenzverhältnis und prägte so die zeitgenössische Moderne und Avantgarde entscheidend mit. Ein Team rund um Primus-Heinz Kucher möchte das Wirken der Protagonistinnen und Protagonisten dieser Zeit – gefördert vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF – erhalten. Aktuelle Ergebnisse sind die nunmehr dritte große Publikation sowie ein umfassendes Online-Lexikon.

„Es ist uns gelungen, die Eckpunkte der Moderne und Avantgarde in Österreich in den 1920er und 1930er Jahren in die literaturwissenschaftliche Betrachtung dieser Zeit fest einzuschreiben“, resümiert Primus-Heinz Kucher den entscheidenden Erfolg des FWF-Projekts „Transdisziplinäre Konstellationen in der österreichischen Zwischenkriegszeit“. Aus dem Projekt sind bisher drei (mitunter FWF-geförderte) Publikationen hervorgegangen, eine vierte Veröffentlichung (zum Großstadt-Diskurs, gemeinsam mit Martin Erian) ist für den Spätherbst 2019 vorgesehen.

Ein weiterer wichtiger, innovativer Teil der Projektarbeit findet sich im Online-Lexikon unter https://litkult1920er.aau.at/lexikon/. Die Germanistinnen und Germanisten haben in Summe bereits bald 500 Einträge erstellt, die derzeit knapp 300 Biographien umfassen. Kucher erklärt dazu: „Viele dieser Menschen sind heute nicht mehr bekannt. Wir wollen aber anhand der Geschichten dieser zum Teil wichtigen Player in der Zwischenkriegszeit ein Bild dieser kulturell reichen Zeit zeigen, in der Akteurinnen und Akteure ein gedeihliches Milieu für Kunst und Kultur vorfanden. Wien war nicht nur in der Literatur bedeutend: Künstlerischer Ausdruckstanz, innovatives Theater (z. B. Revue-Operetten, Mitwirkung am Piscator-Konzept), neue journalistische Formate, experimentelle künstlerische Tendenzen wie Aktivismus und Kinetismus wurden hier exploriert und entwickelt.“

Der kulturelle Reichtum dieser Zeit wurde durch zwei Rezeptionsbrüche gedämpft: „Den ersten gab es 1934 mit dem Beginn des Austrofaschismus. Viele sind bereits damals nach London, Paris oder Moskau emigriert. Der zweite Bruch erfolgte 1938 mit dem Anschluss und dem Exodus dieser vielfach auch jüdischen Protagonistinnen und Protagonisten. 1945 versäumte man es, diese zurückzuholen. Die Wenigen, die zurückkehrten, waren oft generationsmäßig am Ende ihrer Möglichkeiten. So besetzte nach 1945 vielerorts der kulturell-intellektuelle Durchschnitt das große Erbe.“

Die Projektergebnisse versuchen Sternstunden dieser Zeit auf vielerlei Arten nachzuerzählen: Vom Raimundtheater, das damals die experimentellste und eine der innovativsten Bühnen Wiens war, in der mitunter auch kühn bekleidet getanzt wurde, bis hin zur Universal-Edition, die bis heute ein dominanter Musikverlag in Europa ist, und der in den 1920er Jahren die Rechte für die Werke von rund 400 russischen Komponisten besaß, die vielfachen Interessenslagen für Amerika wie auch Russland: die Geschichten scheinen nicht fertig erzählbar. „Wir arbeiten open-end“, blickt Primus-Heinz Kucher nach dem aktuellen Projektabschluss in die Zukunft. In einem abschließenden Schritt wird allerdings noch ein digitales Textarchiv aufgebaut, begleitet von einer Printausgabe, welche programmatische und Manifest-artige Dokumente versammeln und zugänglich machen wird.

Aktuelle Publikation: Kucher, Primus-Heinz & Unterberger, Rebecca (Hrsg.) (2019). Der lange Schatten des ‚Roten Oktober‘: Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918-1938. Berlin: Peter Lang Verlag. Open-Access unter https://www.oapen.org/search?identifier=1005025.

In Vorbereitung zum Druck: Martin Erian, Primus-Heinz Kucher (Hrsg. 2019). Exploration urbaner Räume – Wien 1918-1938. (Alltags)kulturelle, künstlerische und literarische Vermessungen der Stadt in der Zwischenkriegszeit. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht-unipress.

Germanistik studieren in Klagenfurt

Fünf literatur- und sprachwissenschaftliche Studien bietet die Klagenfurter Germanistik. „Germanistik” fassen wir weit: Als Sprach- und Literaturwissenschaft setzt sie sich auseinander mit Sprache (schriftliche und mündliche Kommunikation) und literarischen Texten in historischer (Sprach- und Literaturgeschichte) und struktureller (Textlinguistik, Varietäten, DaF/DaZ, Literaturkritik, Medialisierung) Perspektive. In den Studien vermitteln wir vielfältig einsetzbare Schlüsselqualifikationen, u. a.: Literaturwissen, Textkompetenz, Medienpraxis, Projektplanung und -umsetzung, Präsentationstechniken und Performance, Informationsmanagement, Kommunikationsfähigkeit, Analyse- und Kritikfähigkeit, Kreativität, Teamorientierung, interkulturelle Kompetenz, didaktisches Know-how.

Als einziges germanistisches Institut in Österreich bieten wir ein Doppeldiplomstudium (gemeinsam mit der Universität Udine) an, bei dem jeweils ein Studienjahr in Klagenfurt und eines in Udine zu absolvieren ist. Außerdem können Studierende das das Schwerpunktfach Angewandte Germanistik (Literatur, Medien, Verlagswesen) belegen.

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