„Frauenfußball-WM als Kontrapunkt zu den Enttäuschungen von Qatar“

Am 20. Juli erfolgt der Ankick zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. Für Jörg-Uwe Nieland, Experte für Sportkommunikation und -journalismus, ergibt sich dabei die Chance auf ein völlig neues Phänomen: „Nach den Enttäuschungen in Qatar könnte es in einigen Ländern erstmals mehr öffentliches und mediales Interesse an einer Frauenfußball-WM geben als beim männlichen Pendant.“

„Frauenfußball steht für die Sichtbarkeit und Emanzipation von Frauen im Sport, aber auch darüber hinaus“, führt Jörg-Uwe Nieland aus, der am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt forscht und lehrt. Im Gegensatz zu den Männern, die zuletzt in Qatar eher durch ein Übermaß an gesellschaftspolitischer Zurückhaltung aufgefallen seien, würden Fußballerinnen sich häufiger politisch äußern und mit ihrem Einsatz für Equal Pay eine wichtige Diskussion angestoßen haben. Sie proklamieren die Anerkennung als Sportlerinnen und treten für Diversität ein. „Die Fußballerinnen werden so zu wichtigen Role Models, die zunehmend auch von Sponsoren wahrgenommen werden. Damit steigt auch das Potenzial für ihre Vermarktung deutlich an“, so Jörg-Uwe Nieland.

Gefragt danach, ob das Publikum bei Frauenfußballveranstaltungen ein anderes sei als bei den Männern, erklärt er: „Ja, wir sehen in den Stadien mehr Frauen und Kinder. Aber auch das Publikum bei Männer-Sportgroßereignissen verändert sich: Dort ist der Zuspruch des weiblichen und jungen Publikums größer geworden. Befunde zeigen uns, dass die Stimmung anders ist. Tendenziell ist sie bei solchen Veranstaltungen weniger gewalttätig, weniger aufgeladen und auch weniger rassistisch.“

Die Berichterstattung zu Frauenfußball habe in den letzten Jahrzehnten immer mehr Raum gewonnen, in Deutschland und Österreich hervorgerufen durch herausragende sportliche Erfolge der Frauennationalmannschaften. „Die Sommerpause, in der es meist weniger Sportgroßereignisse und vor allem keine nationalen wie internationalen Fußballwettbewerbe gibt, unterstützt die mediale Präsenz natürlich noch einmal zusätzlich“, so Jörg-Uwe Nieland. Dass es sowohl unter den Fußballfans als auch unter den Sportjournalist:innen Personen gibt, die dem Frauenfußball skeptisch gegenüberstehen, sei unbestritten: „Ja, es gibt einen harten Kern von Männerfußballfans, die den Frauenfußball und die Übertragungen der Frauenfußballspiele ablehnen. Diese Gruppe wird aber immer kleiner.“

Dass der Sport oft Ausdruck für gesellschaftspolitische Debatten und damit einhergehende Veränderungen sei, habe sich bereits in der Vergangenheit gezeigt: „Beim Modernen Fünfkampf wurde die Disziplin Springreiten nach der öffentlichen Debatte über Tierquälerei nach den Olympischen Spielen in Paris 2024 furch einen (Parcours-)Hindernislauf ersetzt. Die Formel 1 sieht sich zunehmend in der Pflicht, sich ein grüneres Image zu verpassen und kämpft – wie viele andere Sportarten – mit mangelnder Diversität und latenten Rassismusvorwürfen. Auch die Einbindung von Inter-, Trans- und non-binären-Personen in das binäre System, das wir im Sport vorfinden, wird intensiv wie kontrovers diskutiert.“ Frauenfußball stünde hingegen für die Anerkennung von Vielfalt. Insofern sei der hohe Zuspruch und das große Interesse, trotz der für europäische Verhältnisse ungünstigen Ankickzeiten, für Jörg-Uwe Nieland als besonders bemerkenswert zu betrachten.