Wenn eine millimetergroße Schnecke Großprojekte zum Scheitern bringt

Die Bauchige Windelschnecke ist nur wenige Millimeter groß, könnte aber potenziell Großprojekte wie Flughäfen zum Scheitern bringen. Dies verdankt sie ihrem Status als „stark gefährdet“ in Österreich und in der Schweiz, sowie als „vom Aussterben bedroht“ in Bayern. An ihrem Beispiel untersuchten Forscherinnen und Forscher – gefördert vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank -, durch welche gesellschaftlichen und institutionellen Prozesse solche Qualifizierungen erfolgen und welche Schlussfolgerungen sich daraus für die Naturschutzarbeit ergeben.

Eigentlich ist für alle klar: Die biologische Vielfalt soll trotz der Ausbreitung des Menschen erhalten bleiben. Wenn es aber um die wirtschaftlichen und persönlichen Interessen des Einzelnen geht, ist dieser Grundsatz nicht mehr ganz so leicht haltbar. Zu diesem Ergebnis kamen Martina Ukowitz, Christina Pichler-Koban und Harald Goldmann in ihrem kürzlich abgeschlossenen Projekt zum „Vertigo-Effekt“. Die Erkenntnisse aus zwei Projektjahren liegen nun auch in Buchform vor.

„Naturschutzentscheidungen werden in inhaltlich komplexen und institutionell verflochtenen Konstellationen getroffen. Dabei kann es auch häufig hoch hergehen, gibt es doch unterschiedliche Interessen, Widersprüche und Wertekonflikte, die ausgehandelt werden müssen“, erklärt Projektleiterin Martina Ukowitz. Ihre Ausgangsfrage lautete: „Warum schaffte es unter den rund zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten ausgerechnet die winzige Schnecke Vertigo moulinsiana, Schutzstatus zu erlangen und Eingang in das Rechtssystem zu finden?“ Am Beispiel dieses kleinen Tiers, das im Europaschutzgebiet Lendspitz-Maiernigg in der Wörthersee-Ostbucht eine auffallend große, europaweit bedeutsame Population aufweist, ließ sich unter anderem zeigen: „Das wissenschaftlich Erfassbare hinkt der Natur immer hinterher.“ So sei es schwierig, Entscheidungen auf eine empirische Basis zu stellen, da, so fasst das Projektteam zusammen: „Die Systematik solcher Listen ist in stetem Wandel. Außerdem vermischen sich wissenschaftliche Fakten und Lobbying. Über die konkrete Verbreitung von Tieren weiß man häufig nicht gesichert Bescheid, spiegeln die Verbreitungskarten oft die Verbreitung der ExpertInnen, nicht unbedingt der Arten wider.“

Die Entscheidungsfindungsprozesse im Naturschutz würden dabei – so die Ergebnisse der ForscherInnen – stark „menscheln“: Soziale Dynamiken, Emotionen, Wertekonflikte prägen die Prozesse, wobei auch die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht immer leicht und eindeutig zu interpretieren sind. Hinzu kommt, so Ukowitz: „Oft wird am Beispiel eines Einzelfalls Grundsätzliches verhandelt. Stellvertreterkonflikte über geschützte Schnecken, Käfer und Ameisenhügel werden ausgetragen, wenn es doch eigentlich um größere Fragen wie den Ausgleich zwischen individuellen und potentiellen kollektiven Interessen geht.“ Das Forschungsteam betont angesichts dieser Erkenntnisse, dass unter anderem die Kompetenzen im Umgang mit wissenschaftlichem Wissen zu stärken wären. Darüber hinaus müssten die Prozesse strategisch weiterentwickelt werden. „Generell brauchen wir mehr Kommunikation zum Arten- und Naturschutz abseits von konkreten Fällen und einen stärkeren kritischen öffentlichen Diskurs“, fasst Martina Ukowitz zusammen.

Ukowitz, M. & Pichler-Koban, C. (2018) (Hrsg). Der Vertigo-Effekt. Institutionelle Dynamiken im Naturschutz. Marburg: Metropolis Verlag.