Norbert Wohlgemuth

Strompreis darf nicht verzerrt werden

Die Energiepreise steigen, und die Politik versucht mit Milliardenbeträgen der Situation Herr zu werden. Wir haben mit Norbert Wohlgemuth, Experte für Energieökonomik und Volkswirtschaftspolitik, über die aktuelle Preisentwicklung gesprochen. Sein Plädoyer: „Es ist sinnvoller, den Bedürftigen das Geld in Form eines direkten Einkommenstransfers zukommen zu lassen, damit sie sich Energie weiterhin leisten können, als beim Preismechanismus einzugreifen. Gedeckelte Preise bewirken weniger Anreiz, mit teurer gewordener Energie sparsamer umzugehen und erhöhen die Gefahr von Marktungleichgewichten.“

Warum wird mein Strom teurer, obwohl ich ihn von einem Kärntner Stromanbieter beziehe?

Es ist egal, ob Sie Elektrizität von einem Kärntner oder einem anderen Anbieter beziehen. Relevant sind die europäischen Großhandelspreise, weil auch die regionalen Anbieter ihren Strom zumindest teilweise und zeitweise am Markt einkaufen müssen. Wenn die Großhandelspreise steigen, werden diese an die Verbraucher weitergegeben, selbst wenn regionale Versorger teilweise zu deutlich niedrigeren Kosten produzieren können.

Am Elektrizitätsmarkt gilt das marktwirtschaftliche Prinzip, also das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Wenn die Nachfrage steigt, steigt der Preis, und wenn das Angebot zurückgeht, was wir gerade bei Erdgas feststellen müssen, bewirkt das auch ein Ansteigen des Strompreises, weil Erdgas in einem beträchtlichen Ausmaß zur Elektrizitätserzeugung eingesetzt wird.

Was wird dadurch idealerweise bewirkt?

Der Preis hat in einem marktwirtschaftlichen System eine wichtige Funktion: Er signalisiert die Knappheit von Gütern. Wenn etwas teuer ist, werden Sie sich gut überlegen, wieviel Sie von dem teurer gewordenen Gut konsumieren. Für Produzenten ist der Preis wichtig für sein optimales Angebot. Deshalb ist es wichtig, dass der Preis nicht verzerrt wird und es so zu einem Gleichgewicht, d.h. zu einer Situation, in der es weder Knappheit noch Überfluss gibt, kommt. Bei Elektrizität ist dieser Aspekt von zentraler Bedeutung, weil wegen der (größtenteils) Nichtspeicherbarkeit Angebot und Nachfrage zu jedem Zeitpunkt genau ausgeglichen sein müssen, damit es nicht zu einem Blackout kommt.

Beim Strompreis wirken aber noch zusätzliche Prinzipien.

Beim Strommarkt ist die Besonderheit die Merit Order. Man lässt zuerst die Kraftwerke laufen, die den Strom am billigsten, d.h. zu den geringsten Grenzkosten, erzeugen können, dann die jeweils Nächstteureren. Das letzte Kraftwerk, das gerade noch Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung bringt, bestimmt den Preis für den gesamten Markt (Pay-as-Clear-Modell). Das sind heute oft Gaskraftwerke. Die aktuell hohen Gaspreise treiben damit auch den Strompreis in bislang unbekannte Höhen. Das Merit-Order-Prinzip macht aber insgesamt ökonomisch absolut Sinn.

Warum?

Der Einsatz von Kraftwerken nach der Merit Order stellt sicher, dass Elektrizität kostenminimal erzeugt werden kann. Man nennt das auch ökonomisch effiziente Produktion.

Wenn der Marktpreis die Produktionskosten nicht decken kann, z.B. weil politisch motivierte Höchstpreise vorgegeben werden, wären Gaskraftwerke wegen des hohen Gaspreises unrentabel. Sie würden dann nicht mehr produzieren. Es sind aber derzeit oft die teuren Gaskraftwerke, die die Versorgungslücken ausgleichen, die sich durch die erneuerbaren Energieträger wie Sonne oder Wind („Flatterstrom“) ergeben.

Und warum wird auch Wärme so viel teurer?

Nehmen wir als Beispiel die Universität, die via Fernwärme der Stadtwerke beheizt wird. Diese Fernwärme wird aus Biomasse, das heißt mit Holz(abfällen) erzeugt. Es sind aber auch die Preise für Biomasse explodiert, um 50% zwischen Juli 2021 und Juli 2022, weil man – wo es nur geht – das teure Gas durch billigere Energieträger zu substituieren versucht, was wiederum die Nachfrage nach Biomasse erhöht. Das bedeutet, dass auch Strom und Wärme, die mit Biomasse produziert werden, teurer werden. Wir sehen also: Es wird im Grunde alles teurer. Man hat kurzfristig wenig Ausweichmöglichkeiten außer einer Nachfragereduktion.

Warum kann man nicht einfach in den Markt eingreifen?

Ein „Markteingriff“ kann auf vielfältige Weise erfolgen. Wenn z.B. ein Höchstpreis festgelegt wird, ein „Deckel“, der unter dem Marktpreis liegt, wäre die Folge die, dass einige Kraftwerke nicht mehr produzieren würden, und wir möglicherweise Versorgungsengpässe hätten. Dann stünden wir vor dem Problem: Wer entscheidet darüber, wer das knappe Gut Elektrizität bekommen soll und wer nicht? Aus ökonomischer Perspektive frage ich mich: Wissen die dann entscheidenden Politiker*innen besser als der Markt, wer wieviel vom knappen Gut bekommen soll? Das bezweifle ich sehr.

Natürlich kann man Produzenten, die mit dem „Deckel“ nicht kostendeckend produzieren können, subventionieren. Die finanziellen Mittel dafür müssten entweder von der öffentlichen Hand oder von den Produzenten, die zu geringeren Kosten produzieren können, getragen werden. Eine komplexe Umverteilungsmaschinerie – typisch für die dirigistischen Eingriffe, wie sie beispielsweise der Europäischen Kommission vorschweben.

Das Problem beim Strommarkt ist ja, dass ich als Konsument*in nicht aussuchen kann, ob ich Elektrizität brauche oder nicht.

Bei speziellen Gütern wie Energie kann man sich das nicht aussuchen. Für zahlreiche Anwendungen kann man Elektrizität nicht substituieren. Deshalb muss die Politik etwas machen. Tut sie das nicht, könnte das bedeuten, dass Menschen im Extremfall mehr für Strom ausgeben müssten, als sie überhaupt an Einkommen zur Verfügung haben. Die Notwendigkeit politisch zu handeln, ist auch in stärker marktwirtschaftlich orientierten Ländern wie Großbritannien unbestritten. Auch dort werden riesige Hilfspakete geschnürt. Längerfristig kann man natürlich versuchen, den Verbrauch zu reduzieren.

Diese Überlegungen gelten auch für Unternehmen, die mit dem gewaltigen Kostenschub zurechtkommen müssen. Im Hinblick auf die globale Wettbewerbsfähigkeit ist die Europäische Industrie massiv benachteiligt.

Wie stehen Sie zu den aktuellen Ansätzen, mit denen die Staaten und die Europäische Union zu reagieren versuchen – von der Strompreisdeckelung, der Abschöpfung von Gewinnen bis hin zur Einschränkung der industriellen Produktion auf bestimmte Tageszeiten?

Bei all diesen Ansätzen vertraut der Staat nicht auf die Mechanismen des Marktes, sondern er greift in die Preisbildung ein. Allerdings sind damit auch unerwünschte Nebenwirkungen verbunden. Gewinne ermöglichen Unternehmen Investitionen in erneuerbare Energie, Energieeffizienz und Forschung und Entwicklung. Wer finanziert diese dann diese Aktivitäten? Schon wieder der Staat, der so einen immer größeren Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Aktivität kontrolliert?

Nehmen wir an, wir würden die Situation ganz dem Markt überlassen. Könnten wir das gesellschaftlich aushalten?

Wir sind uns einig darüber, dass man Menschen extreme Preise für lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen nicht zumuten kann. Bei den Maßnahmen dagegen gibt es verschiedene Zugänge. Die einen sagen, wir legen einen Höchstpreis für Energie fest, und nehmen in Kauf, dass womöglich nicht genügend Strom erzeugt wird. Wenn wir auf Gaskraftwerke blicken, hilft ein Preisdeckel wenig, weil wir dem Kraftwerk ja die Differenz zwischen dem gedeckelten Preis und dem Marktpreis erstatten müssen. Doch woher soll dieses Geld kommen? Viele antworten: Wir müssen das Geld, die so genannten „Übergewinne“, von den großen Profiteuren abschöpfen. Das ist eine Variante, die nicht sonderlich elegant ist, vor allem weil der Preisdeckel willkürlich festgelegt wird. Damit wird lediglich umverteilt, aber nicht die Effizienz des gesamten Prozesses verbessert.

Photovoltaikanlagen und Windenergie wurden in den letzten 20 Jahren massiv gefördert, jetzt sollen ihre „Übergewinne“ abgeschöpft werden? Mit derselben Logik könnten Unternehmen im Falle von „Untergewinnen“ nach Subventionen rufen.

Welche Maßnahmen würden Ihrer Meinung nach mehr ökonomischen Sinn machen?

Jeder hat in seinem Rahmen einen gewissen Spielraum. Warum muss es für alles Regulierungen und Vorgaben geben? Wenn sich Gemeinden die Weihnachtsbeleuchtungen und Gastronomen die Heizschwammerln nicht mehr leisten können, werden sie diese abdrehen. Dafür braucht es kein Gesetz. Die Industrie verwendet Energie aus Kostengründen ohnehin sparsam. Wir sind momentan als Gesellschaft bereit, der Politik viele Eingriffe zuzugestehen. Ein Krieg in Europa ist klarerweise eine Ausnahmesituation. Der Ruf nach einem „starken Staat“ hat spätestens in der Pandemie begonnen. Dabei sollten wir uns jedoch vor Augen führen, dass uns der Staat zwar einiges an finanzieller Unterstützung zukommen lässt, er sich das Geld aber wieder zurückholen muss, um die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen zu garantieren. Mit jeder Aufgabe, die wir an den Staat delegieren, verringern wir unsere ökonomische Freiheit.

Was ist die Alternative, wenn man letztlich trotzdem unterstützen muss?

Ich hinterfrage nicht das Prinzip der Hilfe per se, sondern wie die Unterstützung umgesetzt wird. Wem greift man wie unter die Arme? Es ist sinnvoller, den Bedürftigen das Geld in Form eines direkten Einkommenstransfers zukommen zu lassen, damit sie sich Energie weiterhin leisten können, als beim Preismechanismus einzugreifen. Gedeckelte Preise bewirken weniger Anreiz, mit teurer gewordener Energie sparsamer umzugehen und erhöhen die Gefahr von Marktungleichgewichten.

Würde sich der Preis wieder von selbst einpendeln, wenn man die Situation den Marktmechanismen überlassen würde?

Ja, selbstverständlich. Es gibt ja ein Gleichgewicht am Elektrizitätsmarkt – eben eines mit hohen Preisen. Zusätzlich sehen wir, dass der Erdgaspreis binnen einer Woche von mehr als 300 EUR/MWh auf weniger als 200 EUR gesunken ist. Wir stellen fest, wie stark die Preise schwanken.

Zu diesen Schwankungen tragen auch Spekulationen bei, oder?

Nicht alle, die auf steigende oder fallende Energiepreise wetten, sind automatisch Spekulant*innen. Stellen Sie sich vor, Sie sind Managerin einer Airline und müssen sicherstellen, dass die Kerosinkosten nicht explodieren. Es ist nicht Spekulation, wenn Sie sich gegen steigende Preise absichern möchten. Das ist ein ganz normales Termingeschäft, wie es vor allem auf Rohstoffmärkten völlig üblich ist. Sie wissen dann, dass Sie Kerosin z.B. in einem Jahr zu einem jetzt schon vereinbarten Preis kaufen können. Das ist alles andere als Spekulation, sondern Risikomanagement, und wird von den Akteur*innen auf dem Markt so gehandhabt.

Wer zuletzt auf stromintensive Technologien wie E-Auto oder Wärmepumpen gesetzt hat, gehört nun zu den Verlierer*innen.

Bei diesen Technologien, die vordergründig „grün“ wirken, müssen wir uns immer fragen: Woher kommt der Strom? Wärmepumpen brauchen den Strom hauptsächlich nachts und im Winter, zu einer Zeit also, in der weder Solar- noch Windkraftanlagen genügend Strom erzeugen. Die dann verwendete Elektrizität stammt meist aus Gaskraftwerken oder wird importiert. Auch beim E-Auto gilt: Es kommt darauf an, wann Sie das Auto aufladen. Ein E-Auto ist nicht emissionsfrei, sondern fährt oft mit der Elektrizität von Kohle- oder Atomenergie. Aber selbst wenn E-Autos gänzlich mit Elektrizität aus erneuerbarer Energie aufgeladen werden, sind sie noch lange nicht nachhaltig, weil die Produktion dieser Autos mit hohem Ressourcenaufwand verbunden ist. Wir tauschen eine Abhängigkeit (Öl aus Russland oder dem Mittleren Osten) mit einer anderen (Rohstoffe aus China). Außerdem nehmen sie öffentlichen Raum in Anspruch und verursachen Feinstaubemissionen. So gesehen ist es verwunderlich, dass es dafür noch öffentliche Subventionen gibt. Zu den Verlierern zählt man mit diesen Technologien trotzdem nicht, weil aktuell die Preise aller Energieträger steigen.

Die zunehmende Elektrifizierung von Mobilität und Heizen treibt die Stromnachfrage – und damit den Strompreis – weiter in die Höhe, was die Energiewende immer schwieriger erreichbar macht.

Wie ergeht es Ihnen mit den riesigen Summen, die von der Politik momentan bewegt werden, um der Krise zu begegnen? Ist die Geldmenge plötzlich beliebig?

Die aktuelle Krise ist eine Ausnahmesituation, die schnelles Handeln erfordert. In absehbarer Zeit wird der Krieg zu Ende, die Coronapandemie unter Kontrolle sein, danach wird es Zeit, die öffentlichen Finanzen wieder in Ordnung zu bringen. Auch die Geldpolitik hat viel zu tun, denn die Erfahrungen mit der Inflation vor genau 100 Jahren wollen wir nicht noch einmal machen.

für ad astra: Romy Müller

Zur Person



Norbert Wohlgemuth ist außerordentlicher Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Klagenfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Energieökonomik, Umwelt- und Ressourcenökonomik sowie Volkswirtschaftspolitik. Norbert Wohlgemuth ist außerdem Geschäftsführer des Kärntner Instituts für Höhere Studien und wissenschaftliche Forschung (KIHS).