Medieninhalte ausblenden: „Es ist ein Katze-Maus-Spiel.“

Mit den Online-Medien hat heute jede:r Zugang zu Informationen in Hülle und Fülle, und dennoch schaffen es viele, an Fehlinformationen festzuhalten. Die Kommunikationswissenschaftlerin Marlis Stubenvoll interessiert sich für Strategien, die es Menschen ermöglichen, Medieninhalte auszublenden. Im Interview hat sie uns darüber berichtet, wie es vielen gelingt, nur das zu sehen, was sie auch sehen wollen.

Für die Eintönigkeit in den Timelines sollen ja die Algorithmen der Social-Media-Kanäle sorgen, die mir nur anzeigen, was mir entspricht. Wäre ich diversen Verschwörungstheorien zugeneigt, müsste ich mich dann gar nicht mehr gegen Medieninhalte wehren, um an meinen Falschinformationen festhalten zu können?
Ja, es gibt Algorithmen oder Verhaltensmuster, die dafür verantwortlich sind, dass meine Wahrnehmung der Realität verstärkt wird. Über den gesamten Medienkonsum hinweg wird es aber nicht gelingen, allein dadurch alles auszublenden, was nicht zu meiner Meinung passt. Ich folge auf Facebook Verwandten oder Menschen aus dem beruflichen Kontext, die anders als ich denken. Die meisten Personen verfolgen auch noch Nachrichten, insbesondere auf den öffentlich-rechtlichen Sendern, wo sie mit anderen Informationen in Berührung kommen. Man kann sich schon isolieren, aber in der Praxis funktioniert die Abschottung nicht durchgängig.

Welche Strategien gibt es abseits vom Ignorieren?
Viel davon passiert unbewusst. Nehmen wir das so genannte biased processing. Dieses Phänomen bedeutet, dass man sich an Fakten unterschiedlich erinnert. Wir merken uns besser, was eher in unser Weltbild passt.

Viele, die an Falschinformationen festhalten, eignen sich viel vermeintliches Wissen an und argumentieren so gegen die korrigierenden Mitteilungen an.
Ja, sie geben auch oft an, kritisch auf Medienberichte zu blicken. Häufig kommt dann die Aussage: „Das habe ich aber anderswo anders gelesen.“ Oder: „Die Journalisten im Medium XY vertreten alle diese eine Meinung.“ Damit wird die Vertrauenswürdigkeit der Quelle in Frage gestellt. Diese Strategie nennen wir contesting. In eine ähnliche Kerbe schlägt die Strategie des empowerment: Wenn ich das Gefühl habe, dass meine Position unter Attacke gerät, suche ich mir bewusst Medieninhalte, die mich wieder bestärken. So gewinnt man wieder Sicherheit.

Sie haben zu diesen Mechanismen im Rahmen Ihres Dissertationsprojekts geforscht. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir haben Befragungsstudien, aber auch Experimente durchgeführt und sind so den Resistenzstrategien auf den Grund gegangen.

Ist die Resistenz gegen mir widersprechende Medieninhalte eigentlich anstrengend? Muss ich mich also energieaufwändig und bewusst wehren?
Teils, teils. Manche dieser Strategien passieren unbewusst. Wenn man am Smartphone in den Timelines scrollt, denkt man nicht darüber nach, was man wahrnimmt und was man vermeidet. Aus der Werbeforschung kennen wir auch die banner blindness, das heißt, man nimmt auf Websites bestimmte Bereiche überhaupt nicht mehr wahr, weil man gelernt hat, dass dort die Banner platziert sind. Das passiert alles unbewusst und ohne Anstrengung. Wenn man allerdings zu den eher hartgesottenen Verschwörungstheoretiker:innen gehört, kann die Resistenz aufwändig sein: Manche von ihnen setzen sich zeit- und energieintensiv mit bestimmten Themen auseinander. Diese Gruppe ist aber eher klein.

Der Medienwandel schreitet in großen Schritten und atemberaubender Geschwindigkeit voran. Können sich die Medienkonsument:innen, die resistent gegenüber Inhalten sein wollen, schnell genug anpassen?
Es ist ein Katze-Maus-Spiel, und zwar nicht nur im Bereich der Falschinformationen, sondern bei jeder Form von Persuasion, die im Netz stattfindet. Neue Kommunikations- und Werbestrategien werden entwickelt, Menschen sammeln Erfahrung damit und erarbeiten sich schnell Methoden, wie sie damit umgehen. Vieles macht zu Beginn Angst; wir können aber in der Regel rasch damit umgehen.

In welche Richtung entwickeln sich Medieninhalte aktuell – und wie gehen Menschen damit um?
Wir sehen den Trend zur personalisierten Werbung. Daten werden gesammelt und Medieninhalte werden auf Basis dieser Daten ausgespielt. In der Forschung interessiere ich mich aktuell dafür, mit welchen Strategien Menschen damit umgehen. Wie verhalte ich mich (online), wenn ich das Gefühl habe, unter Beobachtung zu stehen? Ist es so, dass ich weniger über politische Inhalte spreche? Traue ich mich noch, bestimmte Suchbegriffe zu verwenden? Das Internet bot bisher unendlich viele Möglichkeiten – die zunehmend eingeschränkt werden. Wir zensieren uns selber, weil uns jemand – und sei es nur ein Algorithmus – beobachtet und wir dadurch in Sorge sind, dass unser Online-Verhalten negative Folgen haben könnte. Wir beobachten so etwas wie eine Online-Selbstzensur.

Zur Person



Marlis Stubenvoll ist Senior Scientist am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften der Universität Klagenfurt. Sie absolvierte davor ihr Doktoratsstudium an der Universität Wien, wo sie auch als Projektmitarbeiterin und Universitätsassistentin tätig war. Ihr Masterstudium absolvierte sie an der Aarhus University bzw. an der Universiteit van Amsterdam. Marlis Stubenvoll hat selbst umfangreiche Erfahrung in der praktischen Produktion von Medieninhalten. So war sie beispielsweise als freie Journalistin und in der PR tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medienwandel und Medienbildung.