Einblick in die Lehre… 3 Fragen an Bernd Liepold-Mosser

Was haben Fridays for Future, der Arabische Frühling und #MeToo gemeinsam? Es sind Bewegungen, die aus sich selbst heraus entstanden sind und nicht zuerst geplant und hierarchisch organisiert wurden. Sie sind also wie Schwärme – „emergente Phänomene, die sich quasi aus sich heraus bilden“. Welche Chancen und Gefahren sich daraus ergeben und welchen Zusammenhang das mit der digitalen Welt hat, erarbeiten Studierende in der LV „Der Schwarm.“.

Können Sie uns etwas Näheres zu Ihrer LV „Der Schwarm. Kollektives Verhalten und kollektive Intelligenz“ erzählen? Worum geht es dabei genau?

Vom Begriff „Schwarm“ geht eine gewisse Faszination aus. Wir alle kennen Schwärme von Vögeln, Fischen, Bienen, und sind beeindruckt von der Fähigkeit, sich auf diese Weise selbst zu organisieren. „Schwärme“ sind sogenannte emergente Phänomene, die sich quasi aus sich heraus bilden. Die Eigenheit von Schwärmen ist, dass sie eine Organisationsform ohne Hierarchie und ohne Zentrum sind. Ein Schwarm bildet sich ohne Absprache und Verständigung, er funktioniert aufgrund bestimmter einfacher Regeln. Das große Thema ist nun, ob und inwiefern man diese Organisationsform auf menschliches Verhalten umlegen kann. Dies betrifft die Frage niederschwelliger partizipativer Verständigungsprozesse, aber auch unser Verhalten in der digitalen Welt und in den sozialen Medien. Ein Shitstorm wäre die negative Variante eines solchen Kollektivs und trägt eher die Züge von Massendynamiken, wie sie von den Klassikern der Massentheorie Gustave Le Bon und Elias Canetti beschrieben werden. Phänomene wie der sogenannte arabische Frühling, der sich im wesentlichen über Mobiltelefone organisierte, die Bewegung „Fridays for future“ oder die große „MeToo“-Bewegung können aber mit gewissen Einschränkungen als Schwarmphänomene beschrieben werden.

Was wollen Sie Ihren Studierenden mitgeben?

Mir geht es darum, gerade in der heutigen Zeit der digitalen Kommunikation und der virtuellen Welten ein Bewusstsein dafür zu schaffen, nach welchen Regeln sich kollektives Verhalten formt, welche Gefahren und welche Chancen darin enthalten sind. Wir untersuchen die Potentiale von philosophischen Begriffen, die auf verschiedene Weise versuchen, Kollektive zu beschreiben: Masse, Menge, Klasse, Multitudes, Crowd, Schwärme. In gewisser Weise steckt in dem Begriff des Schwarms eine demokratische Utopie, nämlich dass wir uns auf funktionierende und „vernünftige“ Weise organisieren, ohne dass es jemanden gibt, der vorne steht und sagt, wo es lang geht. Das Besondere am Schwarm ist ja auch, dass jede und jeder Einzelne jederzeit an jedem Punkt des Schwarms agieren könnte, es ist also eine radikal gleichberechtigte Angelegenheit.

Warum ist Ihre LV gerade jetzt wichtig?

Gerade in den sozialen Medien, aber auch bei Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen ist die Frage entscheidend, wie man mit der Eigendynamik von Massenphänomenen umgeht. Wie gelingt es, die affektive Energie, die Massen und ihre Macht auszeichnet, auf vernünftige und zielführende Weise zu kanalisieren. Das führt aber unweigerlich zur Fragestellung, wie sich der*die Einzelne zum Kollektiv verhält. Wieviel gebe ich in einer Masse von meiner Individualität auf, was behalte ich davon. Die möglichen Pole dabei sind extrem: der irrationale, „faschistische“ Massenkörper, die Massenhysterie als Wahnsystem, wie Freud es beschreibt, oder die gemeinschaftliche Emanzipation, das kollektive Anliegen, die Verbindungskraft von Empathie und Engagement.

Zur Person

Bernd Liepold-Mosser ist Autor und Regisseur. Der Kärntner lehrt am Institut für Philosophie an der Universität Klagenfurt. Er leitet das Forschungsprojekt „performing reality – 100 Jahre Dispositiv Kärnten/Koroška“. Außerdem ist er Intendant des „Klagenfurt Festivals“, war Leiter des Peter-Handke-Archivs und wurde mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet.


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