Die vierte Gewalt: Ohne freie Medien keine Demokratie

Traditionelle Medien scheinen an vielerlei Fronten in eine Krise geraten zu sein: Vertriebs- und Werbeerlöse schwinden, der Umstieg auf den digitalen Raum läuft mäßig gewinnträchtig, guter Journalismus scheint kaum mehr bezahlbar und gleichzeitig tönt der Populismus bei jeder Gelegenheit lautstark „Lügenpresse“. Matthias Karmasin sieht keinen Grund für Alarmismus, aber argumentiert für eine Änderung der Medienförderung – im Sinne einer Investition in die Infrastruktur von Demokratie.

Ist das postfaktische Zeitalter eine Erfindung der Medien, die darüber berichten, oder ist es faktisch nachweisbar? Oder anders gefragt: Verhält es sich mit der Glaubwürdigkeit von medial vermittelten Fakten heute anders als vor zehn Jahren?
Erstens sind die Begriffe „postfaktisch“ oder „alternative facts“ Termini, die von Politikerinnen und Politikern in die Debatte geworfen wurden. Dabei handelt es sich um jene, die beim Lügen öffentlich erwischt wurden; meist waren es Medien, die dies aufgedeckt haben. Man muss also unterscheiden, was politische Kampfrhetorik ist und was sich in empirischen Daten abbilden lässt.

Was lässt sich zeigen?
Es gibt Länder, wo die primäre Nachrichtenquelle digital ist, zum Beispiel Norwegen, Schweden, Griechenland oder Korea. Es gibt aber auch Länder, die noch ein sehr traditionelles Mediennutzungsverhalten haben, wie Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien oder Kanada. Beim genaueren Blick auf die Daten wird man sehen, dass soziale Medien in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen eine wichtigere Nachrichtenquelle als TV-Nachrichten sind. Das wirkt sich auch auf die Bedeutung von Nachrichtenbrands aus: In den USA führt zum Beispiel Yahoo News vor der Huffington Post und vor Fox News die Riege der bedeutendsten Marken an. Das Digitale ist also in bestimmten Ländern zweifelsohne bedeutsamer als die traditionellen Medien. Dies ist aber nicht überall der Fall.

Wie wirkt sich dieses Medienverhalten aus?
Eine Folge ist die vielzitierte Filterbubble, also das durch Algorithmen gesteuerte Verbleiben in einer Wohlfühlzone. Soziale Medien wurden nicht dafür geschaffen, um zu informieren. Das sind Plattformen zum Verkauf von Werbung, was ja auch ein ganz legitimes Geschäftsmodell ist. Deshalb wollen die Betreiber dieser Seiten ihr Publikum aber nicht irritieren, weil dies der Werbung schaden würde. Es geht also nicht darum, die Menschen mit alternativen Meinungen oder Meinungsvielfalt zu verstören, sondern deren Haltung zu verstärken. Daraus ergibt sich für demokratische Gesellschaften ein wesentliches Problem, wenn sich Menschen exklusiv nur über diese Plattformen informieren: Die Frage danach, was der Fall ist, soll in einer Demokratie mit möglichst viel Meinungsfreiheit und –vielfalt in einem öffentlichen Diskurs ausgehandelt werden. Der Raum dafür gerät in der Tat unter Druck.

Der US-amerikanische Präsident argumentiert, dass er mit seiner Sicht auf die Welt nie den für ihn adäquaten Platz im öffentlichen Diskurs in den traditionellen Medien eingeräumt bekommen hätte. Daher müsse er seine Realitätswahrnehmung über Twitter selbst verbreiten. Ist sein Argument schlüssig?
Politische Propaganda gab es schon immer; ich sehe der Intention nach auch gar nicht so viel Unterschied zwischen den Parteizeitungen von früher und den Facebook- und Twitter-Auftritten von Politikerinnen und Politikern heute. Außerdem stehen mir nicht die Daten zur Verfügung, um seriös die mediale Präsenz von Trump einschätzen zu können. Evident ist, dass bei Twitter direkte Kommunikation möglich ist, die nicht über den Filter der so genannten vierten Gewalt läuft. Es liegt in der Natur der vierten Gewalt, dass Inhalte verbreitet werden, die jenen, die die anderen drei Gewalten verkörpern, nicht recht sind. Wenn Politikerinnen und Politiker anfangen, mit den Medien zufrieden zu sein, haben wir ein Problem in der Demokratie. Es ist die Funktion der Medien, Kritik und Kontrolle auszuüben, was für die Machtentfaltung häufig hinderlich ist.

Auch der ökonomische Druck auf Medien steigt und es wird wohl immer schwieriger, diese gesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen. Geht es den Medien heute insgesamt schlechter denn je?
Vergleicht man die Einnahmen der Medien im letzten Jahrzehnt, zeigt sich ein drastisches Bild. Während das Anzeigengeschäft von Google und Facebook von 2015 auf 2016 um rund 45 bis 50 Prozent gewachsen ist, wachsen die „anderen“, also die traditionellen Medien, um 1 Prozent. Diese Daten betreffen die Seite der Werbeerlöse. Bei den Vertriebserlösen zeigt sich, dass die meisten Menschen nicht bereit sind, für den Konsum von Online-Medien zu bezahlen: Spitzenreiter weltweit ist Norwegen mit 27 Prozent, alle anderen Länder liegen bei rund 15 Prozent, die für den Blick hinter die Paywall die Kreditkarte zu zücken bereit sind. Hinzu kommt noch die schlechte Nachricht der manifesten Verwendung von Ad-Blockern. Zusammengefasst lässt sich sagen: Menschen nutzen Online-Nachrichten, wollen dafür aber nicht bezahlen, und auch nicht den impliziten sozialen Vertrag erfüllen und sich dafür zumindest Werbung anzusehen. Werbeerlöse brechen weg, Vertriebserlöse bleiben aus, aber die Kosten, qualitätsvolle Inhalte herzustellen bleiben gleich.

Und nun?
Wenn wir der Meinung sind, dass Meinungsvielfalt und unabhängige Medien eine wesentliche Infrastruktur der Demokratie sind, und der Meinung bin ich, dann bleibt wohl nur die Möglichkeit, über eine Ausweitung staatlicher Förderungen nachzudenken und qualitätsvollen Journalismus so zu unterstützten, dass er unter den Marktbedingungen, die wir nun mal haben, möglich ist. Gleichzeitig muss maximale Politikferne und Widerständigkeit gewährleistet sein. Wenn wir die gesellschaftliche Funktion der Medien haben wollen, muss der Staat, wie bei allen anderen Infrastrukturen auch, unterstützend eingreifen.

Wenn nun der Staat die Medien stützt und aufrechterhält, sie aber kaum mehr konsumiert werden, was dann?
Ich sehe nicht, dass Medien in Österreich nicht mehr hinreichend konsumiert werden. Hierzulande sind Printmedien, vor allem Tageszeitungen, in der Nutzung immer noch ein ganz wesentlicher Faktor. Die Entwicklung in Österreich ist langsamer als anderswo und vieles ist sehr traditionell: Auch unter den digital natives informieren sich bis zu 70 Prozent über Innenpolitik aus der Tageszeitung, dann folgt das Radio und der Internetauftritt einer Tageszeitung sowie des ORF. Der Content stammt also in der Regel von klassischen Medienunternehmen, wird aber auch auf mobilen Endgeräten konsumiert. Die Lage verhält sich in Griechenland, in den USA, und auch in anderen europäischen Ländern anders, da gilt vielerorts tatsächlich digital first! Mein Hinweis als Empiriker wäre, dass man die Entwicklungen in den USA nicht als prototypisch für die ganze Welt sehen kann. Auch die Glaubwürdigkeit von Medien wird hierzulande als sehr hoch eingeschätzt: 79 Prozent halten Radio für zuverlässig, 66 Prozent Tageszeitungen, 77 Prozent Fernsehen und  nur 42 Prozent soziale Medien. Diese Werte sind Eurobarometerdaten und hierzulande viel höher als im europäischen Schnitt. Es gibt die Glaubwürdigkeitskrise in Ansätzen, aber man muss sagen: „Lügenpresse“ ist ein politischer Kampfbegriff und keine Beschreibung der empirischen Realität in Österreich.

Was hat die Medienpolitik also zu tun?
Es ist dringend an der Zeit, ein neues ORF-Gesetz und eine neue Medienförderung auf den Weg zu bringen. Ebenso wichtig ist die Förderung von Medienkompetenz. Probleme entstehen, wenn Menschen Informationen, die sie über Facebook geteilt bekommen, gleichwertig mit professionell journalistisch erstellten Inhalten einschätzen. Dies halte ich eher für ein Problem der Medienbildung. Dieses Problem ist derzeit politisch erkannt, aber noch sind Lösungsansätze nicht umgesetzt. Ich sehe darin aber auch eine Aufgabe der Wissenschaft, sich hier einzubringen.

Findet sich auch der Wissenschaftsbetrieb zunehmend in der digitalen Welt wieder? Wie verhält sich deren Logik mit den Wissenschaftstraditionen?
Die Wissenschaft als soziales System, aber auch die Universität als Organisation kommen langsam in der Medien- und Informationsgesellschaft an. Wenn man die Kriterien wissenschaftlicher Qualität unter die Lupe nimmt, erkennt man viele Parallelen zum Journalismus. Erstens: Niemand hat allein das Monopol auf Wahrheit, sondern das, was der Fall ist, wird in einem möglichst großen öffentlichen Diskurs ausverhandelt, deshalb sind für die Wissenschaft Publikationen so wichtig. Zweitens: Die klare Trennung von Inhalt und Meinung ist essenziell, sowohl in der Wissenschaft als auch im Journalismus. Drittens kommt bei der Wissenschaft noch die Trennung von Meinung und Person hinzu: Es muss für die Qualität des Arguments egal sein, wer das Argument bringt, deshalb gelten double blind review-Prozesse als Qualitätsmerkmale. Diese Qualitätskriterien haben nichts damit zu tun, wie oft ich digital geklickt werde oder wie visibel ich in Netzwerken bin.

In welchen Bereichen ist es aber wichtig, Wissenschaft dem Diskurs im digitalen Raum auszusetzen?
Dazu scheint die wissenschaftstheoretische Differenzierung in Entdeckungszusammenhang, Begründungszusammenhang und Verwertungszusammenhang relevant. Im Begründungszusammenhang geht es darum, wie qualitätsvoll ich meine Argumentation gegenüber meiner Scientific Community darlegen kann. Dort haben ausschließlich nur die Standards der Wissenschaftsgemeinschaft mit ihren Qualitätsinstrumenten zu gelten. Anders verhält es sich beim Entdeckungszusammenhang, also der Frage danach, worüber die Wissenschaft nachdenkt, und dem Verwertungszusammenhang, der sich momentan mit den omnipräsenten Begriffen Third Mission, Public Outreach oder Responsible Science beschreiben lässt, also der Frage danach, was bedeuten Erkenntnisse für die Gesellschaft. In diesen beiden Bereichen werden wir uns höchstwahrscheinlich auf Veränderungen durch die Medien- und Informationsgesellschaft einstellen müssen.

Mit welchen Ansprüchen wird es die Wissenschaft hier zu tun haben?
Man kann sich z.B. die Frage stellen, ob die Geschäftsmodelle der wissenschaftlichen Verlage noch funktionieren sollen: Die Journals werden durch Wissenschaftler, die meistens mit Steuergeldern finanziert werden, qualitätsgesichert. Die Beiträge kommen meist von staatlich getragenen Forscherinnen und Forschern, darüber hinaus werden die meisten Zugänge und Abonnements durch staatlich getragene Forschungsinstitutionen finanziert. Man kann hier meines Erachtens zu recht die Debatte zu Responsible Science öffnen und fragen, ob hier nicht ein System mit Steuergeld alimentiert wird, das im Unterschied zu anderen Verlagen hochprofitabel ist. Man muss nur einen Blick auf die Gewinne von Verlagen wie Elsevier werfen. Stichwort Open Access: Es ist hier schon in Frage zu stellen, ob die durch öffentlich finanzierte Forschung gewonnenen Erkenntnisse, die auch mit öffentlichen Ressourcen qualitätsgesichert wurden, nicht auch öffentlich zugänglich sein sollten.

Die Gesellschaft will schließlich wissen, wo und mit welchen Ergebnissen die Gelder investiert werden, oder?
Das würde ich so pauschal nicht sagen, es kommt darauf an, welche; Österreich ist leider ein Land, in dem das öffentliche Interesse an Wissenschaft geringer ist als anderswo, beispielsweise in Deutschland oder Skandinavien. Dennoch gilt auch hier: Der Legitimationsdruck für die Wissenschaft steigt. Ich möchte aber betonen: Man kann Wissenschaftsstandards nicht demokratisieren, aber man wird zukünftig in der Kommunikation von Wissenschaft anders gefordert sein. Das heißt nicht, dass wir unsere Forschungsarbeit immer nur unter das Joch der Nützlichkeit beugen sollen; denn Nützlichkeit ist für mich ein Joch, das den Weg zur Erkenntnis verstellt. Aber man muss zeigen, dass Wissenschaft in der Welt steht und sich mit dem beschäftigt, was in der Welt der Fall ist. Oder zumindest der Fall sein soll.

Zahlen und Daten zum Interview lassen sich im Digital News Report (Reuters Institute of Journalism), im Media pluralism and democracy – Special Eurobarometer 452 und – speziell für Österreich – über Media Server nachlesen.

Zur Person

Matthias Karmasin ist Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität. Gleichzeitig ist er Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften und der AAU sowie seit 2011 korrespondierendes Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW. Er lehrte unter anderem an der Wirtschaftsuniversität Wien, der University of Vermont/Burlington, der University of Tampa/Florida, der Universität Karlsruhe und der Universität Ilmenau. Er ist in zahlreichen wissenschaftlichen sowie medienrelevanten Beiräten aktiv. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Medienökonomie und Medienethik.

Mathias Karmasin | Foto: aau/KK