Andrew Urban | Foto: aau/Müller

Die Vergangenheit für die Gegenwart nutzen

Andrew Urban ist assoziierter Professor an der Rutgers University New Brunswick in New Jersey. Er arbeitet dort als Historiker an der Abteilung für American Studies und beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte von ArbeiterInnen und MigrantInnen. Im Sommersemester 2019 ist er mit einem Fulbright-Stipendium am Klagenfurter Institut für Anglistik und Amerikanistik. 

Die Gegenwart ist für Andrew Urban voller Geschichte: Er unterrichtet in New Jersey Studierende, unter denen 32 Prozent „First-Generation-Academics“, viele davon mit Migrationshintergrund, sind. Auch seine Familie kam erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die USA: Sie waren Staatsangehörige von Österreich-Ungarn und flohen zu Beginn des ersten Weltkriegs rund um 1914 aus Galizien an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine in die USA. „Im Laufe meines Aufwachsens wurde mir immer wieder bewusst gemacht, dass meine Familie nicht seit der Mayflower in den USA lebt, sondern erst deutlich später dazukommen ist“, erzählt Andrew Urban von seiner persönlichen Migrationsgeschichte. Das Narrativ der Vereinigten Staaten von Amerika als Land von Immigrantinnen und Immigranten sieht er vielschichtig: „Schon in der Vergangenheit wurde der Zuzug von MigrantInnen aus bestimmten Regionen der Welt immer wieder beschränkt. So war es zu Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise für Asiatinnen und Asiaten schwieriger, in die USA zu kommen. In den 1920er Jahren gab es auch starke Restriktionen für Einwanderer vorwiegend aus Süd- und Osteuropa.“ Die Erzählung müsse komplizierter werden, um auch die Realität abzubilden, erklärt er uns. Heute forscht er zum Leben von MigrantInnen und ArbeiterInnen, und dabei immer mit einem starken Bezug zur Gegenwart. „Geschichte soll nützlich für unser heutiges Leben sein, nur dann macht die wissenschaftliche Beschäftigung mit Vergangenem für mich Sinn“, fasst er den Begriff der „usable past“ zusammen.

Im Sommersemester 2019 ist Andrew Urban als Fulbright-Fellow an der Universität Klagenfurt. Hier beschäftigt er sich gemeinsam mit seinen Studierenden mit der Geschichte von Vertriebenen und Flüchtlingen, die in Kärntner Camps untergebracht waren. Diese Arbeit soll auch aufzeigen, wie die Geschichten von Flüchtlingen nach dem zweiten Weltkrieg Teil des österreichischen öffentlichen Gedächtnisses werden könnten.

Wir fragen Andrew Urban danach, wie er sich erklärt, dass Migration heute wieder stärker als in den letzten Jahrzehnten als Problem gesehen wird: „Wir erfreuen uns an vielen Aspekten der Globalisierung: Wir sind miteinander vernetzt, können Waren aus aller Welt kaufen und in alle Welt verkaufen, wir können Musik vom anderen Ende der Welt hören und Sportereignissen auf anderen Kontinenten online beiwohnen. Gleichzeitig haben wir heute aber starke Bedenken, was die Migration von Menschen betrifft. Auch in der Wirtschaftsgeschichte liegt eine große Ironie inne: Wir sind stolz auf den wirtschaftlichen Erfolg der westlichen Welt, sind uns aber nicht bewusst, dass dieser Erfolg auf der Ausbeutung anderer basiert. Ich habe keine einfachen Antworten auf die Fragen der Zeit, denke aber, dass wir die Widersprüche sehen und uns stark damit auseinandersetzen müssen“, erklärt er uns dazu.

Der Historiker, der selbst mal als Journalist tätig sein wollte und seine beruflichen Anfänge in der Wissenschaftsvermittlung in Museen fand, sieht es als Aufgabe der Forschung an, hierfür Orte des Dialogs mit den Bürgerinnen und Bürgern zu finden. Für Urban macht es wenig Sinn, wenn seine Artikel von nur 30 Menschen gelesen werden, vielmehr gelte es, sich und seine Themen auch außerhalb der Universitäten relevant zu machen. So erklärt sich auch, dass Andrew gerne an Ausstellungsprojekten arbeitet, Podcasts produziert oder Dokumentarfilme dreht. Dies möchte er, erzählt er uns, auch in Zukunft im wissenschaftlichen Umfeld machen.

 

Vortrag

U.S. Immigration History and the Contemporary Politics of Immigration Control

3. April 2019 um 12:00 – 13:30
HS 10

Mehr Information

 

Anglistik und Amerikanistik studieren