Wie kann über Unbesprochenes gesprochen werden?

Das vom FWF geförderte Projekt „Mapping the Unseen“ realisiert künstlerische Interventionen zu Themen, die von der öffentlichen Mehrheitsgesellschaft nicht gesehen und nicht besprochen werden. Ein Forschungsteam rund um Projektleiterin Katrin Ackerl Konstantin rückt begleitend die Prozesse der künstlerischen Sichtbarmachung ins forschende Blickfeld. Aus Anlass der ersten Intervention im Rahmen des Projekts in Kärnten haben wir mit Ackerl Konstantin darüber gesprochen, welches Forschungsinteresse sie mit diesem Artistic-Research-Projekt verfolgt.

Frau Ackerl Konstantin, wie „funktioniert“ das Projekt „Mapping the Unseen“?

Ausgangspunkt sind drei so genannte Guides, das sind Personen, die in Kärnten wohnen bzw. länger gewohnt haben, und die ursprünglich aus Kroatien, Bangladesch bzw. dem Iran kommen. Diese Guides bringen ihre Geschichte, die sie nach Kärnten geführt hat, in das Projekt ein, stellen die Verbindung zum Herkunftsland her und empfehlen eine dort aktive Künstlergruppe. Diese Künstlergruppe erarbeitet ein Thema, das ihres Erachtens marginalisiert, also unseen, ist. In der Folge kuratiert die Künstlergruppe in dem jeweiligen Land eine einwöchige Veranstaltung, die in einem Leerstand realisiert wird. Die Umsetzung baut auf dem Format schau.Räume auf, ein künstlerisches Konzept, das schon seit Jahren auf die Thematisierung marginalisierter Themen in Leerständen setzt. Der nächste Schritt sieht vor, dass das jeweils gewählte Thema nach Kärnten (zurück-)kehrt und hier erneut im Zentrum einer rund einwöchigen Veranstaltung steht. Dabei werden einzelne Programmpunkte aus dem Ursprungsland wiederholt, andere hiesige Beiträge kommen hinzu.

Sie haben auf das Format schau.Räume verwiesen. Welche Erfahrungen gibt es damit und wie konnten diese für „Mapping the Unseen“ genutzt werden?

Bei den schau.Räumen geht es darum, Themen, die an die Ränder des gesellschaftlichen Diskurses gedrängt sind, in Leerständen zu bearbeiten und mit künstlerischen Mitteln sichtbar zu machen. Das Konzept existiert seit 2011; umgesetzt wurde es unter anderem 2015 in Rumänien bzw. 2017 in Peru unter dem Titel schau.Räume_global. Die Veranstaltungsorte sind meist auch öffentlich einsichtig, zum Beispiel eignen sich hierfür leerstehende Geschäfte in Innenstädten. Dabei ist durchaus intendiert, dass auch Vorbeispazierende einen Blick auf das künstlerische Geschehen erhaschen.

Was wurde in „Mapping the Unseen” nun schon realisiert?

Im November 2019 hat die Gruppe Vox Feminae in Zagreb eine mehrtägige Veranstaltung zu LGBTIQ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersex, Queer) organisiert. Man setzte dabei auf ganz junge Künstler*innen vor Ort, die mit verschiedenen Mitteln das Themenfeld LGBTIQ zur Sprache brachten. Dabei zu sehen bzw. zu hören waren Installationen, Kurzfilme, ein wissenschaftlicher Vortrag, Musik, eine Burleske, ein Theaterstück sowie Rainbow Family Talks. Von 14. bis 21. Februar wird es nun zur Realisierung dieses Themenschwerpunkts in Kärnten kommen. Einiges davon können wir von Zagreb übernehmen, anderes kommt hinzu.

Sie sind selbst Künstlerin und Wissenschaftlerin. Welches Erkenntnisinteresse verfolgen Sie mit „Mapping the Unseen“?

Artistic research ist eine Forschungsmethodik, die mich sehr interessiert. Besonders erhellend ist für mich, dass wir nicht die Kunst beforschen, sondern durch die Kunst forschen. Schon bei der Auswahl der marginalisierten Themen kommen wir zu interessanten Erkenntnissen: Wie wird ein solches Thema identifiziert? Und wie kann über etwas, worüber nicht gesprochen wird, dennoch gesprochen werden? Zusätzlich führen wir Interviews mit den Künstler*innen und mit dem Publikum, erstellen autobiographische Aufzeichnungen und begeben uns teilnehmend beobachtend mitten ins Geschehen. Die Transkripte, die durch die Workshops entstehen, analysieren wir in einem tiefenhermeneutischen Zirkel, mit der Idee, unter diesen unseen Themen grundlegende Tabus aufzuspüren.

Kann ich an „Mapping the Unseen“ auch teilnehmen, wenn ich nicht zu den Veranstaltungen kommen kann?

Ja, wir arbeiten an einem virtuellen schauraum in Form eines digitalen Archivs auf unserer Website. Das kann man sich wie eine animierte Zeichnung vorstellen. Dieser Raum wird auch Gelegenheiten bieten, interaktiv in Austausch mit uns zu treten und neue Themen vorzuschlagen. Wir wollen das Forschungsprojekt am Ende der Laufzeit nicht endgültig abschließen, sondern den Inhalt weiterführen.

 

„Mapping the Unseen“ in Klagenfurt

Freitag, 14. Februar
18:00 Was ist künstlerische Forschung? | Eröffnung
19:00 Rina Barbarić: Room for Loosing Your Virginity | Ausstellung/Installation
19:30 Matija Peček: Duality of the Human Element | Ausstellung/Performance

Samstag, 15. Februar
19:00 Luka Prelas & Tihomir Babić: Made by our Bodies | Musikperformance
Communitynetworking mit Uniqueer, Die Grünen Andersrum, Organisationsteam Pride Klagenfurt

Montag, 17. Februar
18:00 Workplace Equality for All | Präsentation des Theaterstücks
19:00 Businesstalk und Gespräch | Vorstellung des Netzwerks Pride Biz Organization Austria/LGBTI

Dienstag, 18. Februar
19:00 Nina Dragičević: The Music Between Them – Musik in lesbischen Communitys | Lecture und Musik
20:00 Doris Leibetseder: Express yourself | Video-Lecture zu ihrem Buch ”Queere Tracks”

Mittwoch, 19. Februar
18:00 Filmscreening kroatischer queerer Kurzfilme
19:30 Filmscreening österreichischer queerer Kurzfilme
20:30 Gespräch mit den RegisseurInnen und der AG Queerfilmtag(e) Kärnten

Donnerstag 20. Februar
Next generation? Alles Familie!
16:00 My Rainbow Family | Buchpräsentation und Schmökern
17:00 märchenhaft anders! | Szenische Lesung
18:00 Gespräch mit dem Netzwerk FAm.O.S Regenbogenfamilien in Kärnten und dem  Mädchenzentrum Klagen­furt über Sichtbarmachung und Vernetzung

Freitag, 21. Februar
15.00 – 17.00 Biografie Workshop mit Rosalia Kopeinig
18.00 Transkultureller Dialog
19.00 Fierce Women | Kartenspiel

„Mapping the Unseen“ wird vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert. Weitere finanziell unterstützende Partner sind der Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds KWF und das Land Kärnten. Katrin Ackerl Konstantin ist an der Abteilung „Personal, Führung und Organisation“ der Universität Klagenfurt angegliedert.

Zur Person

Katrin Ackerl Konstantin, geboren 1970 in Mödling bei Wien, ist Künstlerin und Wissenschaftlerin. Ihre Schauspielausbildung absolvierte sie von 1990 bis 1994 am Konservatorium für Musik und darstellende Kunst Wien. 2013 schloss sie ihr Studium der Psychologie ab, das sie an den Universitäten in Wien und Klagenfurt betrieb. Seit 2019 absolviert sie ein Doktoratsstudium an der Universität Salzburg mit dem Schwerpunkt „Wissenschaft und Kunst“. Katrin Ackerl Konstantin arbeitet als Schauspielerin und Regisseurin sowie als Forscherin im Bereich Partizipation und Performativität. Ihre Engagements führten sie neben vielen anderen an die Volksoper Wien, das Stadttheater Bozen, das Festspielhaus Bregenz, das Tanztheater Zentrum Graz, und an die neuebuehnevillach, deren künstlerische Leitung sie von 2002 bis 2007 innehatte. Bis 2019 leitete sie auch das Theaterfestival Spectrum. Seit 2011 verantwortet Katrin Ackerl Konstantin das interdisziplinäre Format schau.Räume. Seit 2013 Vortragstätigkeit und Lehrveranstaltungen an den Universitäten Klagenfurt, Wien (Universität Wien/ Theaterwissenschaft, Sigmund Freud Universität Wien/Universität für Musik und darstellende Kunst Wien), Aarhus, Mexico City und Brno, sowie Publikationsbeiträge. Katrin Ackerl Konstantin war von 2011 bis 2013 Fachbeirätin im Bereich Darstellende Kunst Kärnten, seit 2014 ist sie Ersatzmitglied. Sie erhielt mehrfache Auszeichnungen, Prämien und Förderungen von Bund, Land Kärnten und den Städten Wien und Villach.


Katrin Ackerl Konstantin | Portraitfoto

Fotos zum Download. Fotografenhinweis: Nina Đurđević