Volksschule 24 | Foto: Hans Karl Peterlini

„Sprache hat nie den Zweck perfekt zu sein“

Anhand der zweisprachigen Volksschule 24 in Klagenfurt erforscht das Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, wie sich Mehrsprachigkeit auf die Schülerinnen und Schüler auswirkt.

In der einen Woche wird im Unterricht nur Deutsch gesprochen, in der darauffolgenden Woche nur Slowenisch. Dieses Modell ist für viele Schülerinnen und Schüler der Volksschule 24 (VS 24) in Klagenfurt anfangs ungewohnt, kommen sie doch aus unterschiedlichen familiären Umfeldern: einerseits aus rein slowenisch- oder deutschsprachigen Familien, andererseits aus zweisprachigen Familien. „Das Schulmodell ist anders, weshalb wir ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen haben, um Momente des Lernens an einer zweisprachigen Schule zu verstehen und davon abzuleiten, was diese Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit mit den Kindern und Familien über die Schule hinaus macht“, erzählt Hans Karl Peterlini.

Gemeinsam mit Studierenden hat er Interviews mit Eltern und Lehrkräften geführt und beobachtet, wie es den SchülerInnen im Unterricht geht. Für die Forschenden war interessant zu sehen, was ein Glücksgefühl auslöst, wo es Blockaden oder Hemmnisse geben kann und wo sich Kinder gegenseitig helfen.

Viele Eltern, die die zweisprachige Schule für ihr Kind erwägen, sorgen sich, dass die Kinder von dem Unterrichtsmodell der VS 24 überfordert sind. „Die Schule entwickelt ihre didaktische Methodik stetig weiter, so dass sowohl Kindern als auch Eltern Unsicherheiten genommen werden. Vieles geschieht spielerisch und ist mit Spaß verbunden. Auch für uns war es erstaunlich zu sehen, wie schnell die Kinder in das System hineinwachsen und sich zurechtfinden“, so Peterlini. Ganz automatisch „switchen“ die Kinder mit der Zeit zwischen den Sprachen – je nachdem mit wem sie sich unterhalten.

Oftmals wird bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern eine Vermischung der Sprachen befürchtet, so dass weder die eine noch die andere wirklich gut erlernt wird. Dem setzt Peterlini entgegen: „Diese Bedenken sind sprachwissenschaftlich widerlegt. Es gibt einen Moment des Übergangs, der oft sehr kreativ ist, d. h. einzelne Wörter werden oft in der falschen Sprache verwendet aber – grammatikalisch – richtig eingesetzt. Das ordnet sich mit der Zeit immer mehr.“

Die Mehrsprachigkeitsforschung belegt außerdem, dass das Gehirn durch mehrere Sprachen angeregt wird, in verschiedenen Systemen zu denken. So müssen unterschiedliche Buchstaben oder unterschiedliche Aussprachen gelernt werden. Das Gehirn muss zwischen diesen Systemen wechseln und lernt so, zwischen unterschiedlichen Denkmustern zu kommunizieren, diese in Verbindung zu bringen, aber auch zu unterscheiden. Das trifft in weiterer Folge auch bei Denkprozessen zu, die nichts mit Sprache zu tun haben. Studien zeigen, dass Menschen, die mehrsprachig aufwachsen, eine größere gedankliche Flexibilität und Problemlösungskompetenz entwickeln.

Zwei- oder Mehrsprachigkeit wird in unserer Gesellschaft zunehmend positiv gesehen. Dass dies aber nicht immer so war, beschreibt Hans Karl Peterlini: „Im 19. Jahrhundert war es gängige Meinung, eine zweite Sprache verderbe den Charakter und ‚beschädige‘ die Erstsprache. Nur der einsprachige Mensch habe einen edlen und klaren Charakter. Diese Idee war bestimmend für die Ausbildung des Nationalgedankens: ein Volk, eine Sprache, eine Nation!“ Ziel war es, eine Sprache in Perfektion zu erlernen. Minderheiten und ihre Sprachen hatten und haben in dieser Ideologie keinen Platz. Die Mehrsprachigkeitsidee vertritt eine konträre Position: Sprache wird (fast) nie in Perfektion erlernt. Aber die zweite Sprache bereichert die erste. Das kann zur Folge haben, dass beide Sprachen nicht auf höchstem Niveau gesprochen werden, aber „Sprache hat nie den Zweck perfekt zu sein, sondern den, sich verständigen zu können“, ergänzt Peterlini.

Wenn Minderheiten nicht geschützt werden und ihre Sprache nicht akzeptiert wird, kommt es vor, dass sie ihre Erstsprache nur im Privaten sprechen, aus Angst benachteiligt zu werden. „Sprache schafft Identität. Wenn ich also den Eindruck habe, dass meine Sprache minderwertig ist, dann bin ich in meiner Sprache nichts und dann muss ich sie verleugnen“, erklärt Peterlini. „Aus der Mehrsprachigkeitsforschung wissen wir außerdem – und das ist auch für den Schulunterricht wichtig –, dass die Anerkennung der Erstsprache essenziell ist, um in der Zweit- oder Drittsprache gut voranzukommen und auf ein bildungssprachliches Niveau zu kommen.“ Die Stellung der slowenischen Sprache in Kärnten war lange Zeit schlecht, einerseits weil die Beziehungen zu Ex-Jugoslawien schwierig waren, andererseits weil das Slowenische lange Zeit eine Sprache ohne eigenes Land war. Umso mehr bedeuten Schulen wie die Volksschule 24 eine Stärkung für slowenischsprachige Familien. Die Schule sei Ausdruck dafür, dass es einen Wandel hin zur Akzeptanz der Mehrsprachigkeit in Kärnten gibt. „Slowenisch wird immer mehr als Sprache angesehen, die eine Berechtigung in Kärnten hat“, so Peterlini.

Zur Person

Hans Karl Peterlini, geboren in Bozen, ist Vorstand am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft und Universitätsprofessor für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Interkulturelle Bildung. In seinen Forschungsarbeiten widmet er sich der Bildungs- und Lernforschung, inter- und transkulturellem Lernen und Themen der Mehrsprachigkeitsforschung.

Hans Karl Peterlini | Foto: Hans Karl Peterlini

Kurz nachgefragt bei Eduard Oraže

Der Direktor der Volksschule 24 über den zweisprachigen Unterricht an seiner Schule.

Wie hoch ist der Anteil an Kindern aus zweisprachigen bzw. einsprachigen Familien?

Bei ungefähr einem Drittel der Schülerinnen und Schüler ist Slowenisch die Familiensprache.
Bei den restlichen Kindern wird zuhause Deutsch gesprochen, wobei es bei einem Drittel Berührungspunkte zum Slowenischen gibt – sei es, dass sie im zweisprachigen Kindergarten waren oder es slowenischsprachige Verwandte gibt.

Wie profitieren Kinder von dem zweisprachigen Unterrichtsmodell an Ihrer Schule?

Wir bekommen sehr oft das Feedback von Gymnasien und Neuen Mittelschulen, dass sich unsere ehemaligen Schülerinnen und Schüler beim Erwerb von Englisch und anderen Fremdsprachen leichter tun. Sie haben eine höhere ‚Frustrationstoleranz‘, weil sie es gewöhnt waren, anfangs nicht viel zu verstehen.

Welche Rolle spielen die Eltern beim Lernen einer Zweitsprache?

Eine sehr wichtige Rolle. Wenn sie dem Kind vermitteln, dass sie es gut finden, eine andere Sprache zu lernen, dann kommt es zu einer positiven Verstärkung und die Kinder sind viel motivierter und mit Eifer dabei. Dazu kommt, dass unser Elternverein sehr engagiert ist und Slowenischkurse für deutschsprachige Eltern bzw. Deutschkurse für slowenischsprachige Eltern organisiert. So entwickeln auch die Eltern ein Gespür für die jeweils andere Sprache.

für ad astra: Katharina Tischler-Banfield