Gifte, Tränke und Amulette: Über adelige Magierinnen vor Gericht

„Hoc est enim corpus meum“, „Das ist mein Leib“ spricht der Priester während der Wandlung in der katholischen Kirche. Dass jemand, der kein Latein versteht, daraus unter Umständen die Zauberformel „Hokuspokus“ ableiten kann, ist denkbar. So nah, wie diese beiden Sprüche akustisch beieinander liegen, sind auch Religion und Magie im Mittelalter miteinander verbunden, wie Olivia Mayer, Universitätsassistentin am Institut für Geschichte an der Universität Klagenfurt, erklärt. Sie untersucht Magieanschuldigungen und -anklagen gegen adelige Frauen im Spätmittelalter in England und Frankreich und stößt dabei auch immer wieder auf Religiöses. „Jeder, der damals Theologie studiert hat, wird auch ein bisschen Magie mitbelegt haben“, erläutert sie und macht damit deutlich: „Das Mittelalter ist deutlich vielfältiger und bunter, als wir es gemeinhin kennen.“

Den nächsten erstaunlich anmutenden Fakt schiebt sie gleich nach: „Ich untersuche, wie Magieanschuldigungen verwendet wurden, um politisch aktive Frauen mundtot zu machen.“ Wir fragen nach, welche Frauen im Mittelalter sich politisch engagierten und erfahren: „Die Frauen, die ich untersuche, sind familiär so königsnah aufgestellt, dass sie Land besitzen und entsprechende Befugnisse und Mitspracherechte haben. Sie sind oft direkte Vasallinen des Herrschers oder regieren als Ehefrauen, Witwen oder Regentinnen stellvertretend für abwesende Ehemänner und minderjährige Söhne.“

Auf den Höfen kamen sie immer wieder in Kontakt mit Magie, lag alles Magische doch im Trend der Zeit. „Das Mittelalter ist sehr von einem Glauben an etwas durchdrungen. Auch Menschen, die nicht geglaubt haben, schlossen sich einer Glaubensgemeinschaft an, weil man allein nicht überlebensfähig war. Die Magie war dabei omnipräsent.“ Ähnlich wie heute das Esoterische war die Magie damals ein wichtiger Wirtschaftszweig, wie sich beispielsweise aus Gerichtsakten herauslesen lässt. Personen haben Tränken oder magische Amulette hergestellt, um ein zusätzliches Einkommen zu haben. Jede und jeder, der oder die etwas auf sich hielt, ließ ein Horoskop anfertigen, um mit Hilfe der Sterne in die Zukunft zu blicken.

Dass das Magische gleichzeitig etwas war, wogegen nicht nur Kleriker vorgehen mussten, liegt an der Angst der Herrscher, wie Olivia Mayer erklärt: „In den Anklagen lesen wir, dass den Frauen vorgeworfen wurde, dem Herrscher mit Magie schaden zu wollen.“ Darin läge auch ein wichtiger Unterschied zu den angeklagten Männern: Während bei Männern die Magie häufig ein Nebendelikt war, konnten Frauen schon allein aufgrund der Magie gegriffen werden. Dennoch hält Mayer die Tatsache, dass Frauen angeklagt wurden, für einen wichtigen Schritt in der Geschichte der Gleichstellung der Geschlechter: „In England galten Frauen lange als schwierige Rechtsgruppe, weil man in Frage stellte, ob sie mündig oder unmündig seien. Mit den Magieanklagen gegen adelige Frauen wurden sie erstmals strafrechtlich belangt, auch mit der Konsequenz, hingerichtet zu werden. Das ist natürlich schrecklich, gleichzeitig aber auch ein Meilenstein zur Gleichstellung. Wenn man belangt wird, kann man auch mehr Rechte für sich einfordern.“ Die neuen Formen der Anklagen und der Rechtsprechung breiteten sich auch in anderen Ländern aus; etwas, das sich in den im Spätmittelalter stark miteinander vernetzten Ländern England und Frankreich gut zeigen lässt.

Olivia Mayer weiß seit ihrer Zeit als Teenager, dass sie sich mit dem Mittalter oder der Frühneuzeit beschäftigen möchte, mit einem speziellen Fokus auf England. „Schon die Geschichte von Heinrich VIII., der sechs Frauen hatte und zwei davon umbringen ließ, ist fesselnd. Das Mittelalter überrascht und verblüfft mich jeden Tag aufs Neue“, erzählt sie. Mayer hat dafür im Bachelor Geschichte und Germanistik an der Universität Heidelberg und am Trinity College Dublin studiert; danach folgte das Masterprogramm Global History in Heidelberg. In der geschichtswissenschaftlichen Arbeit sieht sie auch einen hohen Wert für die europäische Identität: „Wir legen in Europa so viel Wert auf unsere Kultur. Ich glaube, wir würden einen Teil unserer Identität verlieren, wenn unsere Branche, die Geschichtswissenschaft, nicht mehr unterstützt werden würde.“ Damit sie noch mehr darüber entdeckt, warum wir heute sind, wer wir sind, unternimmt sie während der lehrveranstaltungsfreien Zeit Archivreisen. Zwei dieser Reisen haben sie bereits nach England geführt, wo sie neue Originaldokumente aufgespürt hat. Im nächsten Jahr möchte sie sich nach Frankreich aufmachen. Eineinhalb Jahre hat sie noch Zeit, das Doktorat innerhalb ihrer Stelle als Universitätsassistentin abzuschließen. Gefragt nach ihren Zukunftsplänen erzählt sie: „Ich bin Realistin. Ich komme aus einem Haus, wo man mir eher zu einer Ausbildung geraten hat. Das Studium hat mich aber in seinen Bann gezogen, und auch der Zirkel an Menschen, mit denen man an einer Universität zu tun hat. Sollte ich nicht das Glück einer wissenschaftlichen Karriere haben, kann ich mich auf meine Skills besinnen, die ich bis hierher gewonnen habe: Die Recherche- und Vermittlungskompetenzen kann ich auch anderswo einsetzen.“

Auf ein paar Worte mit … Olivia Mayer



Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin wären?
Schreinerin/Tischlerin oder Gärtnerin

Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
Meine Eltern schon, aber viele andere in der Familie können das nicht richtig greifen

Was machen Sie im Büro morgens als Erstes?
Wasser auffüllen und einen Blick in das Mail-Postfach werfen

Was bringt Sie in Rage?
Wenn Arbeit und Mühe nicht anerkannt werden

Was beruhigt Sie?
Meine Entspannungsplaylist mit klassischer Musik

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Schwierig; ich muss mich schon zwingen frei zu nehmen und das Abschalten der Gedanken setzt erst nach ein paar Tagen ein und beginnt leider schon kurz vor dem Ende des Urlaubs wieder

Wovor fürchten Sie sich?
Altersarmut

Worauf freuen Sie sich?
Eine spannende Zukunft, die ich aufgrund meines Berufes noch selbst bestimmen kann – ein Vorteil all der beruflichen Unsicherheiten