Anna Schober | Foto: photo riccio im Museum Moderner Kunst Kärnten

„Filme können über Populismus reflektieren, weil sie in einer Komplizenschaft mit ihm stehen.“


Anna Schober, Professorin für Visuelle Kultur, hat für einen aktuellen Artikel zwei Filme und die darin vorgestellten Figuren beleuchtet. Sowohl im 1941 erschienenen Film „Meet John Doe“ als auch im 2017 erschienenen „Chez Nous“ sind es Amateur*innen aus dem Volk, die mit der politischen Maschinerie nichts zu tun haben und dann von populistischen Parteien auserkoren werden, ihnen als Führer*innen zu dienen. Uns erklärt sie im Interview, was wir aus diesen Darstellungen – auch für das reale politische Geschehen – lernen können.

Was haben die Figuren, mit denen Sie sich beschäftigt haben, gemeinsam?

John Doe, gespielt von Gary Cooper, ist ein arbeitsloser Landstreicher, der während der Depression in den USA eine Allerweltsfigur war, mit der sich viele identifizieren konnten. Pauline Duhez, die Hauptfigur des französischen Films, ist eine alleinerziehende Mutter und mobile Krankenschwester, die zwischen ihren vielen Pflegeaufgaben hin- und hergerissen ist. Sie verkörpert also eine Figur, die wir in unserer Gegenwart sehr gut kennen. Die beiden Filme haben nun gemeinsam, dass die Hauptfigur von einer populistischen Partei „entdeckt“ und als deren Führerfigur aufgebaut wird, wobei es immer andere, politische Profis bleiben, die hinter den Kulissen die Strippen ziehen.

Welche Merkmale machen diese Figuren als populistische Führerpersönlichkeiten erfolgreich?

Sie sind Amateur*innen, die eigentlich keine Erfahrung im politischen Handwerk haben. Sie sind besonders authentisch und von einem gewissen Gemeinwohlspirit beseelt. Sie schüren Emotionen, vor allem aber Resonanz beim Publikum – wobei Sympathien rasch in Hass und Ressentiment umschlagen können – und sie stechen dadurch hervor, dass sie körperlich sehr präsent sind und sich in ihnen viele kollektive Geschichten kreuzen. Sie sind Attraktor*innen. Das alles sind wichtige Eigenschaften heutiger Populist*innen.

Die Figuren haben auch dieselben Probleme, die viele Menschen plagen.

Ja, sie verkörpern Randgruppen und Problemlagen, die zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Der Populismus positioniert sich auch immer gegenüber der Elite. Was wir hingegen als Elite definieren, ist wandelbar. Bei John Doe wird die Elite durch Intellektuelle, die traditionellen Medien, das Großunternehmertum und das traditionelle politische Spektrum, aber auch faschistische Unternehmer, verkörpert, die auch für die wirtschaftlich katastrophale Lage des Landes verantwortlich gemacht werden. Bei Pauline Duhez sind es die Wall Street, die Zentralbanken und die etablierten Parteien, die sich in Frankreich zu wenig um die Probleme der ländlichen Regionen kümmern und vermischt werden mit „aggressivem Islam“ und „Sozialschmarotzertum“.

Gibt es dabei Parallelen zu unserer heutigen Realität?

Ja, heute haben viele Populist*innen die Pharmaindustrie und die Virolog*innen als Feindbilder auserkoren. Wir sehen auch hier – wie im Film – ein Zurschaustellen des Niederen, wie wir es zum Beispiel anhand der tragischen Posse rund um das Pferdeentwurmungsmittel erkennen können.

Die gesellschaftliche Stimmung ist aktuell sehr aufgeheizt. Spielt das den Populist*innen in die Hände?

Ich glaube, dass die Pandemie keine gute Situation für Populist*innen ist, da sie sich zwar als das Sprachrohr des Volkes inszenieren können, aber viele Menschen aus dem Volk erkennen, dass wir die Eliten brauchen: Wir brauchen die Wissenschaft, die gemeinsam mit Politik und Wirtschaft an medizinischen und gesellschaftlichen Lösungen arbeitet. Das Problem gegenwärtig ist, dass Wissen in Zusammenhang mit der Pandemie nur langsam zur Verfügung steht, wiederholt Revisionen unterworfen ist und damit nur sehr vermittelt handlungsleitend sein kann. Das spielt Populist*innen wiederum in die Hände, die schnelle und einfach verständliche Lösungen anbieten.

Der Populismus produziert starke Bilder und kann damit auch starke Emotionen auslösen. Inwiefern zeigt sich das in den von Ihnen untersuchten Filmen?

Wir sehen hier ein Zusammenspiel vieler Faktoren: Einerseits steht das gute Aussehen von Gary Cooper in Kontrast mit den zerrissenen Jeans, die man in den 1940er Jahren noch nicht cool fand. John Doe spielt folkloristische Lieder auf der Mundharmonika und tritt mal schüchtern, mal rau und resolut auf, wenn es sich von dem Establishment abheben möchte. Ähnlich ist es auch bei Pauline Duhez der Fall. Aus dieser Spontaneität und Authentizität, die sich vom „alten“ politischen Betrieb abzuheben scheint, ergibt sich ein Charisma, das Menschen stark emotionalisiert. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Selbstoffenbarung: Wir bekommen Einblick in den Menschen „hinter der Bühne der Politik“ und was ihn oder sie bewegt.

All das ist, sowohl im Film als auch in der Realität, nur Inszenierung. Inwiefern ist das relevant für den Erfolg von Populismus?

Es ist egal, dass die Figuren, ihre Geschichten, ihr Habitus und ihre Botschaften im Film auch als fabriziert dargestellt sind. Die Menschen wissen, dass all das erfunden ist; ihre Imagination wird aber angeregt und eine momenthafte Resonanz erzeugt. Ähnliches sehen wir auch bei populistischen Politiker*innen in unserer Realität.

Seit wann gibt es solche populistischen Inszenierungen?

Der Populismus war in den USA der Zwischenkriegszeit eine wichtige politische Strömung. Zu dieser Zeit passte John Doe perfekt, der sich gegen die formellen und altbackenen Politiker der damaligen Zeit positionierte. Er steht für ein Subjektmodell der Hochmoderne von 1920 bis 1960, wo man sich in große Organisationen und Parteien einfügte. Damals initiierten Populisten zum Beispiel in den USA, dass ein Pensionsversicherungssystem aufgebaut wurde. Nach Europa kam der Populismus erst in der jüngeren Vergangenheit. Interessant ist auch, dass wir mit Pauline Duhez eine Figur vorgeführt bekommen, die eine Frau ist.

Warum eignen sich Frauen für den Populismus?

Subjektmodelle verkörpern ein ideales Selbst in der Gesellschaft, das sich vor allem gegenüber früheren, veralteten Subjektmodellen positioniert. Das Subjektmodell der Gegenwart ist weiblich, vielleicht sogar queer. Das Weibliche eignet sich dafür besser, weil es als fluider und stärker auf immer neue Anpassungen ausgerichtet vorgestellt wird. Duhez kann die Anpassungsfähigkeit sehr plakativ darstellen, weil sie als zwischen verschiedenen Anforderungen stehend inszeniert wird (als Mutter, als Krankenschwester, als Geliebte, als Tochter und als Politikerin) und sich dabei selbst immer wieder neu erfindet.

In welchem Verhältnis stehen Filme zum Populismus?

Filme haben die Möglichkeit vorzuführen, wie Populismus funktioniert, welche Arten von Persönlichkeiten und Führerfiguren aufgebaut werden, aber auch, welcher – ein eher populistischer oder ein eher technokratischer –Stil von Politik gefördert wird, welche Bühnen bespielt werden und welches Hintergrundpersonal tätig ist. Der Film kann über Populismus reflektieren, weil er auch in einer Komplizenschaft mit ihm steht. Es sind ja Filmschauspieler*innen, die unter Einsatz ihres Körpers und Gesichts – und der Zurschaustellung des Niederen – dem Populismus ein Gesicht, einen Habitus, eine Haltung verleihen.

Zur Person



Anna Schober ist Professorin für Visuelle Kultur am Institut für Kulturanalyse. Ihr Schwerpunkt liegt auf den Bereichen populäre Bildmedien (Film, Fotografie und Ausstellungsästhetik) und Bildende Kunst, insbesondere der Moderne und Gegenwart. Zuletzt führte sie ein von der DFG gefördertes Projekt zu „Everybody“ durch, das sind Figuren, die von Filmen, Literatur, bildender Kunst, aber auch von der Politik, der Werbung und im Internet eingesetzt werden, um „alle“ anzusprechen.

Dieses Interview bezieht sich auf die folgende Publikation von Anna Schober:
Schober, Anna. 2021. “Mediators of Public Resonance: Cinematic Reflections on the Role of Iconic Figures of the ‘Everybody’ in Populist Political Processes.” Redescriptions: Political Thought, Conceptual History and Feminist Theory 24(2): 92–109. DOI: https://doi.org/10.33134/rds.321