„Emotionen sind im professionellen Kontext omnipräsent, aber häufig schwer zugänglich.“

Wie werden Emotionen im gemeinsamen Tun hergestellt? Lukas Baumann untersucht, wie und welche Emotionen in der Interaktion von Geflüchteten und Sozialarbeiter:innen hergestellt werden. Sein Feld sind Geflüchtetenunterkünfte, in denen, so Lukas Baumann, „natürlich die gesamte Bandbreite von Gefühlen präsent ist“.

Lukas Baumann ist selbst gerne mobil. Er hat in Kassel, Mainz, Istanbul, Coburg und Wien Soziologie, Ethnologie sowie Soziale Arbeit studiert. Im Juli 2021 brach er aus Mainz, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kontext der Psychiatrie ethnografisch geforscht hat, nach Klagenfurt zum Bewerbungsgespräch für die Stelle als Universitätsassistent am Arbeitsbereich für Transnationale Migrations- und Solidaritätsforschung auf. Wenige Wochen später trat er seine neue Stelle in Klagenfurt an. Die Geschichte zeigt: Mobilität ist ein normales Phänomen; in vielen Bereichen wie beim Urlaub oder bei Umzügen aufgrund von neuen beruflichen Chancen auch ein positiv besetztes Phänomen. „Meine freiwillige Mobilität steht natürlich in einem krassen Gegensatz zu Fluchtmigrationserfahrungen.“ Lukas Baumanns Perspektive auf die Fluchtforschung definiert er als postmigrantisch: „Ich will keinen ‚Sonderbereich‘ herausnehmen, obgleich Fluchtmigration sehr wohl eine außerordentlich komplexe Form der Migration darstellt, sondern einen breiteren Blick einnehmen. Mir ist es wichtig, die besonders herausfordernde Normalität von Menschen in Bewegung im Kontext Flucht aufzuzeigen – einen wichtigen Part spielen hierbei eben auch die Sozialarbeiter:innen und andere professionelle Bezugsgruppen. Mich interessiert vor allem die Interaktion zwischen Menschen, wobei die strukturelle Ebene natürlich viel vorgibt. Eine Rolle spielt auch die Frage: Wie kann und darf man sich überhaupt fühlen? Wir haben ja schließlich keine inklusive Gesellschaft, sondern ein Integrationsparadigma.“

Aktuell forscht Lukas Baumann ethnographisch in den Settings der stationären Unterbringung für hauptsächlich junge Geflüchtete. Dafür ist er für ein Jahr in ganz Österreich unterwegs. Er spürt dabei den Emotionen nach, die in der Interaktion zwischen Geflüchteten und Sozialarbeiter:innen gegenwärtig sind: „Ich forsche teilnehmend beobachtend und führe Tür-und-Angelgespräche.“ Sein Emotionsverständnis spannt sich dabei zwischen der Psychoanalyse und der Soziologie bzw. der Phänomenologie auf. Mit seinen Zugängen versucht er zu fassen, was oft im Vagen und Sich-Verflüchtigenden bleibt: „Wenn man jemanden direkt fragt: ‚Wie fühlen Sie sich jetzt gerade?‘, kommt häufig wenig dabei heraus. Ich beobachte, was passiert und versuche Emotionspraktiken zu folgen; begleitend versuche ich Emotionen, die narrativ in kurzen und längeren Gesprächen durchschimmern, szenisch einzufangen.“

Das Setting kennt Lukas Baumann auch aus seiner eigenen beruflichen Erfahrung. Zweieinhalb Jahre hat er selbst als Sozialarbeiter in Geflüchtetenunterkünften gearbeitet. „Mein Forschungsanliegen resultiert aus diesen Erfahrungen heraus, dass Emotionen im professionellen Kontext eher etwas Unterdrücktes sind. Es fällt schwer, Gefühlsregeln zu verstehen, sich selbst zu reflektieren und Gefühle in die Kontexte sozialer Praktiken, institutioneller Logiken und gesellschaftlich geführter Diskurse einzuordnen“, erzählt er. Supervision gäbe es in diesem Berufsfeld nicht immer – und dort, wo es sie gibt, reicht sie nicht aus. „Oft geht sie auch nicht über die Besprechung von einzelnen Fällen hinaus, weil im professionellen Kontext Rationalität vs. Emotionalität oft als gegensätzliches Begriffspaar verstanden wird.“

Lukas Baumann geht mit großer Offenheit in sein Forschungsfeld. Ähnlich offen sieht er auch seinen beruflichen Weg, der für ihn auch bisher eine große Bandbreite bereithielt. „Ich möchte mir mögliche Anschlussstellen offenhalten, in der Wissenschaft und außerhalb“, erzählt er uns. Themen gäbe es viele, weil: „Fluchtmigration ist ein globales Phänomen, das uns zunehmend beschäftigen wird. Und in vielen Bereichen zeigt sich eine gesteigerte Auseinandersetzung mit Emotionen.“

Auf ein paar Worte mit … Lukas Baumann



Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftler wären?

Da kann ich mich gar nicht entscheiden – die Auswahl ist groß!

Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?

Das Konzept der Emotionsarbeit hat sie jedenfalls vollständig überzeugt.

Was machen Sie im Büro morgens als Erstes?

Mails und Kaffee

Was bringt Sie in Rage?

Stoische Ignoranz und Intoleranz

Was beruhigt Sie?

Das Klavier von Emahoy Tsegué-Maryam Guébrou

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?

Manchmal gelingt das erschreckend gut!

Wovor fürchten Sie sich?

Vor dem Ampelsystem in Klagenfurt

Worauf freuen Sie sich?

Auf gute Aussichten und Frohsinn