Liebe | Foto: annette schaff/Fotolia.com

Von der Unmöglichkeit der Liebe und der Notwendigkeit, aktiv zu lieben

Der Psychologe Michael Wieser (Institut für Psychologie) ist Mitherausgeber eines Themenhefts zum Schwerpunkt „Lieben“ der Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Im Interview erklärt er, warum es sich leichter mit dem „Lieben“ wissenschaftlich arbeiten lässt als mit der „Liebe“ und warum er eine stete Entscheidung zum aktiven Lieben als Basis für funktionierende Beziehungen hält.

Die Sehnsucht des Menschen nach Liebe und Anerkennung wird in der Literatur häufig als Triebfeder menschlichen Handelns beschrieben. Wie sehr setzt sich die akademische Psychologie damit auseinander?

Das Thema steht leider nicht hoch im Kurs, was aufgrund vieler Aspekte fast ein wenig absurd anmutet. Mir war es aber schon länger ein Anliegen, mich mit etwas positiv Bewegendem wie der Liebe oder dem Lieben auseinanderzusetzen. Bisher habe ich unter anderem zu Gewalt und Gewaltprävention gearbeitet. Für dieses Themenheft, an dem viele mitwirkten, die aus der Psychotherapie kommen, war es auch eine Herausforderung, das Positive im Blick zu behalten und nicht von dem Konflikthaften überschatten zu lassen.

Was ist Ihre Ausgangshypothese, bzw. was ist für Sie Liebe?

Ich halte mich da an Erich Fromm, der gesagt hat: Liebe als Nomen ist fast unmöglich zu definieren. Für ihn gibt es nur das „Lieben“ als Verb, also als Tätigkeit. Für glückvolles „Lieben“ braucht es Menschen, die aktiv etwas dafür tun. Gesellschaftlich gesehen sind heute die meisten Menschen sehr beschäftigt damit, ihre Karriere voranzubringen, Geld anzuhäufen und an ihrem Prestige zu arbeiten. Die Beziehungen gehen meist nebenher, und häufig in Brüche. Lieben ist aber etwas Kontemplatives, das auch mit vielen Mühen einhergeht und Energien bindet, die heute vielfach anderswo eingesetzt zu sein scheinen.

Bietet unsere Gesellschaft heute aber wenigstens gute Rahmenbedingungen, sich selbst zu lieben?

Naja, das biblische Prinzip „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ wird manchmal missverstanden, indem viele daran arbeiten, ihre Ich-Aktie höher zu treiben. Diese Angewiesenheit auf Anerkennung von außen, die in uns allen liegt, kann so auch problematische Blüten treiben und zu etwas Narzisstischem werden. Das ist auch nicht immer gesund.

Ist man heute also zu narzisstisch, um beziehungsfähig zu bleiben?

Ich halte das „Zeitalter des Narzissmus“ und was damit begrifflich einhergeht auch für eine Modeerscheinung in der Debatte. Was aber durchaus gehaltvoll ist, ist die Verbindung zu unserem Gesellschaftssystem, das uns auf ganz unterschiedlichen Ebenen prägt. Egal, ob wir nun im Kapitalismus oder in irgendwelchen Post-Formen leben, geblieben ist uns der Konsumismus. Dieses Prinzip wirkt sich auch auf die Liebe aus: Liebe ist vielerorts zu etwas geworden, das man kurzfristig konsumiert, das man verkaufen und kaufen kann, das man buchhalterisch in einer Beziehung abrechnet. Man fragt sich: Was bekomme ich, was bekommst du? Das ist wenig romantisch.

Seit wann gibt es wissenschaftliche Literatur aus der Psychologie zum Lieben?

Ich würde sagen, seit rund 120 oder 130 Jahren. Marquis de Sade oder Freud haben sich mit dem Lieben beschäftigt, wenngleich sie Liebe für mich auch nicht wirklich verstanden haben. Freud hat zumindest stark zum Thema Sexualität gearbeitet.

Ende des 19. Jahrhunderts war das Konzept, dass man sich verliebt, heiratet, Familie gründet und dann liebend bis an das Ende des Lebens miteinander verbunden bleibt, noch nicht breitenwirksam etabliert. Dieses Lebensmodell ist also relativ jung und – gemessen an den Scheidungsraten – auch relativ wenig erfolgreich. Fragt sich die Psychologie, inwiefern das Konzept zu den Grundbedürfnissen des Menschen passt und ihn psychisch gesund leben lässt?

Für unsere Zeitschrift habe ich gemeinsam mit einer Kollegin den Artikel „The dicatorship of love relationship“ verfasst, der auch auf diese Konflikte eingeht. Es geht darin auch um die Frage, wie es jenen ergeht, die darunter leiden, diese Normen nicht erfüllen zu können. Auch wenn die Traditionen und Normen noch relativ jung erscheinen, wirken sie sehr stark auf uns ein. Gleichzeitig scheinen aber auch die Alternativen beschränkt – und beschränkt glücksbringend – zu sein: Die Modelle von Lebensabschnittspartnerschaften und Patchworkfamilien werfen neue Konflikte auf. Gleichzeitig sind diese Lebensformen aber sehr systemkonform: Die Austauschbarkeit im Berufsleben wird auch im Privaten gelebt.

Bei einer Heirat verspricht man, einander bis zum Lebensende zu lieben. Kann man ein Gefühl versprechen?

Man kann versprechen, sich um eine Begegnung in der Beziehung zu bemühen, in der wiederum Glücksgefühle entstehen. Die meisten Menschen trachten danach, das beizubehalten und weiter zu pflegen. Je nach Lebensumständen ist das Herstellen von Begegnungsmomenten auch viel mit Bemühen verbunden. Das erfordert dann aktives Lieben.

Wie funktioniert „aktives Lieben“?

Vieles basiert auf Gesten, die in zwischenmenschlichen Beziehungen eine wichtige Rolle spielen. Um eine Geste richtig setzen zu können, muss man auch wissen, was dem anderen wichtig ist. Diese Auseinandersetzung ist ein sehr aktiver Prozess, der zum Lieben unabdingbar dazugehört.

Ihr Schwerpunkt ist Psychodrama. Wie ergeht es dieser Methode mit dem Lieben?

Der Begründer Jakob Levy Moreno war kein besonders gutes Vorbild, so prägten zwei gescheiterte Beziehungen sein Leben. Seine letzte große Liebe Zerka Moreno arbeitete aber viel dazu. Sie hat sich beispielsweise schon in den frühen 1940er Jahren damit auseinandergesetzt, wie jungen Eltern dabei zu helfen ist, in die Elternrolle hineinzufinden, damit diese ihre Kinder auch lieben können. Zerka Moreno unterschrieb bis ins hohe Alter von 96 Jahren ihre E-Mails immer mit „Love, …“. Das war ein Markenzeichen von ihr.

Wieser, M. & Spitzer-Prochazka, S. (2018). Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Themenschwerpunkt: Lieben. Jahrgang 17, Ausgabe 1. Wiesbaden: Springer VS.

Zur Person

Michael Wieser ist Assistenzprofessor am Institut für Psychologie. Sein Schwerpunkt ist die Psychotherapieforschung, insbesondere arbeitet er zum Psychodrama.

Michael Wieser | Foto: photo riccio