IfEB-Spotlight Mai 25: Maria Thaller „Gewalt in der Geburtshilfe“

Welches Thema bearbeitest Du und was bedeutet es für Dich?

„Gewalt in der Geburtshilfe: Vom Objekt zum Subjekt – eine kritische Analyse der gegenwärtigen Geburtskultur“

Hier geht es um weit mehr als um ein Forschungsvorhaben – hier werden die Themen Menschenwürde, Frauenrechte, Gerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortung verhandelt.

Im Zentrum meiner Arbeit steht die Frau als aktives Subjekt – mit ihrem Recht auf eine würdevolle und frauenzentrierte Geburt. „Gewalt in der Geburtshilfe“ – in den physischen, psychischen, politischen und strukturellen Facetten von Gewalt – stellt ein fundamentales Hindernis für eine menschenwürdige Begleitung dar. Trotzdem ist dieses Thema immer noch weitgehend von vielen Beteiligten tabuisiert und durch patriarchale Machtstrukturen geprägt, die durch Technisierung, Medikalisierung und ökonomischen Druck zusätzlich verschärft werden. Und in Österreich fehlt es bislang an einer belastbaren empirischen Basis, was einen offenen, interdisziplinären Diskurs um gezielte Verbesserungen erschwert.

Als diplomierte Pflegefachkraft habe ich wiederholt erlebt, wie ungleiche Machtverhältnisse, unreflektierte Routinehandlungen und vieles mehr im geburtshilflichen Alltag die gebärende Frau von einem handelnden Subjekt zum Objekt degradieren – was zu Entmündigungen, übergriffigen oder medizinisch nicht gerechtfertigten Eingriffen führen kann. Aber Frauengesundheit umfasst weit mehr als den körperlichen Aspekt: Sie adressiert stets gleichwertig auch das seelische und soziale Wohlbefinden. Die Geburt ist eine Phase höchster Verletzlichkeit und gleichzeitig ein bedeutsamer Neubeginn, in der jede Frau eine respektvolle, unterstützende und selbstbestimmte Begleitung erwartet und verdient. Eine interventionsarme Geburt fördert nicht nur den physiologischen Rückbildungsprozess und das Selbstvertrauen, sondern legt zugleich den Grundstein für eine starke und liebevolle Mutter-Kind-Bindung und setzt ein kraftvolles gesellschaftliches Zeichen für Würde und Gerechtigkeit. Mit einer wertschätzenden Geburtshilfe, die Frauen als aktive, selbstbestimmte Subjekte anerkennt, prägen wir eine friedvollere und frauengerechte Zukunft.

Wie ist dieses Thema mit Deinem Studium verbunden?

Das Studium der Sozialpädagogik und Sozialen Inklusion an der Universität Klagenfurt/Celovec bietet das theoretische Fundament, um gesellschaftliche Machtverhältnisse und Ausgrenzungsprozesse systematisch zu reflektieren-, durch sozialpädagogische Konzepte wie Ressourcenorientierung, Empowerment-, aber auch durch eine kritische Haltung gegenüber Hierarchien. Das bedeutet für mein Thema: Frauen sollen in der Geburtshilfe nicht länger als passive Objekte medizinischer Eingriffe betrachtet werden, sondern als Expertinnen ihres Körpers, die ihre Bedürfnisse artikulieren, Entscheidungen mitgestalten und sich selbstbestimmt einbringen können. Feministische Theorien sind hierbei eine wichtige Grundlage, um die männlich definierte – Pathologisierung von Schwangerschaft und Geburt kritisch zu beleuchten. Diese Theorien lassen verstehen, wie Frauen durch patriarchale Narrative systematisch entmündigt werden und dass – entgegen allen Menschenrechten – heute als selbstbestimmte Subjekte mit eigenen Perspektiven und Körpererfahrungen weder wahrgenommen noch so respektiert werden.

Ein systemkritischer Blick zeigt zudem, wie stark die Geburtshilfe vom kapitalistischen System beeinflusst wird. Ökonomischer Druck, Zeitmangel und Effizienzlogik führen dazu, dass Geburten oft standardisiert und technisiert werden, anstatt auf individuelle Bedürfnisse einzugehen. Diese Profitlogik verstärkt patriarchale Machtstrukturen und marginalisiert die körperliche und seelische Erfahrung von gebärenden Frauen. Kommunikationstheoretische Ansätze helfen, die Dynamiken zwischen Fachpersonal und Gebärenden besser zu verstehen. Sprache, nonverbale Signale und das Machtgefälle in medizinischen Institutionen bestimmen maßgeblich, ob Frauen als aktive Subjekte respektiert oder in eine passive Rolle gedrängt werden. So erleben gebärende Frauen die Geburt entweder als etwas, das sie selbst aktiv gestalten, oder als ein Ereignis, bei dem sie lediglich ein Objekt sind.  Für mich verbindet sich all das zu einer Vision von Geburtshilfe, die Gerechtigkeit, Chancengleichheit und eine achtsame, dialogische Kommunikationskultur miteinander vereint.

Wie gehst Du im Forschungsprozess vor?

Meine Forschung begann mit einer umfangreichen Literaturrecherche, um den aktuellen Stand der internationalen und nationalen Debatte zu erfassen. Parallel dazu habe ich ein Forschungstagebuch geführt, in dem ich meine Beobachtungen, Gedanken, Reflexionen und Entwicklungsschritte festgehalten habe, um mein Vorgehen kritisch zu hinterfragen und den roten Faden meiner Arbeit stets im Blick zu behalten. Um Interviewpartner:innen über mein Forschungsvorhaben umfassend und transparent zu informieren, habe ich zur Vorbereitung der Interviews einen Folder erstellt, der die Ausgangslage, das Forschungsinteresse und zentrale Punkte der Forschung darstellt.

So habe ich 22 Interviews durchgeführt. Mit geburtshelfendem Personal – sowohl aus dem institutionalisierten als auch aus dem alternativen Bereich – habe ich leitfadengestützte Expert:inneninterviews geführt. Um das umfangreiche Material gezielt zu reduzieren und zentrale Aussagen herauszuarbeiten, habe ich diese anschließend mithilfe der strukturgeleiteten Textanalyse nach Auer/Schmid ausgewertet. Mit betroffenen Frauen, Autor:innen und Vertreter:innen von Interessenvertretungen habe ich narrative Interviews geführt, die ich – je nach Inhalten mit einer Sequenz- oder Systemanalyse ausgewertet habe. So konnte ich nicht nur offensichtliche, sondern auch subtilere und oft schwer zu fassende Formen struktureller Gewalt identifizieren.

Abschließend habe ich alle Ergebnisse in einer SWOT-Analyse gebündelt, um Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken in der aktuellen Geburtshilfe sichtbar zu machen und daraus praxisnahe Empfehlungen für eine frauenzentrierte, gewaltfreie und systemkritische Geburtshilfe abzuleiten. Dieses vielschichtige Vorgehen ermöglicht es mir, sowohl individuelle Erlebnisse als auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen klar zu benennen und daraus konkrete Handlungsansätze zu entwickeln.

Was möchtest Du anderen Studierenden an Erfahrungen und Tipps mitgeben?

Ich möchte Studierenden mitgeben, dass eine Masterthesis weit mehr ist als eine Prüfungsleistung. Sie bietet die Möglichkeit, gesellschaftlich relevante Themen zu bearbeiten und wertvolle Impulse für Veränderungen zu setzen. Besonders hilfreich war für mich ein kontinuierlich geführtes Forschungstagebuch, um meine Gedanken, Beobachtungen, Herausforderungen im Forschungsfeld sowie Unsicherheiten festzuhalten und mich auch in schwierigen Phasen immer wieder neu zu orientieren. Dabei ist es völlig normal, Höhen und Tiefen zu erleben – entscheidend ist, den roten Faden nicht zu verlieren, auch wenn er sich gerne als unentwirrbares Knäuel präsentiert. Mit aktiver Unterstützung und Offenheit für neue Erkenntnisse lässt er sich jedoch entwirren.

Zudem empfehle ich, die Masterarbeit als eigenständiges Projekt zu betrachten und realistisch zu planen. Das Dreieck aus Zeit, Kosten und Qualität bietet eine gute Orientierung und hilft, flexibel auf unerwartete Herausforderungen zu reagieren. Besonders ans Herz legen möchte ich die „10 Gebote zur Feldforschung“ von Roland Girtler, die zu einer offenen, neugierigen und respektvollen Haltung gegenüber dem Forschungsfeld ermutigen. Gerade in der sozialwissenschaftlichen Forschung sind diese Grundhaltungen entscheidend, um nicht nur verlässliche Ergebnisse, sondern auch Vertrauen und authentische Einblicke zu gewinnen. So kann die Masterthesis nicht nur akademischen Ansprüchen genügen, sondern auch einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit, Teilhabe und gesellschaftlichem Wandel leisten. Deswegen werde ich mich bemühen, meine Ergebnisse auch zu publizieren, um sie dem Fachdiskurs und den betroffenen erschließbar zu machen.

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