Marietta Blau-Stipendium für Julia Malik zur Durchführung einer Feldforschung in Kolumbien

Die Doktorandin und Universitätsassistentin Julia Malik hat ein Marietta Blau-Stipendium des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) erhalten. Dieses Stipendium unterstützt ihre Feldforschung in Kolumbien für ihr Promotionsprojekt „Bürger*innen klassifizieren, den Staat updaten: Wie Praktiken digitaler Wohlfahrt Staatlichkeit in Kolumbien prägen“.

Das Stipendium hilft hoch qualifizierten Doktoratsstudierenden, ihre Dissertation durch einen Langzeitaufenthalt im Ausland zu optimieren. Dank des Stipendiums ist es Julia Malik  möglich, einen zwölfmonatigen Aufenthalt in Kolumbien zu absolvieren, um ihre Feldforschung fortzusetzen und sich mit Wissenschaftler*innen an der Universidad del Rosario in Bogotá auszutauschen. Dies wird ihr Promotionsprojekt, das sich mit dem Zusammenspiel von Digitalisierung, Wohlfahrt und Staat beschäftigt, entscheidend voranbringen.

In ihrer Dissertation beschäftigt sich Julia Malik mit einem digitalen Klassifikations- und Informationssystem, das der kolumbianische Staat zur Verwaltung und Verteilung von Sozialleistungen verwendet. Hierbei stellt sie die Frage, wie Praktiken und Materialitäten der digitalisierten Wohlfahrt den Staat formen. Während des Stipendienaufenthaltes wird sie ethnografische Forschungsmethoden anwenden, um zu untersuchen, wie diese digitale Wohlfahrtsinfrastruktur von unterschiedlichen Akteur*innen auf verschiedene Weisen soziotechnisch praktiziert wird. Darüber hinaus wird sie erforschen, wie Technologien und Praktiken rund um diese digitale Wohlfahrtsinfrastruktur den Staat konfigurieren und somit Bürokratie, Sozialpolitik, Wohlfahrtsleistungen und staatliches Wissen mitprägen. Jenseits gängiger Annahmen über Digitalisierung und der häufigen Fokussierung auf deren Folgen für Bürger*innen, widmet sich Julia Malik den vielfältigen, ambivalenten und unerwarteten Auswirkungen von Digitalisierung sowie deren Verflechtungen mit nicht-digitalen Prozessen. Indem sie Digitalisierung als in sozio-materiellen Praktiken hergestellte Multiplizität konzeptualisiert, trägt sie zu STS-Debatten über die Digitalisierung des Staates bei.

Neuerscheinung zur europäischen Biobankeninfrastruktur!

In einem neuen Beitrag in der Zeitschrift Social Studies of Science beschreibt Erik Aarden, wie die unterschiedlichen Bedeutungen der europäischen Biobankeninfrastruktur BBMRI-ERIC beforscht werden können. Der Artikel zeigt, wie verschiedene Bedeutungen von Europa und wissenschaftliche Integration mittels dieser Infrastruktur gemeinsam gestaltet werden.

So genannte transnationale Forschungsinfrastrukturen nehmen eine zunehmend wichtige Position ein in der Forschungspolitik der Europäischen Union und in europäischen Integrationsprozessen generell. In diesem Artikel wird die europäische Infrastruktur für Proben- und Datensammlungen für medizinische Forschung (kurz: Biobanken) BBMRI-ERIC als rezentes Beispiel von institutionalisierter wissenschaftlicher Zusammenarbeit in Europa untersucht, die in der Wissenschaftspolitik der EU wurzelt. Obwohl von BBMRI-ERIC erwartet wird sowohl europäische Forschung als europäische Integration voranzutreiben, werden die Ergebnisse dieser Initiative von beteiligten Akteur:innen unterschiedlich bewertet. In diesem Artikel wird ein theoretisches Rahmenwerk für die Analyse von Forschungsinfrastrukturen vorgestellt, welches eine Betrachtung der unterschiedlichen Bewertungen von BBMRI-ERIC ermöglicht. Der Artikel beschreibt, wie umstritten verschiedene Aspekte der Infrastruktur sind und zeigt so, wie sowohl die Rolle von Wissenschaft in Europa, als auch die Rolle von Europa für die Wissenschaft durchgehend verhandelt werden muss.

Der Artikel ist hier (open access) abrufbar.

 

 

Neuerscheinung! Sonderheft zu „Infrastrukturen des Wertes in der Landwirtschaft“

Werte – sowohl monetäre als auch moralische und soziale wie Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit – erscheinen oft als abstrakt und wenig greifbar. Ein Fokus auf Infrastrukturen verdeutlicht die Materialität scheinbar immaterieller Werte.

 

 

Das Sonderheft „Infrastructures of Value: New and Historical Materialities in Agriculture“ (Ethnos – Journal of Anthropology), herausgegeben von Christof Lammer (Klagenfurt) und André Thiemann (Prag) zeigt, wie Infrastrukturen und Praktiken des Infrastrukturierens den Wert landwirtschaftlicher Güter prägen. Ethnografische Studien aus Asien, Australien und Europa untersuchen die Bewertung von Agrarland und dessen Finanzialisierung, Terroir-Wein und dessen weltweiten Vertrieb in Flaschen, Bio-Zertifizierung und alternative Lebensmittelnetzwerke sowie Wechselwirkungen zwischen Agronomie und Kühlketten. Als materielle Netzwerke ermöglichen, formen oder behindern Infrastrukturen die Zirkulation – sowohl die Bewegung als auch die Transformation – von Menschen, nicht-menschlichen Wesen, Dingen und Ideen. Dabei wirken Infrastrukturen wertbildend, weil durch sie Handlungen und deren Produkte materiell in größere Gesamtheiten eingebunden werden und so Relevanz erhalten. So lenkt das Sonderheft Aufmerksamkeit auf Infrastrukturen: dieser Zugang zur Wirtschaftsanthropologie verleiht der Werttheorie von David Graeber Materialität. Die Erforschung von Infrastrukturen des Wertes bietet so neue Perspektiven, um über die Produktion, Aneignung und Verteilung von materiellem Reichtum nachzudenken.

Inhaltsverzeichnis

Introduction: Infrastructuring Value* von Christof Lammer & André Thiemann

Infrastructures of Farmland Valuation in Australia* von Sarah R. Sippel

Nature’s Value: Evidencing a Moldovan Terroir Through Scientific Infrastructures* von Daniela Ana 

Peasant in a Bottle: Infrastructures of Containment for an Italian Wine Cooperative* von Oscar Krüger

Valuing Organics: Labels, People, and the Materiality of Information Infrastructure in China* von Christof Lammer

Infrastructuring ‘Red Gold’: Agronomists, Cold Chains, and the Involution of Serbia’s Raspberry Country von André Thiemann

Infrastructuring Value Worlds: Connections and Conventions of Capitalist Accumulation von Edward F. Fischer

(Die mit * gekennzeichneten Beiträge sind frei zugänglich.)

Christof Lammer ist Postdoc-Assistent am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der AAU.

Neuerscheinung über Straßen als Grenzobjekte in der transnationalen Modernisierung der Stadtplanung im Iran

In diesem Buchkapitel beschreiben Pouya Sepehr und Erik Aarden wie sich ‚moderne‘ Stadtplanung in den 1950er und 1960er im Iran etabliert hat, und welche Rolle dabei sowohl die Aufnahme von (hauptsächlich amerikanische) Expertise als auch Anpassung dieser an den lokalen Kontext gespielt hat. Unterschiedliche Verständnisse der Bedeutung von Straßen in der gesamten Stadt spielten dabei eine zentrale Rolle. Das Kapitel beschreibt diese Entwicklung anhand von Pläne für die Modernisierung der Städte Esfahan und Sanandaj.

Sepehr, Pouya & Aarden, Erik (2023). Between straight lines and winding alleys: Streets as boundary objects in the transnational modernization of urban planning in Iran. In: De Munck, Bert & Lachmund, Jens, Politics of urban knowledge. Historical perspectives on the shaping and governing of cities. London: Routledge, 179-200.

weitere Infos: https://www.taylorfrancis.com/chapters/edit/10.4324/9781003312628-10/straight-lines-winding-alleys-streets-boundary-objects-transnational-modernisation-urban-planning-iran-pouya-sepehr-erik-aarden?context=ubx&refId=9ace3e5d-2769-451d-84e9-52248523b3a4