„Arbeit ist nicht ortlos geworden.“

Wie werden Digitalisierung und Virtualisierung unsere Arbeitsräume verändern? Caroline Roth-Ebner (Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt) und Mascha Will-Zocholl (Fachbereich Verwaltung an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung) haben kürzlich einen Band zu „Topologies of Digital Work“ herausgegeben. Uns hat Caroline Roth-Ebner erklärt, warum es nicht egal ist, wo man arbeitet.

Viele Berufe ließen sich auch am Strand auf Südseeinseln mit Laptop und Smartphone erledigen. Ist es denn heute egal, wo wir arbeiten?

Nein, das ist nicht egal. Arbeit ist nicht ortlos geworden. Auch wenn wir uns zu einem digitalen Treffen verabreden, gibt es eine physische Co-Präsenz. Wir beide sitzen gerade an Schreibtischen. Es wäre anders, wenn einer von uns beiden am Strand säße, wo auch andere Personen vorbeigehen. Unsere sozialen Praktiken machen unsere Arbeitsräume aus, und diese sind durch räumliche Gegebenheiten beeinflusst.

Wie haben sich die Arbeitsräume in den letzten Jahren verändert?

Ich habe 2014 meine Habilitationsarbeit zur Mediatisierung von Arbeit vorgestellt. Damals, vor acht Jahren, waren Videokonferenzen noch eine Seltenheit. Die Pandemie hat hier sehr viel verändert. Wir verbringen mehr Arbeitszeit online, und unsere Arbeitsräume sind vielschichtiger und vielfältiger geworden. Ich nenne das Beispiel eines Kollegen, den ich gestern online getroffen habe: Er war mit mir in einer Sitzung, und nahm gleichzeitig eine Online-Prüfungsaufsicht wahr. Physisch saß er in seinem Arbeitszimmer im Homeoffice. Wir können also mit Hilfe der digitalen Technologien an mehreren Orten gleichzeitig sein.

Die Arbeit im Homeoffice wird von vielen als effizienter erlebt. Welche Vorteile hat aber das Arbeiten in den Büroräumlichkeiten eines Unternehmens?

In unserem Buch stellen Kolleginnen eine Studie vor, in der die Befragten geäußert haben, dass sie zwar gerne ein paar Vorteile des Homeoffice weiter nutzen würden, aber nicht vollständig von zuhause aus arbeiten wollen.  Wir sehen bei solchen Studien immer wieder, dass der Platz im Unternehmen auch eine Identitätsressource ist. Der Schreibtisch in einem Bürogebäude hat eine Bedeutung für die Angestellten. Man ist Teil eines Teams und fühlt sich zugehörig. Dazu gehören auch die informellen Aspekte der Arbeitskommunikation, die sich am Kopierer oder in der Kaffeeküche abspielen.

Die Freuden und Bürden des Homeoffice werden ganz unterschiedlich erlebt. Wie ist das zu erklären?

Die Frage ist höchst subjektiv, weil alle Mitarbeiter*innen unterschiedliche Bedürfnisse und Rahmenbedingungen haben. Für die, die das gut können, kann der Alltag an Effizienz gewinnen: Die Waschmaschine läuft, während ich mit Ihnen spreche und ich spare mir die Fahrzeit zum Büro. In der Wissenschaft z. B. unterscheiden wir wenig zwischen Arbeitszeit und Freizeit, weil da vieles ineinanderfließt und viele oft den Eindruck haben, immer zu arbeiten. Aber wir sprechen hier ja über die so genannte digitale Elite. Gleichzeitig gibt es aber sehr viele Menschen, die überhaupt keine Chance haben, ihre Arbeit in dieser Weise flexibel zu gestalten.

Damit digitale Arbeitsorte auch nach dem pandemischen Ausnahmezustand weiter existieren, braucht es das Bekenntnis von Führungspersonen zum Homeoffice. Was brauchen Mitarbeiter*innen, um die Flexibilität gut für sich nutzen zu können?

Wir brauchen dafür Kompetenzen, über die nicht jede*r gleichermaßen verfügt. Wichtig sind Selbstorganisation und Selbstmanagement, aber auch Boundary Management. Damit meinen wir die Fähigkeit, Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem zu ziehen. Eine Studie in unserem Buch zeigt, dass man das Gefühl haben muss, die Situation kontrollieren zu können. Dann fühlt man sich auch in einer entgrenzten Arbeitswelt wohl. Wenn ich aber den Eindruck habe, andere oktroyieren mir auf, ständig verfügbar sein zu müssen, kann es zu ernsthaften psychischen Problemen bis hin zu Burnout und Depressionen kommen. Auch für unseren Körper sind die digitalen Arbeitsräume eine Herausforderung: Wir bewegen uns weniger und die viele Bildschirmzeit wirkt sich auf unsere Augen aus.

Welche Chancen bietet das digitale Arbeiten auf einer globalen Ebene?

Wir können uns leichter austauschen, haben eine hohe Flexibilität und uns stehen die Plattformen für Vernetzung zur Verfügung. Wir sehen aber auch hier, dass bisher bestehende politische oder kulturelle Schranken weiter bestehen bleiben. Nehmen wir als Beispiel das globale Outsourcing. Eine Medienwissenschaftlerin, die auch einen Beitrag in unserem Buch veröffentlicht hat, konnte am Beispiel der Computerspielentwicklung zeigen, dass die Aufgaben global prekär verteilt sind: Während im Osten die schlechter bezahlten, weniger prestigeträchtigen Arbeiten erfolgen, bringen Entwickler*innen aus dem Westen die höher bewertete Kreativarbeit ein. Man kann also nicht davon sprechen, dass die Geographie in der globalen digitalen Sphäre keine Rolle spielt. Vieles wird dennoch neu ausverhandelt und es kommen neue Aspekte hinzu.

Zur Person


Caroline Roth-Ebner ist assoziierte Professorin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft. Sie forscht unter anderem zu Medienpädagogik und Medien in der Arbeitswelt. 2014 wurde sie mit einer Arbeit zu „Mediatisierung von Arbeit. Zur Dynamik von Medien(kommunikation), Raum und Zeit in der Arbeitswelt“ habilitiert.

Will-Zocholl, Mascha, Roth-Ebner, Caroline (Eds.) (2021). Topologies of Digital Work. How Digitalisation and Virtualisation Shape Working Spaces and Places. Virtual Work Series. London: Palgrave Macmillan. Chapter 1, 4 and 11 OPEN ACCESS: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-030-80327-8

Das Buch wird am 23. März 2022 um 11 Uhr im Rahmen eines Virtuellen Book Launch öffentlich vorgestellt.

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