“You are not alone.” Politik und Sprache

“Firstly, you are not alone – you will hear us and see us daily as we guide New Zealand through this period”, so Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern im März 2020. Der französische Präsident Emmanuel Macron verkündete zeitgleich mit „Nous sommes en guerre“ den Krieg gegen das Coronavirus. Wir haben mit der Linguistin Marta Degani über unterschiedliche sprachliche Strategien in der Politik gesprochen.

Politische Akteur*innen auf der ganzen Welt sind im Frühjahr 2020 sprachlich in den Krieg gegen COVID-19 gezogen. Waren sie damit erfolgreich?
Die Beschäftigung mit dem Virus durch eine kriegsähnliche Sprache ist von Linguist*innen und Expert*innen für öffentliche Gesundheitskommunikation vielfach kritisiert worden. Diese metaphorische Kriegssprache scheint bei den von der Krankheit betroffenen Patient*innen und bei der Bevölkerung insgesamt übermäßige Ängste zu erzeugen. Gleichzeitig wird sie benutzt, um autoritäre Maßnahmen der Regierungen zu legitimieren. Auf individueller Ebene kann sie das Gefühl von Verlust und Unvermögen bei jenen Menschen hervorrufen, die die Krankheit nicht „besiegen“ können. Diese Gründe waren dafür verantwortlich, dass einige Linguist*innen, darunter Elena Semino, die Verwendung der Feuer-Metapher als alternative Konzeption von COVID-19 vorgeschlagen haben. Mit Feuer statt Krieg kann man die Aspekte des Virus, der Schäden verursachen kann und sich ausbreitet, ausdrücken, aber Brände können auch gelöscht und eingedämmt werden.

Gibt es auch positive Beispiele für Politiker*innen im sprachlichen Umgang mit der Coronakrise?
Ich habe die sprachlichen Strategien untersucht, die von Jacinda Ardern als Reaktion auf die Krise eingesetzt wurden. Neuseeland gilt international als äußerst erfolgreich im Umgang mit der Pandemie. Das ist nicht nur auf ein sehr restriktives und schnell agierendes Pandemiemanagement zurückzuführen, sondern höchstwahrscheinlich auch auf die Art und Weise, wie die Maßnahmen kommuniziert wurden. Ardern hat ihre Regierung in der Rolle einer Beschützerin präsentiert. In ihrer offiziellen Kommunikation stellt sie die Menschen und ihre Interessen an die erste Stelle und zeigt Empathie im Sinne von emotionaler Nähe. Eine Botschaft ist: “We care for you.” bzw. “We are doing all of this for you.” Ardern präsentiert sich mit Botschaften wie “I feel close to you.” oder “I share your feelings.” Hierarchische Distanz zwischen der politischen Autorität und den Bürger*innen wird verringert. Die Daten dieser Studie zeigen, dass Ardern die Menschen zum Umgang mit der Situation ermächtigt, indem sie sie konsequent lobt, Vertrauen zeigt und Dankbarkeit ausdrückt.

Was Sie schildern, hat etwas zugewandt Elternhaftes. Ist dieses Konzept in der politischen Sprache öfters zu finden?
Politik ist Sprache. Wenn wir auf das framing als wesentlichen Bestandteil der politischen Kommunikation blicken, erkennen wir, wie Politiker*innen die Realität durch Sprache in einer Weise konstruieren, die ihre Werte, ihre Überzeugung und ihre ideologischen Neigungen widerspiegeln. In den 1990er Jahren schlug der Linguist George Lakoff die Unterteilung in zwei unterschiedliche kognitive Modelle vor: Das eine wird metaphorisch als das „strenge Vaterfigur“- und das andere als das „fürsorgliche Eltern“-Modell bezeichnet. Konservative sind dabei eher die metaphorisch strengen Väter, die prototypisch autoritär sind, an Ordnung, Gehorsam und Hierarchie glauben, bereit sind, mangelnde Disziplin zu bestrafen und von den Bürger*innen erwarten, dass sie unabhängig und selbstständig sind. Im Gegensatz dazu werden progressive Politiker*innen metaphorisch als fürsorgliche Eltern gesehen. Prototypisch sind sie einfühlsam und unterstützend, glauben an Kooperation, sind offen für Diskussionen und bereit, andere Meinungen zu berücksichtigen sowie sensibel auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Diese Theorie ist sehr nützlich, um Korrelationen zwischen ideologischer Einstellung, politischem Verhalten und Sprachgebrauch aufzuzeigen.

Die sprachlich auffälligste Figur der politischen Weltbühne in den letzten Jahren war wohl Donald Trump. Welche Strategien lassen sich an seinem Beispiel aufzeigen?
Nehmen wir das Beispiel der Debatte zum Thema „Umwelt“. US-Konservative begreifen die Natur typischerweise als im Dienste der Menschheit stehend und damit als wichtige Ressource für menschlichen Wohlstand und Profit. Donald Trump hat erreicht, dass das Thema im Präsidentschaftswahlkampf 2016 nur auf Platz 11 der für die Wähler*innen relevantesten Themen lag. Eine kürzlich von mir mitverfasste linguistische Analyse von Trumps Umweltdiskurs hat seine vielfältigen Strategien des (Nicht-)Umgangs mit diesem Thema offenbart.

Zu welchen Erkenntnissen sind Sie dabei gekommen?
Die Studie basierte auf Trumps offiziellen Reden zum Themenbereich „Energie und Umwelt“. Die erste auffällige Beobachtung ist ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht zwischen Trumps Erwähnungen des Wortes Umwelt (6 Mal) und Energie (149 Mal). Gleichzeitig ergab die Analyse, dass Trumps Vorstellung von Energie sehr begrenzt und mit drei Worten zusammenzufassen ist: Kohle, Gas und Öl. In seiner Rhetorik stellt Trump auch eine, in seinen Augen, positive kausale Verbindung zwischen der Ausbeutung fossiler Brennstoffe und der Wirtschaft her. Außerdem bedient er sich widersprüchlicher und unpassender Ausdrücke: Wenn er von „clean, beautiful coal“ oder „clean, beautiful, natural gas“ spricht, schafft er Falschinformationen. Gleichzeitig vermeidet er es konsequent, Umweltvokabular zu verwenden, und bestreitet die globale Erwärmung.

Welche Effekte hatte und hat seine Sprache auf die Bevölkerung?
In seiner Rolle als Politiker ist Trump ein äußerst negatives Beispiel der polarisierenden Sprachverwendung. Twitter hat ihm die Plattform für die Verbreitung seiner sprachlichen Umgangsformen geboten. Die Menschen fühlten sich legitimiert, die Formen der political incorrectness zu imitieren. „Er benennt die Dinge so, wie sie sind“, ist der Eindruck, der bei vielen erweckt wurde. Damit hat er spaltend und polarisierend gewirkt. Viele US-Bürger*innen fühlen sich als Angehörige von gegensätzlichen und konflikthaften Gruppen. Letztlich haben sein politisches Wirken und seine Sprache das Leben vieler Menschen erschwert. Er hat Einwanderer*innen als Eindringlinge, Feinde, Kriminelle und Tiere dargestellt und sich selbst als Held, der die belagerte Festung Amerika verteidigt. Auch nach seinen Reden vom „China-Virus“, „Wuhan-Virus“ oder „Kung-flu“ hat man eine Zunahme von Rassismus und Gewalt, in dem Fall gegen asiatische Amerikaner*innen, festgestellt.

Zur Person

Marta Degani ist habilitierte Senior Scientist am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Klagenfurt. Außerdem ist sie assoziierte Professorin am Department of Foreign Languages and Literatures der Universität Verona. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit Bilingualismus und Bikulturalismus mit Bezug zu Neuseeland und mit der Analyse politischer Diskurse im Rahmen der kognitiven Semantik und Diskursanalyse.

für ad astra: Romy Müller