Wie hängt die soziale Herkunft mit dem Erfolg im Studium zusammen?
Die soziale Herkunft einer Person wird unter anderem am Bildungsgrad ihres familiären Umfelds gemessen (siehe beispielsweise die Studierendensozialerhebung). Welchen Bildungsgrad Eltern und das familiäre Umfeld haben, beeinflusst maßgeblich die soziale Mobilität bzw. Aufstiegschancen einer Person. Auch die materiellen und sozialen Ressourcen, die der Person zur Verfügung stehen, werden dadurch beeinflusst. An der Universität Klagenfurt studieren im österreichischen Vergleich besonders viele Personen als erste in ihrer Familie, das heißt, sie sind sogenannte “First-Generation-Studierende”. Obgleich dies eine positive Entwicklung ist, endet der Einfluss der sozialen Herkunft einer Person nicht mit dem Zugang zum Studium. Im Studienverlauf bestehen weiterhin klassistische Barrieren, welche das Studium erschweren. Um darauf aufmerksam zu machen, gehen wir diesen Monat näher auf die Themen Klassismus und soziale Herkunft im Studium ein und zeigen Handlungsmöglichkeiten auf, durch die wir bewusst und inklusionsfördernd mit ihnen umgehen können.
Das barrierefreie Plakat finden Sie hier: Plakat Klassismus
Zu den strukturellen Hürden, mit denen vor allem (aber nicht nur) First-Generation-Studierende während ihres Studienverlaufs konfrontiert sind, gehören zum Beispiel herkunftsbedingte Ressourcenunterschiede. Dazu zählt etwa das Fehlen finanzieller Unterstützung oder von Ansprechpersonen und Vorbildern aus dem Umfeld, welche ihre Uni-Erfahrungen nachvollziehen und sie hierbei unterstützen können. Dadurch ist es wahrscheinlicher, dass First-Generation-Studierende neben dem Studium arbeiten müssen. Gleichzeitig benötigen sie mehr Ressourcen, um sich sozial an der Universität zu vernetzen und zu orientieren, und müssen mehr Aufwand betreiben, um universitätsspezifische Begrifflichkeiten und Abläufe zu verstehen.
In diesem Kontext fehlt es auch häufig an Identifikation mit der Hochschule und einem Zugehörigkeitsgefühl zur universitären Gemeinschaft. Diese Erfahrungen können durch alltägliche Formen von Klassismus verstärkt werden, wie etwa durch den idealisierten akademischen Habitus und Sprachgebrauch.
Was bedeutet Habitus?
Unter Habitus (nach Bourdieu) versteht man Handlungsweisen, die im Kontext des eigenen sozialen Umfelds erlernt und reproduziert werden.
Im universitären Kontext wird ein spezifischer Habitus erwartet. Die Reaktionen von z.B. Lehrenden, wenn diese Erwartung nicht erfüllt wird, können Studierenden ein Gefühl der „Andersartigkeit“ geben. Zum erwarteten Habitus im akademischen Kontext gehört z.B. akzent- und dialektfreies Sprechen. Dialekte, also regionale Sprachvarietäten, und Soziolekte, also Sprachvarietäten von sozial definierten Gruppen, werden häufig abgewertet. Diese Formen von Klassismus sind – im Kontrast zu strukturell sichtbaren Hürden – oft unterbewusst und können zur Beschämung von betroffenen Personen beitragen.
Die Bewältigung oder Lösung der angesprochenen Strukturen und Nachteile wird häufig von den betroffenen Personen selbst erwartet. Es bestehen jedoch auch Handlungsbedarf und -möglichkeiten für die Universität – sowohl auf individueller und alltäglicher, als auch auf struktureller Ebene, um Unterstützung zu leisten.
Ein bereits bestehendes Unterstützungsprogramm für First-Generation-Studierende ist das BeFirst! Mentoringprogramm. Im Rahmen des Programms begleiten Peers Schüler:innen vom letzten Schuljahr bis zum Ende des ersten Studienjahres und unterstützen vor allem bei der Orientierung an der Universität. Das Programm folgt daher dem Prinzip “Hilfe zur Selbsthilfe“.
Für den universitären Alltag gibt es eine Reihe an Handlungsmöglichkeiten, durch die alle Universitätsangehörigen klassistischen Strukturen entgegenwirken können:
Wir alle können:
- uns mit der eigenen sozialen Herkunft und damit einhergehenden Vor- oder Nachteilen beschäftigen, beispielsweise durch das stellen folgender Fragen:
- Welche Form von Unterstützung habe ich im Studium von meinem Umfeld erfahren? Wie kann ich das weitergeben?
- Wie viele Bücher gab es früher bei mir zuhause?
- Fühlt sich die Universität für mich wie ein Ort an, an dem ich mich zugehörig fühle? Was braucht es, damit sie für mich und andere zu so einem Ort wird?
- die Vielfalt an Verhaltensweisen und Sprachvarianten schätzen lernen und weniger auf eine Standardsprache beharren
Lehrende können:
- die eigene Bildungsbiographie reflektieren, sich sensibilisieren und unterschiedliche Bildungsbiographien von Wissenschaftler:innen sichtbar machen
- bei Studierenden das Vertrauen in Selbstkompetenz(en) fördern
- bei Assessments bzw. Beurteilungen bewusst auf den Inhalt des Gesagten anstatt auf den Sprachgebrauch einer Person hören
- mit Open-Access-Materialien arbeiten und diese bereitstellen
Die Episode 03 des Podcasts können Sie hier anhören: Über Klasse und Klassismus reden
In dieser Episode geht es um Klasse und Klassismus. Dafür hat Lux Pratter mit der Politikwissenschafterin Claudia Brunner gesprochen. Sie arbeitet am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Universität Klagenfurt/Celovec. Im Gespräch geht es vor allem um Klassenverhältnisse als unsichtbare Herrschaft. Außerdem wird Lisa Svetina, der Leiterin des Mentoring Programms BeFirst interviewt. BeFirst ist ein Programm, dass First Generation Studierende im Studium unterstützt. Zu Wort kommt auch Raphaela Gischa. Sie ist selbst First Generation Studierende, war die letzten zwei Jahre in der Studienvertretung für die Erziehungs- und Bildungswissenschaft tätig, schreibt ihre Masterarbeit, ist Studienassistentin am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung und ist in der Gewerkschaft GPA aktiv.
Weiter informieren:
Dannerer, Monika. (2018.) Sprachwahl, Sprachvariation und Sprachbewertung an der Universität. In Deppermann A, Reineke S, Sprache im kommunikativen, interaktiven und kulturellen Kontext (169-192). De Gruyter. doi: 10.1515/9783110538601-008 .
Guenther, E. A. (2020). Der „ideale “Technik-Student. Intersektionale Dynamiken in der universitären MINT-Lehre. In Handbuch Intersektionalitätsforschung (1-15). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://link.springer.com/rwe/10.1007/978-3-658-26613-4_19-1.
Habitus und Habitussensibilität an der Hochschule. Informationspaket der Universität Stuttgart. https://www.project.uni-stuttgart.de/powerst/de/toolbox/Bildung-und-soziale-Ungleichheit/klassismus/
Mit der Kampagne „Youniversity: Vielfalt feiern. Respekt leben.“ greift der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der Universität Klagenfurt in den kommenden zwei Semestern monatlich Diversitätsthemen auf. Weitere Informationen finden Sie auf der Seite der Kampagne.













