Lesen und darüber reden

„Wenn Menschen sich treffen, um über Bücher zu reden, wird das Rezeptionsvergnügen durch ein Interaktionsvergnügen verdoppelt“, so die Literaturwissenschaftlerin Doris Moser, die in die Welt der österreichischen Lesekreise eingetaucht ist. Die Erkenntnisse des vom FWF geförderten Forschungsprojekts wurden in einem Sammelband zusammengeführt.

Doris Mosers Onkel ist schon seit vielen Jahren Mitglied in einem Literaturkreis. Für ihn war die Germanistin eine gute Anlaufstelle, um nach Buchempfehlungen für seine Leserunde zu fragen. So kam es, dass Moser an einem Literaturkreis-Abend teilnehmen durfte und erlebte, mit wie viel Unbefangenheit und Herzblut man sich in dieser Runde der Literatur widmete. Diese Erfahrung bildete den Ausgangspunkt für ein Forschungsprojekt zu österreichischen Buchclubs und Leserunden, das sie gemeinsam mit Claudia Dürr, Gerda E. Moser und Katharina E. Perschak vom Institut für Germanistik durchführte. Forschungsfragen waren schnell gefunden: Was bewegt Menschen, sich zu einem solchen privat organisierten Lesekreis zusammenzufinden? Welche Bücher werden ausgewählt – und wie? Welchen Anspruch hat man an das Lesen und an die Diskussion über die Literatur?

Konkret waren es drei Gruppen, die vom Forschungsteam über ein halbes Jahr begleitet wurden. Die erste Gruppe bestand aus Frauen aus vorwiegend helfenden (Gesundheits-)Berufen. „Deren Mitglieder hatten das Interesse, die eigenen Lebenserfahrungen mit der Literatur oder in der Literatur zu reflektieren. Man setzte sich intensiv mit den Figuren in Beziehung, das ging sogar so weit, dass man über Figuren redete wie über abwesende Dritte“, schildert Doris Moser. Eine andere Gruppe, die sich vorwiegend aus Akademikerinnen zusammensetzte, agierte nach dem Vorbild des legendären „Literarischen Quartetts“. Ihnen ging es bei der Diskussion der Bücher vor allem um die Sprache und die Art des Erzählens. Kritik wurde mit pointierten Formulierungen geübt – und zwar an Autor*in, Text und Mitdiskutant*innen. Die dritte Gruppe hingegen repräsentiert für Moser den ländlichen Salon, wo man sich zu einem gepflegten Gespräch und zum noch gepflegteren Mahl zusammenfand. Diesen Leser*innen – unter ihnen ist auch ein Mann – war wichtig, dass sie zu einem weitgehend geteilten Verständnis hinsichtlich der Bedeutung des Gelesenen gelangten, Kontroversen nicht ausgeschlossen.

Wer sich in einem Lesekreis engagiert, pflegt den Habitus einer*eines Lesenden. Damit ist auch eine der Funktionen des Redens über Literatur angesprochen. Doris Moser: „Wenn man liest und darüber redet, ist man Teil eines ganz bestimmten Milieus.“ Auch die privat geführten Gruppen sind in gewisser Weise exklusiv, ist es doch nicht so einfach, in eine solche aufgenommen zu werden. Im Internet sei das mitunter leichter, denn viele der Online-Leserunden stünden allen Interessierten offen, allerdings fehle da die Verbindlichkeit, die in der nichtvirtuellen Welt (noch) herrscht, so Moser. Lesekreise knüpfen übrigens an eine alte Tradition des Lesens an: die gemeinschaftliche Lektüre. „Lesen war auch in der frühen bürgerlichen Gesellschaft keine einsame, stille Angelegenheit. Oft konnten nur einzelne Personen in der Familie lesen. Von ihnen wurde also vorgelesen. Heute sehen wir in den Lesekreisen auch diesen Wunsch nach Gemeinschaft, nach Austausch oder Selbstvergewisserung darüber, wie man denkt und handelt. Die Literatur bietet dafür den Stoff“, schildert Doris Moser abschließend. Dass dieser Wunsch weiter verbreitet ist, als man auf den ersten Blick annehmen würde, zeigen die Analysen des Klagenfurter Forschungsteams.

für ad astra: Romy Müller

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Moser, D. & Dürr, C. (Hrsg.) (2021). Über Bücher reden. Literaturrezeption in Lesegemeinschaften. Paderborn: Vandenhoeck & Ruprecht



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