Im Kosmos von Matthias Wieser

Mein Kosmos ist der Lendkanal. Dieser vier Kilometer lange künstliche Wasserweg vom Klagenfurter Stadtzentrum zum Wörthersee ist mein buchstäblicher Kosmos, weil ich hier jeden Tag auf meinem Fahrrad entlangradle. Das ist der schönste Arbeitsweg, den ich mir vorstellen kann. Er verbindet Stadt und Universität ebenso wie Familie und Freizeit. Wir besitzen zwar ein Auto, aber damit fährt meine Frau nach Villach zur Arbeit. Also radle ich täglich bei Wind und Wetter von unserer Wohnung unterm Kreuzbergl bis zur Uni und wieder zurück. Am Hinweg gehe ich gedanklich den Tagesplan durch und setze Prioritäten. Am Rückweg lasse ich die Universität nachklingen und ausgleiten, ich stelle mich auf Familie und Freizeit ein – oft mit meiner Tochter im Fahrradanhänger. Ich fahre ohne Stöpsel im Ohr. Ich will ja ganz bei Sinnen sein, wenn auch meist voller Gedanken.

Ich fühle mich wohl in Klagenfurt und in Koroška, das Land ist mir zur Heimat geworden. Ich kannte es schon von Familienurlauben am Klopeiner See und am Wörthersee. Ich bin zwar im Ruhrpott geboren, aber im Rheinland, am Rande der Nordeifel, aufgewachsen. Die dortige Mittelgebirgslandschaft mit ihren Braunkohlekraftwerken ist nicht ganz so schön wie Kärnten. Und Aachen, wo ich studiert habe, gilt als rain city mit vielen Wolken und Sprühregen. Den Begriff Heimat sehe ich unbefangen. Man kann auch mehrere Heimaten haben und nicht nur im geografischen Sinne. Kärnten und das Rheinland sind für mich ebenso wie die Wissenschaft Heimat oder die Kunst und die Kultur. Den Begriff sollte man sich nicht wegnehmen oder falsch instrumentalisieren lassen. Im Wort selbst steckt auch das Unheimliche, das macht es spannend. Doch damit etwas Heimat ist, muss man auch weg sein können. Ich habe also ein gegenteiliges Verständnis von Heimat zu denen, die glauben, dass nur der Heimat hat, der jahrzehntelang an einem Ort lebt und nie weggeht. Als privilegierter Ausländer und Arbeitsmigrant geht es mir hier gut, auch wenn man als Piefke manchmal sein Fett abkriegt – nicht immer zu unrecht.

Ich will als Wissenschaftler nicht nur asketisch-protestantisch arbeiten, ich möchte auch gestalten und mich einmischen. Ich bringe mich bei der Kultur ein und bei der Zweisprachigkeit im Land. Den Studierenden versuche ich zu zeigen, dass wir hier nicht im Elfenbeinturm sitzen und ‚nur‘ Bücher lesen. Ich kann zwar (noch) nicht Slowenisch, begrüße die Studierenden in den Lehrveranstaltungen aber zweisprachig mit Guten Tag, Dober dan. Als mich einmal ein Kärntner Student fragte, warum nicht Spanisch oder Italienisch, musste ich ihm erst einmal seine eigene Geschichte erklären. Meine Mitredelust führt natürlich dazu, in vielen Gremien mitzuarbeiten wie Kommissionen, Senat und Betriebsrat. Eine besonders schöne Aufgabe hat sich erst jüngst ergeben, die Leitung der besonderen Einrichtung der Universität UNIKUM.

Die seit Corona akut verstärkte digitale Kommunikation ist anstrengend und überfordert viele. Nun sieht man deutlich, dass es einen medialen Unterschied macht, wenn man beim Kommunizieren mit seinem Körper anwesend ist und die räumliche Atmosphäre spürt. Der ständigen Bildschirmkommunikation geht das ab, wenn auch sie manche Vorteile hat. Doch für viele Kontexte haben wir noch nicht die passenden Routinen damit. Das Digitale gilt als das Klare und Diskrete; die Null und die Eins, wo man klar unterscheidet. Das Analoge hat etwas vom Dazwischen, vom Übergang, dem Graubereich.

Aufzeichnung: Barbara Maier

Matthias Wieser



Geboren: 1978 in Essen, Deutschland

Beruf: Assoziierter Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft

Ausbildung: Studium der Soziologie, Kultur- und Medienwissenschaft in Aachen, London und Klagenfurt

Kosmos: Lendkanal, Höhe Rizzibrücke, Klagenfurt, 9. Oktober 2020