Stephan Weiss | Foto: aau/tinefoto.com

Ein Algorithmus auf Marsmission

In Vorbereitung auf die Marsmission 2020 prüft die NASA den Einsatz eines Kleinhelikopters, der mittels kamerabasierter Navigation autonom gesteuert wird. Den dahinter stehenden Algorithmus hat Stephan Weiss entwickelt, der zuletzt am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA forschte und seit Oktober 2015 Professor für Regelung vernetzter Systeme am Institut für Intelligente Systemtechnologien der Alpen-Adria-Universität ist. ad astra hat Stephan Weiss im Klagenfurter Planetarium getroffen und mit ihm über Chancen und Risiken beim Einsatz dieser Technologie gesprochen.


Als sich Japan 2011 der Nuklearkatastrophe von Fukushima gegenüber sah, mussten ungefähr 170.000 Menschen aus der Region evakuiert werden. Für das gesamte Land und darüber hinaus waren Informationen, welche Reaktoren in welchem genauen Ausmaß beschädigt sind, überlebensnotwendig. In einem Fall wie diesem kann man aber nicht Menschen zur Aufklärung in das betroffene Gebiet schicken, sondern benötigt unbemannte technische Hilfe. Inwiefern waren Drohnen und Roboter hier bereits hilfreich im Einsatz?
Sie konnten nur bedingt hilfreich sein. In diesem konkreten Beispiel fehlte den Einsatzkräften recht offensichtlich ein autonomes Handeln der Roboter, was besonders für das in diesem Bereich hoch entwickelte Japan erstaunlich war. Ich bin sehr überzeugt davon, dass wir die Autonomie dieser Roboter weiterentwickeln müssen. Gelingt uns dies, können sie uns Menschen bei schwierigen Aufgaben wie dieser enorm unterstützen. Sie sollten autonom in Räumen navigieren und Hindernisse überwinden können. Im Konkreten heißt dies, dass sie Türen als solche erkennen, durch sie hindurch gehen und dann Raum für Raum analysieren sollen. Das ist noch ein sehr offenes Forschungsfeld, in das es sich zu investieren lohnt. In Situationen wie diesen brauchen wir dieses Wissen, um Katastrophengebiete zu inspizieren, ohne Menschen zu gefährden.

Was können Drohnen und Roboter bereits?
Man kann relativ einfach eine Drohne im Hobbyshop kaufen und sie dann mit der Fernbedienung schweben lassen. Die Steuerung funktioniert über GPS. Wenn man sich aber genau ansieht, wie dieser kleine fliegende Roboter – wir nennen ihn Micro Aerial Vehicle (MAV) – schwebt, wird man feststellen, dass er recht wackelig im Raum navigiert. Er wird kaum an einer Stelle stehenbleiben können. Das liegt daran, dass das GPSSignal nicht ganz exakt ist, sondern es eine Varianz von einem halben bis zu einem Meter gibt. Der Helikopter bewegt sich also mit dem Signal mit. Diese Varianz ist dann problematisch, wenn man sehr nah an ein Objekt, beispielsweise an eine Wand, heranfliegen muss, um es zu inspizieren. Wenn man aber zu nahe an die Wand herankommt und die Varianz noch hinzukommt, riskiert man, den Helikopter zu zerstören. Hinzu kommt, dass das GPS-Signal noch schlechter wird, wenn man nahe an einer Wand ist, weil es zu Reflektionen kommt. Der GPSEmpfänger weiß dann nicht genau, ob das Signal direkt kommt oder via Wand übertragen wird. In diesem Fall reicht die Varianz dann bis zu zehn Metern und man kann gar nicht mehr sinnvoll damit arbeiten. Wir haben nun einen Algorithmus entwickelt, der es ermöglicht, eine Kamera und eine inertiale Messeinheit am MAV dafür zu nützen, um diese Positionierung im dreidimensionalen Raum zu bewerkstelligen. Damit können wir mit einem Zentimeterabstand eine Wand entlang schweben, um sie zu analysieren. Ein GPS-Signal ist nicht mehr nötig. Der Helikopter kann völlig unabhängig von diesem externen Signal autonom auch innerhalb von Gebäuden fliegen.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang „autonom“?
Ich verstehe das im Hinblick auf die Regelungstechnik. Es braucht also keinen Menschen, der am Boden mit einer Fernbedienung den Helikopter steuert und stabilisiert. Das macht das System autonom.

Worin liegt die Schwierigkeit, sie noch „autonomer“ zu machen?
Die Helikopter, die mittels Kameras navigieren, sind noch nicht soweit, dass sie Objekte gut erkennen und daraus Schlüsse für ihr weiteres Vorgehen ziehen können. Das ist bisher nur mit hochsensitiven Sensoren möglich, die schwer und massiv sind, und sich nicht so leicht an fliegenden Objekten anbringen lassen. Hier gilt es weiter zu forschen: Die Objekterkennung ist wichtig, danach kommt auch die Kooperation mit anderen Helikoptern, was ermöglichen soll, effizient eine Umgebung abzufliegen.

Worin liegen die Schwierigkeiten bei Flügen?
Wenn man von A nach B fliegen will, kann der Helikopter das meist nicht direkt. Er hat bestimmte Rotoren, die gedreht werden müssen, was wiederum nur bestimmte Kräfte zulässt. Das heißt, man kann nicht jeden x-beliebigen Pfad fliegen, sondern hat begrenzte Möglichkeiten. Das muss man in der Regelungstechnik berücksichtigen. Wenn das Gebiet sehr strukturiert im dreidimensionalen Raum ist, also Hindernisse gegeben sind, kommen viele Restriktionen hinzu, wie man diesen Pfad planen kann. Da setzt meine Forschung an: Bei der Planung der exakten Pfade und der Zustandsschätzung, damit der Helikopter genau weiß, wo er und allenfalls andere Roboter gerade sind.

Das ist etwas, das man auch benötigt, um völlig fremde Welten wie andere Planeten zu erforschen.
Ja, auch hier brauchen wir die autonome Navigation von Robotern. Am Jet Propulsion Laboratory, an dem ich zuletzt gearbeitet habe, gibt es derzeit eine Projektstudie, die die technischen Möglichkeiten auslotet, einen solchen kamera- navigierten Helikopter auf dem Mars fliegen zu lassen.

Wie stehen die Chancen?
Sie stehen derzeit ziemlich gut. 2020 wird im Rahmen der nächsten Marsmission ein neuer Mars-Rover auf den Planeten geschickt. Dort gibt es noch einen freien Platz, der zwischen den Rädern gelegen ist, und der nun für diesen Helikopter reserviert ist. Zeigt die Projektstudie positive Ergebnisse, wird der Helikopter – voraussichtlich mit dem besagten Algorithmus – auf dem Mars fliegen und mit Hilfe der Kamera dort autonom navigieren.

Was will man dabei herausfinden?
Vorerst geht es erst mal um eine Technologiedemonstration; es soll also gezeigt werden, dass der Helikopter mit dieser Technologie auf dem Mars fliegen kann. In der Folge kann der Helikopter für vielerlei nützlich sein: Beispielsweise kann sich der Mars-Rover derzeit nur sehr langsam auf dem Mars fortbewegen, weil seine Kameras nur eingeschränkte Perspektiven ermöglichen, die dann auf die Erde übertragen werden, wo Ingenieurinnen und Ingenieure entscheiden, wie weit und in welche Richtung er fahren kann. Man will nicht riskieren, dass der Rover beschädigt wird, indem er über einen Stein oder in ein Loch fährt. Der Helikopter könnte die unmittelbare Umgebung um den Rover von oben genauer analysieren, um eine bessere und schnellere Wegplanung zu ermöglichen. Darüber hinaus sind die besonders interessanten Stellen jene, die steil abfallen. Auch auf der Erde bilden die Canyons wahre Schatzgruben für die Geologen. Die Canyons am Mars könnten in Zukunft leichter mit Helikoptern analysiert werden. Es gibt am Mars Stellen, die vielversprechend im Hinblick auf die Existenz von Lebensformen sind. Derzeit fährt man aber explizit nicht zu diesen Stellen, weil man in Sorge ist, das Mikroklima dort zu beschädigen. Ein Helikopter könnte darüber schweben.

Was braucht es für einen Erfolg noch?
Die kamerabasierte Navigation muss robust funktionieren. Man hat schließlich kein GPS vor Ort, auf das man ausweichen könnte. Die von mir bereits genannten Algorithmen sind an sich reif genug, diese Mission zu fliegen, sie müssen aber noch für den konkreten Einsatz adaptiert werden. Erst wenn dies zu 100 Prozent gewährleistet wird, kann aus der Projektstudie ein tatsächliches Projekt werden. Konkret muss er dann abheben können und einen Landeplatz verlässlich erkennen. Der Helikopter soll mit einer Solarzelle ausgestattet werden, die ganztags aufgeladen wird. Damit soll er dann pro Tag zwei Minuten lang fliegen können.

Arbeiten Sie auch in Klagenfurt weiter an dem Projekt?
Im Wesentlichen kann man annehmen, dass es bei dem Algorithmus bleibt, der bereits entwickelt wurde. Sollte es zu einem Projekt-Status kommen, wird weiter an der Effektivität und Robustheit gearbeitet, nicht aber an der Basisstruktur. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass das, was hier zu kamerabasierter Navigation weiter geforscht und entwickelt wird, wahrscheinlich in die Mars-Helikopter- Projektstudie einfließen kann.

Ganz unabhängig von dieser konkreten Projektstudie: Worin liegt Ihrer Meinung nach der Knackpunkt für die Forschung in dem Bereich?
Es ist schwierig zu sagen, ob es den einen Knackpunkt gibt. Wir sind schon relativ weit im Einsetzen von Helikoptern im geordneten, sicheren Umfeld. Dort kann man zeigen, was funktionieren würde. Geht es aber ins tatsächliche Feld, muss das System auch robust funktionieren. Dafür müssten generell noch bessere Algorithmen gefunden werden. Zudem sind noch viele Fragen bezüglich Zusammenarbeit zwischen mehreren Helikoptern offen, um komplexere Aufgaben lösen zu können.

Sie sprechen von Katastrophen und von der Weltraumforschung als Einsatzgebiete für diese Helikopter. Wie kann man Ihrer Ansicht nach als Wissenschaftler aber verhindern, dass die Helikopter auch für problematische Zwecke wie in militärischen Einsätzen Anwendung finden?
Diese Frage gilt für viele Forschungsbereiche: Die Geschichte zeigt uns, dass man fast alles für gute und für schlechte Zwecke verwenden kann. Bei mir als Forscher liegt die Verantwortung, das Gute aufzuzeigen und das Gute zu fördern. Unsere Forschung ist öffentlich, und das soll sie auch sein, damit andere Forscherinnen und Forscher daran weiterarbeiten können und damit die Menschheit weitergebracht wird. Wenn etwas öffentlich ist, kann es natürlich auch missbraucht werden. Ich denke, man sollte die intendierten Zwecke öffentlichkeitswirksam aufzeigen und fördern.

Ein anderes Problemfeld betrifft die Überwachung und den Verlust der Privatsphäre, die mit dem Einsatz von Kameras einhergeht. Wie schätzen Sie das ein?
Da darf ich zurückfragen: Haben Sie ein Mobiltelefon?

Ja.
Und ist Ihnen bewusst, wie viele Daten Google oder andere Anbieter über Sie bereits gesammelt haben? Auch wenn Sie überall auf „nein“ klicken, geben Sie erschreckend viel von sich preis. Wir verdrängen meist, dass enorme Datenmengen über uns bei den Konzernen gespeichert sind. Bei den Drohnen funktioniert das Verdrängen schlechter, weil die Überwachung offensichtlicher ist. Ich wage zu bezweifeln, dass der Datenklau dabei problematischer ist, als es beispielsweise bei Google Now der Fall ist. Ich bin der Meinung, man muss immer abwägen, wie viel Nutzen und wie viel Schaden eine Technologie bringt. Dass der Erkundungsflug des Nachbarn mit der Hobby-Drohne über den eigenen Garten keinen Sinn für die Forschung macht, ist dabei auch klar. Da gilt es an einem gemeinsamen Verständnis in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess zu arbeiten.

Werden Sie demnächst Erkundungsflüge rund um den Lakeside Park mit Ihren Helikoptern unternehmen?
Das wird noch dauern. Meine Devise ist, dass man in der Forschung zuerst die Theorie wirklich sauber herleiten muss. Dazu reicht erstmal ein Stift und ein Blatt Papier. Dann geht man an den Computer, um mit Simulationsprogrammen der Frage nachzugehen, ob die eigenen Annahmen in der realen Welt funktionieren könnten. Wenn dann alles passt, erproben wir die Ergebnisse in einem geschützten Bereich. Dafür werden wir demnächst einen „Motion-Tracking- Bereich“ haben, wo man einen Helikopter millimetergenau in Position und Lage verfolgen kann. Schließlich gehen wir tatsächlich aus dem Elfenbeinturm der Forschung hinaus und testen in einem realen Umfeld. Dieser Schritt ist für mich besonders spannend.

für ad astra: Romy Müller

Zur Person

Stephan M. Weiss, geboren 1981 in Caracas (Venezuela), wuchs in der Schweiz auf. Er studierte Elektrotechnik und Informationstechnologie an der ETH Zürich, wo er 2012 am
Autonomous Systems Lab promovierte. Seine Laufbahn führte ihn danach an das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der National Aeronautics and Space Administration (NASA) in Kalifornien, wo er weiter im Bereich der kamerabasierten Navigation von unbemannten Helikoptern arbeitete. Seit Oktober 2015 ist er Professor am Institut für Intelligente Systemtechnologien an der Alpen-Adria-Universität.

Stephan Weiss | Foto: aau/tinefoto.com