Wider die Erosion der Vernunft

Oliver Vitouch ist Rektor der Universität Klagenfurt. Er fragt sich, wie wir alle dazu beitragen können, einen Pfad in eine gute Zukunft zu finden. Wichtig ist ihm dabei, dass die Menschen wieder lernen, utopisch zu denken – anstelle von Mutlosigkeit und Gleichgültigkeit. Sein Wunsch: die Renaissance der Vernunft.

Natürlich würde es mich freuen, wenn wir auf dem Weg „zur besten aller Welten“ wären. Aber das ist ein schwieriger und steiniger Pfad. Schon Voltaire, als einer der Säulenheiligen der Aufklärung, hat sich damals über den armen Leibniz mit seiner besten aller Welten lustig gemacht.

Das Projekt der Aufklärung selbst ist ja auch nicht unkritisiert geblieben. Vielleicht war es in mancher Hinsicht zu naiv, zu optimistisch, zu gutgläubig. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es unabhängige Universitäten mit aufklärerischen Wurzeln und einer ebensolchen Mission heute dringender braucht denn je. Die Welt ist noch einmal komplexer geworden, Sicherheiten erodieren, es gibt immer weniger verbindliche Normen. Nicht alle können mit dieser Diversität gleich gut umgehen.

Dabei ist Diversität ja geradezu ein programmatischer Auftrag an die Universitäten. Aber diese neue Diversität in unserer Welt erfordert einen aufgeklärten, wachen Geist, eine hohe Ambiguitätstoleranz und vor allem Sicherheit im Umgang mit Unsicherheiten. Entsprechend gefestigte Persönlichkeiten heranzubilden, die mit all diesen Dingen umgehen können und die für die Herausforderungen der Zukunft intellektuell, aber auch emotional und sozial gewappnet sind, das ist letztlich der allumfassende Auftrag der Universitäten weltweit. Universitäten sind nicht dazu da, ihren Studierenden Kochrezepte für Probleme der Vergangenheit zu lehren. Im Gegenteil, sie sind dazu da, die kritische Urteilsfähigkeit ihrer Studierenden zu schärfen und jene Lösungskompetenzen anzubieten, die diese dazu befähigen, eigene Rezepte für Probleme zu ersinnen, die bisher ungelöst sind oder die wir vielleicht noch gar nicht kennen.

„Wir müssen nicht mit einer Welt zufrieden sein, wie sie nun einmal gerade ist.“ (Oliver Vitouch)

Sapere aude, sozusagen. Wage zu denken, das ist es, was wir vermitteln wollen! Viele Menschen haben sich ja abgewöhnt, groß, beziehungsweise utopisch zu denken. Das ist sehr schade. Das Denken ist sehr nüchtern geworden, als ob man sich in eine gegebene Realität fügen wolle. Aber diese neue Nüchternheit kann eben nicht notwendigerweise alle wichtigen Fragen beantworten. Außerdem muss man nicht mit der Welt zufrieden sein, wie sie halt gerade einmal ist. Deshalb veranstalten wir gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in unserem Jubiläumsjahr 2020 eine Vortragsreihe, in der wir zeigen, wie sehr insbesondere die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften in der Lage sind und es auch wagen können und sollen, zu den entscheidenden Fragen für das Individuum, für das menschliche Miteinander und für das menschliche Wohlsein konstruktiv und durchaus auch visionär etwas beizutragen. Gegenwärtig habe ich mehr denn je den Eindruck, dass wir es weltweit mit so etwas wie einer Erosion der Vernunft zu tun haben. Noch vor zehn Jahren hätte man es für völlig unmöglich gehalten, welche Menschen, vorwiegend Männer, heute politische Spitzenpositionen innehaben. Das sind schwere Zeiten für Satiriker, denn die Realität übertrifft derzeit allenthalben die Satire. Mich jedenfalls lässt das nach einer Renaissance der Vernunft gieren.

Und Universitäten sind nun einmal ein Hort der Vernunft. Es gefällt mir und beruhigt mich auch, dass Universitäten sehr resiliente Institutionen sind. Sie bewahren Stabilität, es ist ihnen aber auch vielfach gelungen, sich über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg immer wieder neu zu erfinden. Sie haben es geschafft, auf Veränderungen der Zeit einzugehen. Das soll auch Utopia! tun. Nicht gleich mit Patentlösungen, das wäre zu viel verlangt. Aber die Reihe kann dazu beitragen, besser zu verstehen, wie es uns im Hier und Heute geht und wie Pfade in die Zukunft aussehen können. Ich wünsche mir, dass wir in der Lage sind, dem Lauf der Geschichte den einen oder anderen Stupser in eine hoffentlich gute Richtung zu geben.

Die Universität Klagenfurt kann viel zu diesem Stupser beitragen. Gerade tut sich sehr viel Aufregendes und Neues, es ist eine anstrengende, aber auch sehr spannende Zeit. Ich spüre sehr viel Appetit und Neugier auf mehr. Es muss uns gelingen, diese Freude und Neugier an unsere Studierenden weiterzugeben, ihre wachen Geister bestmöglich zu fördern. Mir ist wichtig, die Fächer, die hier in Klagenfurt versammelt sind, in einer produktiven Weise interdisziplinär und interfakultär kooperieren zu lassen. Wir haben die perfekten Voraussetzungen auf unserem Campus: überschaubare Strukturen und kurze Wege. Wir müssen Disziplinen und Fächer ins Gespräch und in einen Austausch bringen, den es anderswo nicht gibt und der tatsächlich dazu angetan ist, neue Lösungsrezepte für die Herausforderungen der Zukunft zu kreieren. Und da haben wir gerade im Hinblick auf die digitale Revolution noch viel vor! Aber auch in anderen Bereichen wird das gut gelingen, als gemeinschaftliche Leistung aller Beteiligten.

Plus est en vous, das Ziel ist, mehr und das Beste aus uns herauszuholen. Die Ermutigung dazu ist der Kernauftrag der Universität. Darin liegt unsere Zukunft.

 

für ad astra: Annegret Landes