Still Loving the F-Word. Friedensforschung braucht postkolonialen und antikapitalistischen Feminismus – erst recht in Zeiten der Militarisierung

Als erster Beitrag des Schwerpunkthefts 2/2022 der Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung ist Claudia Brunners feministisches Plädoyer für post- und dekoloniale Perspektiven auf Krieg und Konflikt online first/open access erschienen. Verfasst noch vor Beginn des Krieges in der Ukraine bietet der Text eine über den aktuellen Anlassfall hinausgehende programmatische Grundlage zur Analyse von Krieg als Herrschaftsmodus von Kolonialität und Kapitalismus.

Zum Inhalt

Intersektionale, feministisch-post-dekoloniale Perspektiven bringen wesentliche Voraussetzungen mit, die Friedens- und Konfliktforschung daran zu erinnern, dass die uns gegenwärtig beschäftigenden Herrschafts- und Gewaltverhältnisse oft weit in die Geschichte zurückreichen und stets mehr umfassen als das, was wir aus privilegierter Forschungsperspektive wahrnehmen und immer nur vorläufig benennen können. Viele kritische und feministische Protagonist*innen der Disziplin haben das, insbesondere mit Hilfe des von Johan Galtung popularisierten marxistischen Konzepts der strukturellen Gewalt immer schon betont. Vor allem intersektional denkende feministische Autor*innen, die sich mit Gewalt im internationalen Kontext beschäftigen, weisen seit vielen Jahrzehnten darauf hin: Gewalt ist auch epistemisch und symbolisch, normativ und diskursiv, strukturell und systemisch – und stets sind ihre unterschiedlichen Dimensionen miteinander verzahnt. Post- und dekoloniale Theorien, die ihre Ursprünge nicht zufällig in den antikolonialen Befreiungskämpfen jener Menschen haben, die von Europäer*innen über Jahrhunderte hinweg erniedrigt, ausgebeutet, verachtet und vernichtet wurden, wissen über diese Zusammenhänge besser Bescheid als eine Friedens- und Konfliktforschung euro- und androzentrischer Provenienz, die zwar realisiert, dass ein post/decolonial turn vor der Tür steht, es aber noch nicht wagt, diese Tür weiter zu öffnen. Es gilt zu erkennen, dass es viele Stimmen gibt, die die normative Orientierung an Gerechtigkeit und Würde für alle Menschen, die auch der Friedens- und Konfliktforschung gut vertraut ist, kompromissloser und radikaler zum Ausdruck bringen als sie selbst sich dies zugesteht. Ihnen besser zuhören zu lernen und dabei die eigenen Annahmen und Privilegien schrittweise verlernen zu üben ist ein herausfordernder, aber auch glaubwürdiger Schritt der Öffnung einer wissenschaftlichen Disziplin hin zu jener Welt, die zu analysieren und in der wirksam werden zu wollen sie selbst behauptet.