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Psychoanalyse am Dauerprüfstand

Über Akzeptanz und Wirkung psychodynamischer Therapien

Seit der Begründung der Psychoanalyse durch Sigmund Freud wird über Wirksamkeit und Nichtwirksamkeit von psychotherapeutischen und insbesondere psychodynamischen Behandlungsmethoden debattiert. Schon in den Anfängen standen sich Lehrmeinungen gegenüber. Später haben sich zahlreiche, zum Teil konkurrierende Therapieformen entwickelt, die unterschiedliche staatliche Anerkennung im Sinne von Berufszulassungen erfahren, dasselbe gilt für die Behandlung auf Krankenschein. Die Ursache liegt einerseits an der immer noch eher geringen gesellschaftlichen Akzeptanz von psychischen Erkrankungen, andererseits in der Bewertung der Wirksamkeit der verschiedenen verfügbaren Therapieverfahren. ad astra befragte dazu den Psychologen und Psychotherapieforscher Sven Rabung.

Herr Rabung, Sie sind einer von wenigen universitären Forschenden, die sich des Themas Wirksamkeit von psychodynamischenTherapien angenommen hat. Warum tun Sie das?
Aus persönlicher Neugier. Im Laufe meines Studiums der Psychologie, einer anschließenden Verhaltenstherapieausbildung und eigener Berufspraxis bin ich über eine Diskrepanz gestolpert. An psychologischen Instituten in Deutschland wird fast nur noch Verhaltenstherapie als Methode der Wahl gelehrt, während psychodynamische Therapien bestenfalls als Therapieform 2. Klasse behandelt werden. In der Praxis aber war und ist die psychodynamische Psychotherapie mindestens so verbreitet wie die Verhaltenstherapie. Ich wollte wissen, wie es dazu kommen konnte, dass die „Mutter der Psychotherapie“ in einem so schlechten Licht dasteht.

Lag es nur am Mangel an Beweisen der Wirksamkeit?
Das Hauptproblem war, dass die Psychoanalyse und die daraus abgeleiteten Verfahren stark mit dem Unbewussten arbeiten, was tatsächlich schwer zu beforschen ist. Und man weigerte sich lange Zeit, symptom- und störungsbezogen zu forschen.

Wie lassen sich nun Nachweise erbringen?
Inzwischen werden in der klinischen Forschung standardisierte Verfahren angewendet. Zum Nachweis der Wirksamkeit von Psychotherapie erfasst man beispielsweise die Beschwerden, die sich im Verlauf der Behandlung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe reduzieren sollten. Bei einer Depression etwa werden u. a. die typischen Symptome wie Antriebsarmut und Niedergeschlagenheit vor Beginn und am Ende der Therapie erfasst, idealerweise auch noch einmal in einem bestimmten Abstand danach, z. B. nach sechs Monaten oder einem Jahr. Die Bewertung der Veränderung kann dann fließend – „die Symptome haben sich reduziert“

Sie führen für Ihre Metaanalysen Studien zusammen, werten sie aus und publizieren die Ergebnisse. Wie löst man das Problem von heterogenem Basismaterial aus verschiedenen Studien?
Die Messmethoden sind mittlerweile sehr ausgereift, doch es fehlt an einheitlichen Forschungsstandards. Um trotzdem zu einem einheitlichen Ergebnismaß zu kommen, werden so genannte Effektstärken berechnet, die die gemessene Veränderung unabhängig vom Instrument standardisiert abbilden sollen. So wird die Vergleichbarkeit zwischen den Studien hergestellt.

Wie sieht es nun mit der Wirksamkeit aus?
Die Wirksamkeit von Psychotherapie ist gut belegt. Bislang gibt es keine Befunde, dass ein spezifisches Therapieverfahren den anderen überlegen wäre, was auch für den Vergleich von Verhaltenstherapien und psychodynamischen Therapien gilt. Da kein Therapieverfahren für sich – oder kriterienorientiert – „der Patient ist zu Therapieende im gesunden Bereich“ – erfolgen. Wobei die klinische Relevanz der zweiten Variante greifbarer ist. beanspruchen kann, allen PatientInnen helfen zu können, wäre es fatal, die Vielfalt einzuschränken. Zudem ist davon auszugehen, dass ein einzelnes Verfahren nur in etwa 50 Prozent der Fälle zum optimalen Behandlungsergebnis führt.

In Österreich herrscht eine größere Vielfalt an zugelassenen Therapieformen als in Deutschland. Konkret sind es in Deutschland drei und in Österreich 23. Warum ist das so?
Das mag auch etwas mit der Nähe zu Sigmund Freud zu tun haben, liegt aber vor allem daran, dass die psychotherapeutischen Methoden in Österreich stärker aufgeschlüsselt sind. Das Besondere in Österreich ist aber, dass neben den psychodynamischen und verhaltenstherapeutischen Verfahren auch systemische und humanistische Methoden anerkannt sind. Systemische Ansätze – wie etwa die Familientherapie – beziehen das soziale Umfeld des Individuums mit ein. Humanistische Ansätze gehen von der Grundthese aus, dass jeder Mensch das Potenzial in sich trägt, sich aus Krisen herauszubewegen. Oft braucht es nur eine Unterstützung in Form einer förderlichen Umgebung; wie z. B. im Trauerfall, einem „Normalfall“, aus dem die meisten auch so wieder herauskommen, anderen aber eine Kurzzeittherapie helfen kann.

Die Zahl der Krankenstandsfälle aufgrund von psychischen Erkrankungen stieg hierzulande von 11,4 pro 1.000 Erwerbstätigen im Jahr 1990 auf 28,6 im Jahr 2014 an. Woran liegt diese enorme Steigerung?
Das liegt vor allem im offeneren Umgang mit psychischen Erkrankungen begründet. Während für Deutschland anteilig noch wesentlich mehr therapeutische Behandlungen pro Jahr belegt sind, scheint es in Österreich noch etwas Nachholbedarf zu geben. So kann etwa der Umstand, dass Psychotherapie nur zu einem Bruchteil von den Krankenkassen bezuschusst wird, dahingehend fehlinterpretiert werden, dass eine psychische Erkrankung keine erstzunehmende sei. Grundsätzlich wird das Problem aber ernst genommen, denn Psychopharmaka werden in Österreich selbstverständlich bezahlt.

Auf Dauer wird das Problem der Krankenstände und Frühpensionierungen aufgrund psychischer Krankheiten auch volkswirtschaftlich zum großen Problem werden. Wie könnte eine gute Prävention aussehen?
Kurzzeittherapien rechnen sich oft schon während der Therapie, etwa durch Verringerung des Krankenstands. Nachholbedarf herrscht bei der ökonomischen Bewertung von Langzeittherapien. Notwendig wären hier längerfristige und umfassende Studien. Die Bedeutung psychischer Erkrankungen nimmt jedenfalls massiv zu. Es wäre ein großer Wurf für die Gesundheitsministerin, konsequente Studien zur Bewertung der Kosten-Nutzen-Relation der in Österreich verfügbaren Behandlungsoptionen in Auftrag zu geben. Das würde sich langfristig auf jeden Fall rechnen.

für ad astra: Barbara Maier

Sven Rabung

Sven Rabung

Sven Rabung ist seit September 2011 an der AAU tätig, seit Oktober 2015 als Assistenzprofessor an der Abteilung für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse. Davor forschte und lehrte er am Institut für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Sein Spezialgebiet ist die systematische Untersuchung der Wirksamkeit von – insbesondere psychodynamischer – Psychotherapie.

Therapieformen



Psychodynamische Therapien
International gebräuchlicher Überbegriff für Therapieverfahren, die auf den theoretischen Grundlagen der Psychoanalyse und ihren Weiterentwicklungen beruhen.
Psychodynamik meint dabei die Auslösung seelischer Vorgänge als Reaktion auf bestimmte äußere und innere Ereignisse und Einflüsse.

Verhaltenstherapien
Ursprünglicher Überbegriff für therapeutische Verfahren, die auf der Lerntheorie basieren. Grundidee ist, dass (störungswertiges) Verhalten gelernt und auch wieder verlernt werden kann. Inzwischen zahlreiche Weiterentwicklungen. Verfahrensgruppe mit den meisten Wirksamkeitsnachweisen.