Der maximierende Mensch

Paul Schweinzer, Mikroökonom am Institut für Volkswirtschaftslehre, kann nicht sagen, wie froh die Menschheit ist und ob der Fortschritt Menschen froher macht. Mit Blick auf das Wesentlichste kann er aber berechnen, wie man die Wohlfahrt einer Gesellschaft maximiert.

Der Mensch findet in jeder Situation etwas (anderes), das er maximieren möchte, sei es Geld, Glück, Freiheit oder Gesundheit; das bezeichnen Ökonomen als Nutzen. Wenn man als Ökonom messen will, wie gut es den Menschen geht, rechnen wir zusammen, welchen Nutzen sie haben. Die Gesamtnutzenmenge nennen wir dann Wohlfahrt. Die Wirtschaftswissenschaft meint damit zusammengefasst das Maß an Bedürfnisbefriedigung, das
die Akteure im Wirtschaftssystem aus ihrem Handeln generieren. Welche Waren, Dienstleistungen, Erfahrungen und Zustände dem Menschen wie wertvoll erscheinen, ist dabei nach der subjektiven Wertlehre höchst individuell.

Will die Wissenschaft nun ausrechnen, wie gut es den Menschen geht, steht sie vor methodischen Herausforderungen: Die individuelle Nutzenfunktion hilft zwar dabei, allgemeine Berechnungen anzustellen, unabhängig davon, welche Indikatoren (wie Geld, Gesundheit, Bildung, …) herangezogen werden. Problematisch werden die Berechnungen aber, wenn wir versuchen müssen, diese Indikatoren zusammenzuzählen. Während des einen Bedürfnisse dadurch befriedigt werden, indem er die Umwelt schont und mit dem Rad in die Arbeit fährt, steigert die andere ihren Nutzen durch die Freude, die sie empfindet, wenn sie im SUV auf das Gaspedal tritt. Quantitativ zusammenrechnen lässt sich dies genauso wenig wie Äpfel und Birnen.

Dieses Aggregierungssystem, das uns Auskunft darüber geben sollte, wie froh die Menschen heute sind, ist also fundamental schwierig. Hinzu kommt, dass demokratische Systeme den Anspruch haben, den Menschen Freiheit zu gewähren.

Nehmen wir folgendes Beispiel: Stellen wir uns vor, Sie sind erkrankt und daher nur eingeschränkt leistungsfähig. Ich finde es nicht fair, dass Kranke weniger Geld haben und gebe Ihnen – über die staatlichen Transferleistungen – Geld. Jetzt können Sie konsumieren und sind somit produktiver Akteur in der Wirtschaft. Ich bin auch produktiv, habe aber angenommen eine Leidenschaft für das Trinken großer Mengen von Wodka. Ich entscheide mich also dafür, mich zu ruinieren. Werden Sie mir das Nutzen-Niveau ermöglichen, das mich allabendlich durch das Saufen glücklich macht, oder nicht? So manche wird darauf antworten: „Nein, ich will, dass Sie ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft bleiben – und als solches auch Steuern zahlen und so Transferleistungen ermöglichen. Ich will also, dass Sie mit dem Trinken aufhören.“ In dem Beispiel sind Sie auf die Erhaltung bzw. Steigerung Ihres Nutzens erpicht – auf Kosten meines Nutzens. Sie glauben zu wissen, was „besserer“ Nutzen ist.

„Was ist, wenn ich Dinge will, von denen Sie finden, dass sie nicht gut für mich sind?“ (Paul Schweinzer)

Mein wissenschaftliches Steckenpferd ist das „Mechanism Design“. In dieser Disziplin strebt man oft nach Effizienz, genauer nach „effizienter Allokation“. Gemeint ist damit die Verteilung von Ressourcen und Gütern, die die Wohlfahrt in einer Gesellschaft maximiert. Ich frage mich also: „Welche Steuerungssysteme und andere Mechanismen können wir bauen, um die Wohlfahrt zu optimieren?“ Dabei beschäftigt mich auch immer wieder die Frage aus unserem Beispiel: „Was ist, wenn ich Dinge will, von denen Sie finden, dass sie nicht gut für mich sind?“ Wir lösen dabei die oben erwähnten Probleme eigentlich nur „per Annahme“, da ist für die Grundlagenforschung noch recht viel zu tun.

Wenn Sie also von mir wissen wollen, ob die Menschen heute froher sind, muss ich antworten: Mir fehlt das Mess-Instrument. Hinzu kommt, dass ich auch ein Aggregationsproblem in die Zukunft habe. Die Overlapping-Generation-Modelle versuchen, langfristige Entwicklungen einer Volkswirtschaft zu beschreiben. Wie wird sich also eine heute getroffene Maßnahme auf den Nutzen zukünftiger Generationen auswirken? Dabei muss ich definieren, welches Gewicht ich in der Berechnung der nächsten Generation beimesse. Aus der Erfahrung der letzten siebzig Jahre lässt sich vielleicht ablesen, dass der zukünftigen Generation wenig Gewicht beigemessen wurde, als man sich für Atomkraft, Kohlekraftwerke, SUVs, Billigflüge etc. entschieden hat. Ich neige zum pessimistischen Blick: Meine Kinder werden bescheidener leben müssen, wenn wir die Erderwärmung einschränken wollen. Aber auch ein optimistischer Blick ist denkbar: Wir könnten daran glauben oder uns sogar einfach darauf verlassen, dass wir zukünftig Technologien entwickeln werden, die uns ein Leben mit steigendem Nutzen-Niveau bei ökologischer Unbedenklichkeit ermöglichen. Immerhin lässt sich auch mit Solarpanelen Geld verdienen und nötigenfalls auch mit künstlicher Wolkenbildung oder anderen Climate-Engineering-Maßnahmen, die uns vor dem Klimakollaps schützen sollen. Eines muss aber bleiben: Wenn wir nicht ganz fundamental an unserem Wirtschaftssystem drehen möchten, dann braucht unser kapitalistisches Marktsystem Konsum. Konsumverzicht, auch wenn wir Freude an der Askese haben, wird unseren Nutzen als Gesellschaft letztlich nicht steigern, sondern unsere Wirtschaft in die nächste Krise führen.

für ad astra: Romy Müller