Wird man zur guten Lehrer*in geboren?
Die Lernvoraussetzungen von Schüler*innen sind für den schulischen Erfolg entscheidend, in Österreich insbesondere der familiäre Background. An zweiter Stelle kommt aber bereits die Lehrkraft. Wir haben mit dem Bildungsforscher Florian Müller darüber gesprochen, wer das Zeug zur guten Lehrerin hat.
Bis 2015 war der Ausbildungsweg zur*zum Lehrer*in für viele Schultypen offen: Nahezu jede*r konnte ein Lehramtsstudium an einer Universität aufnehmen. Mit den Möglichkeiten rund um die „PädagogInnenbildung Neu“ wurde ein Aufnahmeverfahren für Lehramtsstudierende auch an österreichischen Universitäten eingeführt, das erstmals eine „Auswahl“ ermöglichte. Doch welche Kriterien sind entscheidend, ob jemand einen Platz in einem Lehramtsstudium ergattert? Florian Müller, der am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung unter anderem zu Lernmotivation und Interessensforschung arbeitet, erklärt uns: „Wir bieten unseren Studieninteressierten ein Online-Self-Assessment an, mit dem sie unter anderem ihre Interessen- und Persönlichkeitspassung zum Lehrberuf reflektieren können. Außerdem gibt es einen Aufnahmetest, der vor allem allgemeine kognitive Fähigkeiten und die Sprachkompetenzen prüft. Für das Lehramt für Volksschulen und berufliche Schulen wird zudem ein persönliches Assessment durchgeführt, das beispielsweise die Kommunikationsfähigkeit und die Studienmotivation in den Blick nimmt.“
Die Treffsicherheit, damit auch wirklich die am besten geeigneten jungen Menschen zum Lehramtsstudium zugelassen werden, sei natürlich nicht voll gegeben, gibt Florian Müller einschränkend zu bedenken: „Natürlich wäre es besser, wenn wir alle Studieninteressierten face to face interviewen könnten oder sie in einer Klassensituation oder anderen sozialen Settings erleben könnten. Aber das ist bei tausenden Studienbewerber*innen pro Jahr in Österreich nur dann leistbar, wenn die lehramtsführenden Institutionen und die Bildungsadministration an einer Bestenauslese interessiert sind.“ Im für den Bildungsbereich viel zitierten Finnland hingegen fließen viele Ressourcen in die Auswahl der zukünftigen Lehrer*innen. Dort werden nur ca. 10 bis 20 Prozent der Bewerber*innen zugelassen.
Bei den aufwändigen Verfahren in Finnland und anderen Ländern ist die Wahrscheinlichkeit, die „Richtigen“ zu Lehrer*innen auszubilden, höher. Was weiß man nun aber über die Personen, die später besonders erfolgreiche Lehrkräfte werden? Florian Müller erklärt: „Es gibt relativ stabile Persönlichkeitseigenschaften wie Charaktereigenschaften oder die Interessenstruktur, die sich später auch nicht wesentlich verändern: Zur*zum Lehrer*in geeignet sind Menschen, die extrovertiert und gewissenhaft sind und die sich gut psychisch regulieren können. Sie werden zum Beispiel in sozialen Situationen weniger leicht gestresst. Lehrpersonen brauchen ein ausgeprägtes soziales Interesse, denn guter Unterricht lebt vom Aufbau von Beziehungen. Wer darüber nicht verfügt, wird sich schwertun, langfristig im Lehrerberuf erfolgreich tätig zu sein.“ Zwar sei es nicht ganz ausgeschlossen, dass es einem auch mit weniger passenden Persönlichkeitsmerkmalen gelänge, als Lehrer*in erfolgreich zu arbeiten, aber: „Dann muss man intelligent und reflektiert mit sich und seinen Potenzialen umgehen lernen.“
Eine ebenso wichtige Rolle spielen Kompetenzen, die man sich aneignen kann: Fachdidaktik, Pädagogik und überfachliche Fähigkeiten wie das Führen von Klassen. All das kann und muss man lernen, wie Müller ausführt: „Deshalb gibt es ja auch eine Lehrerausbildung. Wenn sie nicht wirken würde, wäre man quasi ‚zur Lehrerin geboren‘ oder eben nicht. Viele meinen, man habe das Zeug zur Lehrkraft oder man habe es nicht. Dieser Zugang hat sich empirisch als nicht haltbar erwiesen. Zentral ist, dass Studierende möglichst günstige Voraussetzungen – im obigen Sinne – in die Lehrer*innenausbildung mitbringen. Darauf kann man dann aufbauen.“ Passen die Voraussetzungen allerdings nicht, dann steigt das Risiko, weniger erfolgreich und weniger zufrieden im Beruf zu sein.
Eine Befragung der österreichischen Gesundheitskasse aus dem Jahr 2010 hat gezeigt, dass rund ein Viertel aller Lehrer*innen als burnout-gefährdet gilt. „Es sind vor allem die gefährdet, die sich psychisch schlecht regulieren können. Man muss aber auch sagen: Lehrer*innen bekommen in ihrem Alltag – im Vergleich zu anderen sozialen Berufen – relativ wenig professionelle Hilfe. In der Schule gibt es keine Kultur für gezielte psychosoziale Unterstützung. Vielerorts mangelt es an Austausch mit den Kolleg*innen und an Teamarbeit. Zusammengefasst muss man feststellen: So richtig gut kümmert sich der Arbeitgeber um sein Personal an den Schulen nicht“, so Florian Müller.
Wer in Österreich Lehrer*in werden will, muss sich auf beschränkte Karriereperspektiven einstellen. In anderen Ländern ist es hingegen stärker üblich, auch als Quereinsteiger*in in die Schulen zu kommen bzw. umgekehrt einige Jahre in der Privatwirtschaft zu verbringen. Lehrer*innen in der Schweiz können sogar mehrmals ein Jahr Sabbatical für Fortbildung in Anspruch nehmen. „Die Laufbahn ist in Österreich starrer, eröffnet aber trotzdem die Möglichkeit, in der Lehrer*innenbildung, der Bildungsadministration oder in der Schulleitung tätig zu werden. Es täte aber allen gut, temporär aus dem System heraus gehen zu können. Insgesamt ist es die große Kunst, auch langfristig motiviert zu bleiben. Dafür braucht man unter anderem das Gefühl von Autonomie und Entwicklungsmöglichkeiten sowie funktionierende Arbeitsbeziehungen.“ Hier sieht Florian Müller große Chancen: „Lehrer*innen sehen oft nicht, wie groß ihre autonom gestaltbaren Handlungsoptionen sind. Sie können entscheiden, wie sie unterrichten, mit wem sie kooperieren und welche Themen sie vertieft behandeln oder weglassen. Diese Autonomiespielräume gilt es im Sinne der eigenen Motivation zu nutzen, statt nur zu externalisieren und einseitig das System für die eigenen Befindlichkeiten verantwortlich zu machen.“ Viel hänge davon ab, wie es um das soziale Klima im Lehrerkollegium bestellt ist. Als Individuum könne man das nur beschränkt beeinflussen, aber: „Oft hilft auch schon eine einzelne kooperative und kritische Kollegin.“
Für die Zukunft sieht Florian Müller große Herausforderungen für den Berufsstand in Bezug auf die Ganztagesschule zukommen. Bis 2030 sollen in Österreich 60 Prozent der Schulen ganztags geführt werden. Doch: „Untersuchungen haben gezeigt, dass das Interesse der Lehrkräfte, in solchen Schulen zu arbeiten, eher gering ist.“ Für das Lehrerprofil der Zukunft komme also noch ein weiterer Faktor hinzu: „Wir brauchen Lehrer*innen, die das Schulleben auch abseits vom eigenen Unterricht gestalten können und wollen.“
Zur Person
Florian M. H. Müller ist assoziierter Professor am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung. Er forscht zu Lernmotivation, Interessen, Lehreraus- und Lehrerfortbildung sowie Lehren und Lernen in der Hochschule. Er hat unter anderem entscheidend zur Entwicklung des Tools „Career Counselling for Teachers CCT“ (www.cct-austria.at) beigetragen, das heute Grundlage für die online-basierte Selbsterkundung für Studieninteressierte, Studierende und Lehrende in Österreich und in anderen deutschsprachigen Ländern ist.