Commencement Speech von Herlitschka bei Sponsion | Foto: Wallner

Commencement Speech von Sabine Herlitschka

Was gibt die Universität ihren Absolventinnen und Absolventen mit? In den USA ist es üblich, an der Schnittstelle von Universitätsabschluss und Beruf Rednerinnen und Redner aus Öffentlichkeit, Wirtschaft und Kultur aufs Podium zu bitten. Eine solche „Commencement Speech“ fand an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt erstmals im Mai 2015 statt: bei der Sponsions- und Promotionsfeier der Fakultäten für Wirtschaftswissenschaften und für Technische Wissenschaften. Wir geben die „Premierenrede“ von Sabine Herlitschka, CEO von Infineon Technologies Austria, hier im Volltext wieder.

Sehr geehrter Herr Rektor!
Sehr geehrte Absolventinnen und Absolventen!
Sehr geehrte Festgäste!

Eine „Commencement Speech“ am Wörthersee. Die erste in Kärnten; wahrscheinlich sogar eine der ersten in ganz Österreich. Das ist also eine Premiere – für Sie und für mich.

In diesen Tagen sind Kärnten und der Wörthersee zu allem Möglichen im Gespräch. Das meiste davon ist nicht wirklich erfreulich. Ich werde darauf zu sprechen kommen und werde Ihnen vor allem sagen, warum das kein Grund ist, pessimistisch zu sein. Eine Commencement Speech ist etwas überaus Erfreuliches, weil der Anlass etwas Erfreuliches ist.

Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen, machen mit dem heutigen Tag einen wesentlichen Schritt. Sie schließen etwas ab, in das Sie viel Arbeit, Herzblut und Engagement investiert haben. Ihre Eltern, Verwandten, Freunde sind da, freuen sich mit Ihnen. Manche mögen auch erleichtert sein – wie auch immer. Wir alle gratulieren Ihnen heute!

Eine Commencement Speech ist für denjenigen oder diejenige, die sie hält, ebenfalls etwas ganz Besonderes. Ich möchte Ihnen etwas vermitteln, das ich gerade in dieser Ihrer Lebensphase für wichtig halte. Vielleicht gelingt es sogar, so etwas wie Lebenserfahrung zu vermitteln. Bewusst spreche ich von „Erfahrung“. Erfahrungen sind etwas anderes als Wissen oder Information. Erfahrungen verändern uns. Sie hinterlassen Spuren in uns. Das ist manchmal – aber nicht immer – angenehm. Ich möchte Ihnen Mut zusprechen, sich auf den Weg zu machen und Erfahrungen zu riskieren. Denn dieser Weg ist das „Leben“.

Für Commencement Speeches gibt es einige herausragende Beispiele. Gerade in
meiner Branche ist die Rede von Steve Jobs 2005 in Stanford ein echter Meilenstein. Er hat dort – schon gezeichnet von der Krankheit, die ihn einige Jahre später das Leben gekostet hat – genau das gemacht, was ich versuchen möchte: Er hat den jungen Absolventinnen und Absolventen von seinen Erfahrungen erzählt und er hat ihnen Mut gemacht: „stay hungry, stay foolish“. „Bleibt hungrig, bleibt verrückt“, dieser Satz aus seiner Rede ist zum Vermächtnis des Mannes geworden, der das zurzeit wertvollste Unternehmen der Welt aufgebaut hat. Sie sehen also, es ist ein besonderer Moment für Sie und für mich.

Ich möchte Ihnen heute 3 Botschaften vermitteln, auf die ich in der Folge eingehen werde:

  • Sie gehen nun von der Uni hinaus „ins Leben“. Bei allem, was Sie sich vielleicht überlegen oder planen: seien Sie mutig, greifen Sie nach den Sternen und bleiben Sie dabei doch am Boden!
  • Jede und jeder von Ihnen hat so viele Talente geschenkt bekommen! Entdecken Sie Ihre Talente und nutzen Sie diese sinnstiftend! Ja, ich sehe das Geschenk der eigenen Talente als Auftrag, sie sinnstiftend auch für ein größeres Ganzes einzusetzen.
  • Sie kennen den Spruch von der „Krise als Chance“. Für Kärnten geht es darum, diese Krise nicht zu verschenken, sondern sie zu nutzen. Als Chance auf Rückbesinnung auf das, was wichtig ist: Aufarbeiten der Vergangenheit UND radikale Ausrichtung auf die Zukunft, die es gemeinsam zu gestalten gilt.

 

Zum ersten Punkt

Sie gehen nun also von der Uni hinaus „ins Leben“. Bei allem was Sie tun, seien Sie mutig, greifen Sie nach den Sternen und bleiben Sie dabei am Boden.

Was meine ich damit?

„Zukunft hat Herkunft“. Wo passt dieser Satz besser als hier? Hier in diesem Kärntner Raum, der seit Jahrtausenden eine vielfältige und bunte Geschichte hat, also ein „melting pot“ seit jeher ist: ein Schmelztiegel der Kulturen, einer der ganz wenigen Punkte, wo die drei großen kulturellen Traditionen unseres Kontinents zusammenkommen. Wieviel Potenzial, wieviel „Herkunft“, auf die wir da bauen können! Wieviel Kraft für eine mutige Zukunft! Ein Ort der Begegnung seit jeher.

Was machen wir daraus? Ziehen wir die Kraft aus diesen Wurzeln, um uns ganz hoch, ganz weit zu strecken? Haben wir noch Träume, die über ein gutes Leben hinausgehen? Lassen wir uns noch anzünden, begeistern von den großen Aufgaben, den großen Ideen oder bestimmt die Sorge um Verlust unser Leben? Bauen wir vor allem Grenzen gegen die Angst auf und merken nicht, dass wir uns dabei mit ihr einmauern?

Ich werde meine persönlichen Wurzeln, mein Zuhause, nie vergessen oder verleugnen. Ich ziehe daraus Kraft, Identität. Jeden Tag. Es waren einfache Verhältnisse und ich bin stolz auf meine Eltern, die sich mit einfachen Mitteln durchgekämpft haben. Und ich bin auch stolz darauf, dass ich mich gestreckt habe. Dass ich aufgebrochen bin, zuerst nach Wien, dann in europäische Länder, in die USA, nach China und weiter.

Ich bin auch inhaltlich immer wieder aufgebrochen und habe mich gestreckt: Biotechnologie, internationales Forschungsmanagement, Medizinische Universität, Halbleiterindustrie. Wenn sie einen Personalberater fragen, ob das ein möglicher und sinnvoller Lebenslauf ist, wird er wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und doch genau darum geht es: sich strecken und nach den Sternen greifen – auch wenn das manchmal von außen betrachtet verrückt erscheint.

Gleichzeitig, bleiben Sie am Boden; bleiben Sie geerdet. Familie, Freunde, Tradition, Heimat – das sind wertvolle Ressourcen. Manche dieser Begriffe sind schwierig besetzt. Aber das Problem entsteht immer erst dann, wenn der Gegenpol fehlt. Ein Baum, der sich nur an seinen Wurzeln orientiert, wird bestenfalls zum Bodendecker. Das heißt ja nicht, dass die Wurzeln schlecht sind, dass es kein „grounding“ braucht – aber es fehlt der Zug zum Himmel. Diese Region braucht so sehr den Blick nach oben und nach vorne.

Jeden Tag verlassen statistisch neun junge Menschen Kärnten. Manche sagen: wir müssen verhindern, dass die Jungen rausgehen. Wir müssen sie hier halten. Ich halte das für falsch. Das ist die „Bodendecker-Sicht“. Da mauern wir uns mit unserer Angst ein. Nein – gehen Sie hinaus! Brechen Sie auf! Greifen Sie nach den Sternen, lernen Sie und machen Sie Ihre Erfahrungen!

Und dann: dann kommen Sie zurück. Und zwar um hier etwas zu schaffen. Wir müssen eine Region bauen, in die man gerne kommt und gerne zurückkommt. Weil man hier eine Chance hat, seine Träume zu verwirklichen. Denken Sie diesen Gedanken einmal mit mir: nach den Sternen greifen und am Boden bleiben.

Zum zweiten Punkt: die Talente

Sie sind reich. Sie alle sind reich. Damit meine ich nicht primär den materiellen Wohlstand – obwohl wir alle im globalen Maßstab zu den reichsten 10 Prozent gehören. Sie sind auch reich an Talenten. Sie alle haben viel mehr an Talenten und Möglichkeiten geschenkt bekommen, als Sie in einem Leben jemals entwickeln und verfeinern können. Die Natur hat Sie verschwenderisch ausgestattet. Wohl 100 Jahre sind viel zu kurz für all das, was Sie aus Ihren Talenten machen können.

Reichtum schafft Verantwortung. Bei materiellem Reichtum werden mir die meisten problemlos zustimmen. Natürlich soll jemand, der mehr hat, auch mehr beitragen. Das empfinden wir als gerecht und ist ein Fundament unserer Gesellschaft. Sie sind reich an Talenten und Möglichkeiten. Auch das schafft eine Verantwortung. Aristoteles sagt: „Wo sich Deine Talente mit den Bedürfnissen der Welt treffen, dort liegt Deine Berufung“. Es geht darum etwas zu tun, das sich vielleicht in einem höheren Sinn in ein größeres Ganzes einfügt. Geld verdienen allein – wichtig als Basis – ist noch kein Lebenssinn.

Wir leben in der Zeit der „short cuts“. Ich will alles – und zwar gleich. Reichtum, Erfolg, Glück. Vor allem Glück. Wir alle wollen ein glückliches Leben. Aber wie geht das? Mit jedem Jahr meines Lebens verstehe ich ein wenig besser, dass die großen Dinge im Leben wie Glück, Erfolg und lebendige Beziehungen nicht direkt „gemacht“ werden können. Der short cut zum Glück funktioniert nur scheinbar – in Casting Shows und Lotterien.

Erfolg erzielt man, indem man etwas Höheres anstrebt – nämlich Sinn. Glücklich werden kann man erst, wenn man das eigene Glück nicht mehr ständig zum Maßstab macht und über sich selbst hinausdenkt und hinauswächst. Wer ausschließlich sein Ego zum Maßstab seines Lebens macht, der wählt ein kleines Leben,weil er nie über sich hinauswachsen wird. Und wer sein Ego zum Maßstab seines Lebens macht, verweigert auch die Verantwortung für seine Talente.

Zum dritten Punkt: Krise als Chance

„You never want a serious crisis to go to waste.“ Das ist ein Zitat, das mehreren Personen zugeschrieben wird, von Winston Churchill, „FDR“ Franklin Delano Roosevelt – dem Krisenpräsidenten schlechthin der USA – bis zu Rahm Emanuel, Stabschef unter Obama. Verschwende nie eine ernste Krise, sie gibt uns die Möglichkeit, Dinge zu tun, die vorher nicht möglich waren.

Natürlich ist Kärnten in einer schwierigen Situation. Natürlich ist das ein Problem. Und natürlich passieren jetzt schmerzhafte Dinge. Ich möchte keine politische Analyse anstellen. Das ist weder meine Aufgabe, noch meine Absicht und schon gar nicht der Anlass. Aber dass der Ausgangspunkt des ganzen „Schlamassels“ mit den früheren Verhältnissen in Kärnten zu tun hat, kann jedenfalls niemand, der sachlich auf das Problem blickt, abstreiten. Es geht mir an dieser Stelle nicht darum, zu diskutieren, wer woran wieviel Schuld trägt. Worum es mir geht, ist Folgendes zu sagen: dieses Land, unsere gemeinsame Region, kann mehr, viel mehr, als es in den letzten Jahren und Jahrzehnten getan und geschaffen hat.

Die aktuelle Krise ist ja nur das Symptom. Sie hält uns allen ganz direkt und brutal den Spiegel vor Augen und zeigt uns, dass wir auch als Land, als Region, der Verantwortung für unsere Talente, für unsere Begabungen, nicht gerecht geworden sind. Ich spreche von uns, ganz bewusst. Das ist nicht nur ein Thema für Politiker und Banker, es ist ein Thema für uns alle.

Ich habe vom Reichtum dieses Landes gesprochen, vom Reichtum an Tradition, an vielfältigen Kulturen und Begegnungsräumen, der landschaftlichen Schönheit, dem Reichtum an Talenten. Diese Krise ist der Weckruf. Jetzt ist der Zeitpunkt, dass ein Ruck durch dieses Land gehen kann, „Verschwende nie eine ernste Krise – sie gibt uns Möglichkeiten Dinge zu tun, die vorher nicht möglich waren“.

Für Infineon heißt das, dass wir bei jeder Gelegenheit noch offensiver wichtige Zukunftsthemen platzieren, wie z.B. die hohe Bedeutung von Bildung und Ausbildung, die positive Kraft von Diversität in jeder Hinsicht, oder auch technologiepolitische Zukunftschancen, wie die Digitalisierung und „Industrie 4.0″, um zu einem wettbewerbsstarken Kärnten der Zukunft beizutragen.

Ich habe am Anfang gesagt, ich will über Lebenserfahrung sprechen. Über Gedanken und Erfahrungen, die mich verändert und geprägt haben. Das sind sie:

  • Greifen Sie nach den Sternen und bleiben Sie am Boden!
  • Übernehmen sie Verantwortung für Ihren Reichtum an Talenten –machen Sie etwas daraus!
  • Lassen Sie uns diese Krise nicht verschwenden, sondern die Dinge wirklich angehen, die uns als Region weiterbringen, die wir bisher für nicht möglich gehalten haben!

Der heutige Tag zeigt, dass Sie schon ein Stück nach den Sternen gegriffen haben, dass Sie begonnen haben, aus Ihren Talenten etwas zu machen. Das ist ein großer Schritt. Und es ist erst der Anfang! Unendlich viel mehr liegt vor Ihnen, wenn Sie sich trauen. Genießen Sie das Leben und schonen Sie sich nicht! Trauen Sie sich viel zu! Und trauen Sie sich, nach den Sternen zu greifen!

Alles Gute!

Zur Person:
Dipl.-Ing.in Dr.in Sabine Herlitschka, MBA, absolvierte ein Studium der Lebensmittel- und Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur in Wien und dissertierte dort. Diverse Auslandsaufenthalte führten sie unter anderem in die USA. Sabine Herlitschka war Vizerektorin für Forschungsmanagement und Internationale Kooperationen an der Medizinischen Universität Graz, an der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG war sie Bereichsleiterin für Europäische und Internationale Programme. Seit 2011 ist Sabine Herlitschka Vorstandsmitglied der Infineon Technologies Austria AG, einem Unternehmen mit € 1,3 Mrd. Umsatz (2014) und Hauptsitz in Villach; seit 2014 ist sie Vorstandsvorsitzende.