„Es liegt an uns!“

Der „Grenzfall Kärnten“ gibt Anlass für interessante Analysen und zukunftsweisende Lösungen

Rund 150, vor allem junge Menschen, folgten am 1. Juni 2006 der Einladung der Uni Klagenfurt zur Präsentation aktueller Beiträge zum erneut aufgebrochenen Konflikt um die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln.

Martin Hitz, gemeinsam mit Karl Stuhlpfarrer Herausgeber des Bandes „Grenzfall Kärnten“, stellte Buch wie Diskussion als einen drängenden Beitrag der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt zur Auflösung des längsten Konflikts Österreichs vor. Die Aufgabe der Klagenfurter ExpertInnen besteht neben der möglichst nüchternen faktischen Aufarbeitung der Geschichte auch in der psychologischen und gruppendynamischen Analyse sowie im konstruktiven Nachdenken über neue Lösungen.

Ernüchternd sind die offiziellen Volkszählungszahlen zum Schwund der Kärntner Slowenen, wie sie von Zeithistoriker Valentin Sima berichtet werden: Vor hundert Jahren sprach noch jeder Vierte/jede Vierte Slowenisch, heute kann diese nur mehr jeder Vierzigste/jede Vierzigste.

„Misstrauisch gegen Verheißungen“ zeigt sich Zeithistoriker Karl Stuhlpfarrer. Er traut den derzeit so hoffnungsfroh dargestellten Verhandlungen um die Ortstafelaufstellung nicht. Selbst wenn zur Aufstellung von 158 Tafeln – um 50 weniger als 1972 –  kommen sollte, muss mit weiteren Auseinandersetzungen gerechnet werden, „doch dann hoffentlich von beiden Seiten in den beiden Landessprachen. Es liegt an uns!“

Als Kriegstraumaforscher kennt Klaus Ottomeyer die Ursache für das irritierende Verhalten der ursprünglich slowenischen Großelterngeneration: Die Verweigerung des Slowenischlernens und –sprechens wurde im 2. Weltkrieg eine Möglichkeit des Überlebens. Die traumatischen Erfahrungen kommen in der derzeitigen Situation wieder. Das alte Überlebenskonzept wird beibehalten und auch der Enkelgeneration angeraten. Das stößt dort auf völliges Unverständnis und führt zu neuen, innerfamiliären Konflikten.
Der große, alte Konflikt werde künstlich am Schwelen gehalten und die Identitätsverunsicherungen bleiben bestehen. Mit einer einseitigen „Wir-Kärntner-Identität“ seien keineswegs alle im Land einverstanden, auch wenn es immer wieder als Heilungskonzept vorgetragen wird.

Konfliktforscher Peter Heintel weiß um die große Dimension dieses „ewigen“ Kärntner Konflikts und von mehrfachen Versuchen, dem mit Mediation beizukommen. Er warnt vor Kollektivschuldzuweisungen egal nach welcher Seite. Das wäre ein Verharren im gleichen Schema und kann keinesfalls zu einer Entspannung der Lage beitragen, sondern nur wieder neue Ressentiments hervorbringen. Pathologisch wird ein Konflikt dann, wenn sich die Beteiligten über seine Ursache nicht mehr bewusst sind. Der Verdacht liegt nahe, dass bestimmte Personen und Personengruppen am Bestehen des Konflikts interessiert seien und deshalb Lösungen gar nicht anstreben. Der Großteil der Bevölkerung ist des Themas jedoch längst überdrüssig.

Bettina Gruber vom Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik stellt das eben von mehreren AutorInnen fertiggestellte und breit angelegte Konzept für ein „Friedensprojekt Europa“ vor. Der Mangel an Demokratiebewusstsein und Rechtsstaatsbewusstsein im Kärntner Volk sei auch eine Versäumnis der Bildungsinstitutionen des Landes über Jahrzehnte gewesen. Für die jungen Menschen müsse mehr getan werden und kreativ und nachhaltig an der Realität gearbeitet werden: Ein friedliches Zusammenleben in der Multikulturalität muss das Ziel sein und das Friedenszentrum wird für die Realisierung seinen Beitrag leisten.

Lojze Wieser, Verleger und Mitinitiator der Unterschriftenaktion pro Kärntnen/za Koroško, fordert den zukunftsweisenden Blick auf ein Leben in einem Europa, das aus 200 Sprachen und Kulturen besteht. Auf die Frage wie? lautet seine Antwort „Einfach tun!“ indem Zweisprachigkeit von allen gelebt und – als Aufforderung auch an die Medien – Slowenisch täglich geschrieben und gesagt wird.

Das Publikum kann sich aber auch an die Einbegleitung von Hubert Lengauer, dem neuen Vizerektor für Internationale Beziehungen und interne Kommunikation, halten, wenn er Handkes Theaterstücktitel aus dem Jahr 1973 zitiert: „Die Unvernünftigen sterben aus“, und auf die hohe Frustrationstoleranz und Beharrlichkeit der Uni Klagenfurt hinweist, die bereits zum 4. Mal die Uni-Tafel mit der Aufschrift Universität Klagenfurt / Univerza v Celovcu aufgestellt hat, nachdem sie schon dreimal von Unbekannten entfernt worden war.

Das Buch:

GRENZFALL KÄRNTEN | Zwischen Vergangenheit und Zukunft
Hrsg. von Martin Hitz und Karl Stuhlpfarrer mit Beiträgen von
Martin Hitz  | Valentin Sima | Klaus Ottomeyer | Karl Stuhlpfarrer | Peter Heintel | Lojze Wieser | und dem Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik.

Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec, Juni 2006
ISBN 10 3-85 129-639-7, ISBN 13 978-3-85129-639-6

12,95 EURO