Logistik in der Pandemie

Vor einem Jahr war Germ Mangelware, nun sind wir am Übergang zwischen Impfstoffknappheit und Impfwilligensuche. Die Corona-Pandemie hat auch der westlichen, sonst bestens versorgten Welt gelehrt, dass nicht immer alle Güter gleichermaßen zur Verfügung stehen und nachgeliefert werden können. Wir haben mit Margaretha Gansterer über die Herausforderungen in der Pandemie gesprochen.

Als im Frühjahr 2020 plötzlich die Supermärkte gestürmt wurden, war man offenbar nicht hinreichend darauf vorbereitet. Was sagt uns das über die Versorgungssicherheit mit wichtigen Gütern des alltäglichen Bedarfs?
Grundsätzlich ist es so, dass es in unserer Gesellschaft eine recht stabile Nachfrage nach Gütern gibt, die saisonal schwankt. In der Versorgungskette weiß man aber zum Beispiel, dass vor Weihnachten und Ostern mehr Lebensmittel eingekauft werden. Man ist darauf eingestellt. Nun hat es durch die Ankündigung des ersten Lockdowns plötzlich eine vermehrte Nachfrage gegeben. Die leeren Regale haben dann ausgelöst, dass die Menschen angesichts der scheinbaren Knappheit noch mehr gekauft haben.

Inwiefern ist das Hamstern für die Logistik problematisch?
Ich sehe hier Parallelen zur Pandemiebekämpfung. Es gelten viele einschränkende Maßnahmen, um die Gesundheit der Gemeinschaft zu schützen. Ähnlich ist das auch bei den Hamsterkäufen: Aus individueller Sicht ist die Sorge vor Knappheit zwar nachvollziehbar, aber mit Blick auf die Gemeinschaft erzeugen die Hamsterkäufe für uns Probleme. Tatsächliche Bedarfe werden verzerrt, und entlang der Wertschöpfungskette kommt es zu sich aufschaukelnden fehlerhaften Prognosen.

Manches könnte in Krisenzeiten aber tatsächlich knapp werden?
Dazu muss ich festhalten: Unterbrechungen und Störungen von Lieferketten sind nicht unüblich. In Krisenzeiten treten sie aber verstärkt auf. COVID-19 wurde zuerst in China festgestellt, damit sind Lieferengpässe bei chinesischen Komponenten aufgetreten. Grenzschließungen führten zu Verzögerungen beim Güterverkehr. Einreiseverbote oder Krankheits- und Quarantänefälle waren  dann auch für Ausfälle beim Personal verantwortlich.

Wie kann man mit technischen Hilfsmitteln hier unterstützen?
Wir versuchen, in einem AKUT-Projekt gefördert vom FWF die (Kauf-)Entscheidungen der Menschen und die damit verbundenen Distributionsprobleme in mathematische Modelle zu gießen. Historische Daten sollen also dabei helfen zu erkennen, welche Produkte in welchen Situationen stärker nachgefragt werden könnten und wo Knappheit auftreten könnte. Dabei ist aber zu beachten, dass insbesondere der erste Lockdown aus verhaltensökonomischer Sicht eine sehr spezielle Situation dargestellt hat. Gemeinsam mit Projektleiter Karl Dörner (Universität Wien) und Niki Popper (TU Wien; DWH) arbeiten wir an Lösungen. Das Projektteam wird vom Österreichischen Roten Kreuz, dem Gesundheitsministerium sowie der Wirtschaftskammer Wien unterstützt.

Kommen wir zu anderen logistischen Herausforderungen im Umgang mit der Pandemie: den Tests und den Impfungen. Die Strategie „test – trace – isolate“ hat hierzulande ihre Schwächen, weil vieles davon zu langsam über die Bühne geht. Warum?
Das Contacttracing an sich ist eine reine Ressourcenfrage und nicht kompliziert. In letzter Zeit sind allerdings viele Probleme entlang der Testkette aufgetaucht – von der Abnahme der Tests, der Auswertung im Labor, der Übermittlung der Ergebnisse, dem Contacttracing bis hin zur behördlichen Quarantäneverfügung. Das hat alles viel zu lange gedauert. Solange der Effekt einer breiten Impfkampagne noch nicht eingetreten ist, müssen wir aber weiter in eine schnellere Kontaktnachverfolgung und großflächige Testprogramme investieren.

Die nächste große Aufgabe ist nun das anstehende Impfen der breiten Bevölkerung. Sind wir hier Ihrer Wahrnehmung nach gut vorbereitet?
Impfungen sind grundsätzlich schwieriger zu organisieren als Testungen: Es gilt nach wie vor, eine Priorisierungsliste einzuhalten und Impfwillige einzelnen Impfstationen und -terminen zuzuordnen. Gleichzeitig müssen wir möglichst niederschwellige Angebote entwickeln, um auch jene, die noch zweifeln, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht, zu erreichen. Nach wie  vor sind auch Lager- und Transportherausforderungen gegeben, wenngleich vieles in den vergangenen Wochen einfacher geworden ist: Wie viele Impfdosen sind in einer Box, sodass sie nicht erneut geschlossen und woanders hingebracht werden muss? Haben wir an jedem Ort genug anderes Material wie Schutzausrüstung und Spritzen? Können wir die Zweitimpfungen jeweils mit dem gleichen Impfstoff garantieren, trotz potenzieller Lieferausfälle?

Haben wir genug Kompetenzen in Österreich, um diese Aufgabe zu bewältigen. Wenn ja, wo sind sie denn verortet?
Ja, ich glaube, wir können das. Ich sehe viele kompetente Köpfe teilweise in der Wissenschaft, teilweise in der Politik. Wir brauchen aber echte Kooperation zur Bewältigung dieser Mammutaufgabe. Wenn aber alle effizient zusammenarbeiten, bin ich guter Dinge.

Zur Person


Margaretha Gansterer ist seit Oktober 2019 als Professorin für Produktionsmanagement und Logistik am Institut für Produktions-, Energie- und Umweltmanagement tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Lösen von komplexen Planungsproblemen in der Produktion und Logistik. Ein besonderer Fokus liegt hier auf der Entwicklung von effizienten Algorithmen in der Tourenplanung. Gansterer ist außerdem Mitglied der Covid19 Future Operations Plattform.



Margaretha Gansterer