Im Kosmos von Susanne Friede

Mein Kosmos sind Texte und Bücher. Diese finde ich bevorzugt in Antiquariaten. Dieses „Antiquariat in den Bärenlauben“ fand ich gleich bei meinem ersten Aufenthalt hier in Klagenfurt unmittelbar nach meinem Bewerbungsvortrag. Immer, wenn ich an einen neuen Ort komme, suche ich als Erstes nach Antiquariaten. Dort treffe ich gebündelt auf die Spuren von Kulturen.

Ich bin ständig auf Spurensuche in den Materialien aus der Vergangenheit. Kultur ist materialisiert, eine Verbindung aus Ästhetik und Haptik. Sie ist aber auch ein Arbeiten mit und gegen den Tod. Indem man sich mit den Spuren der Vergangenheit beschäftigt, wird deren Tod überwunden. Jede Kultur ist eigentlich immer dabei unterzugehen, wir merken es nur nicht. Die Texte sind im Prinzip die Überlebenden.

Zu Büchern habe ich ein kreatives Verhältnis. Sie kommen und gehen. Ich freue mich riesig, wenn ich ein Buch finde, das ich schon lange gesucht habe. Das sind eben Trouvailles, Dinge, von denen man dachte, dass man sie im Leben nicht mehr sehen wird. Ich bin jedoch keine, die Bücher hortet, deshalb werden sie rotierend aussortiert. Wenn ich mir sicher bin, dass ich ein Buch wieder brauchen werde oder es wieder einmal lesen will, behalte ich es. Die anderen Bücher werden verschenkt, in Buchstationen eingestellt oder unter Freunden getauscht.

Meine Freunde sehe ich regelmäßig. Sie sind meistenteils auch auf Spurensuche, in Noten, Bildern, Bibeln etwa oder – wie meine Archäologenfreunde – in alten Knochen. Ich habe mehrere, schon lange bestehende Freundeskreise. Wir sehen uns regelmäßig, treffen uns quasi rituell, ähnlich den Gruppen in alten Colleges, und wir telefonieren häufig. Das war eine Voraussetzung für meine Wissenschaftsexistenz. Diese ist ja per definitionem nicht statisch an einen Ort gebunden. Man muss bereit sein, eine Woche in Rom und die nächste in Hamburg zu verbringen. Ohne dieses Reservoir an Freunden könnte ich meinen Beruf nicht ausüben. Es sind Menschen, die weniger in der ökonomischen Welt zuhause sind. Die Gesellschaft wird zunehmend oberflächlicher, alles wird einer Funktionslogik und Optimierung untergeordnet. Literatur und Kultur bilden dazu ein Gegengewicht.

Zur Romanistik bin ich über Archäologie und Latein gekommen. Ich habe anhand antiker Vasen und Epen meine Passion entdeckt und in der Folge die ältere Philologie zum Beruf gemacht. Ausschlaggebend war ein Artus-Seminar beim Altromanisten Ulrich Mölk. Mit dem Mittelalter tat sich mir eine vollständig andere Welt auf, eine zwischen – ganz kitschig – Rittern und der Chevalerie, die mich schon mit Anfang Zwanzig völlig fasziniert hat. Es ist eine Welt, die weit zurückliegt und die wir nie wieder so richtig werden erfassen können. Dieses geheimnisvolle Aggregat von Verhaltensweisen, Idealen und Kulturtechniken, das uns wie durch einen Schleier entgegentritt, war der Ausgangspunkt für meine Dissertation. Ich erlernte auch das Altokzitanische – die Sprache der Liebeslyrik und der Trobadors – und bin nun eine der wenigen im deutschsprachigen Raum, die diese alten romanischen Sprachen lesen, unterrichten und über sie forschen kann. Damit trage ich auch eine Art von Verantwortung, das Aussterben von Zugangsmöglichkeiten zu einer Kultur zu verhindern.

Wissenschaft und Leben gehen bei mir untrennbar ineinander über. Dazu gehört auch, dass ich gerne in Frankreich bin. Wenn ich den deutschsprachigen Raum verlasse, übernimmt mein Alter Ego. In Paris habe ich ein Hotel, das immer une petite chambre für mich frei hat. Man merkt mir dann nicht mehr an, dass ich keine Französin bin. Dazu gehören natürlich ein Croissant, un café und ein Buch.

Aufzeichnung: Barbara Maier

Susanne Friede

Geboren: 1969 in Hannover, Deutschland

Beruf: Universitätsprofessorin für Romanistische Literaturwissenschaft

Ausbildung: Studium der Klassischen und Romanischen Philologie und der Klassischen Archäologie in Göttingen und Clermont-Ferrand

Kosmos: Johannes Heyn Antiquariat in den Bärenlauben, Klagenfurt, 17. Jänner 2019