KUNST KANN ALLES … aber MUSS NICHTS.

Das Thema VERSCHIEBUNGEN | PREMIKANJA | SPOSTAMENTI war das Generalthema vom Universitätskulturzentrum UNIKUM der letzten beiden Jahre. Alina Zeichen und Josef Nikolaus Meixner, die ab Jänner 2023 die Geschäftsführung des UNIKUM übernehmen, blicken mit ad astra zurück und nach vorne.

EUROPA VERSCHIEBEN | PREMIKAJMO EVROPO | MUOVIAMO L’EUROPA ist die jüngste Projektreihe innerhalb des Zweijahreszyklus VERSCHIEBUNGEN. Wie kam es dazu?

J. N. Meixner: Ähnlich wie in allen Jahren davor: Man setzt sich als Geschäftsführung mit dem Vorstand und dem künstlerisch-wissenschaftlichen Beirat zusammen und brainstormt. Dabei sind wir darauf gestoßen, dass uns eine Reflexion über die Verschiebungen, die in Europa in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben, interessieren würde. Europa wird laufend neu produziert, ist ständig in Veränderung, verschiebt sich in viele Richtungen. Diese Gestaltung selbst ist für mich Europa. Wenn dieser Gestaltungsprozess aufhört, existiert Europa meiner Meinung nach nicht mehr.

Welche Aktionen wurden innerhalb dieses Programms umgesetzt?

Meixner: Wir haben mehrere Projekte umgesetzt bzw. sind diese noch in der Umsetzung. Eine Ausstellung haben wir kurz vor knapp komplett neu konzipiert. Durch die für Europa bedrohliche Situation des Angriffskriegs auf die Ukraine haben wir unser Erstkonzept komplett über den Haufen geworfen − zugunsten eines meines Wissens noch nie da gewesenen Formats der Kunstpräsentation. Die Aktion „KUNSTTASCHE/ UMETNOST V TORBI/МИСТЕЦТВО У ТОРБІ“ sollte nicht nur als ein Zeichen der Solidarität mit den von Krieg, Gewalt und Flucht betroffenen Menschen in der Ukraine fungieren, sondern auch eine Maßnahme zur Unterstützung ukrainischer Kulturakteur*innen sein. In 50 „stummen Verkäufern“, also Entnahmetaschen, wie man sie für Zeitungen kennt, haben wir Kunstwerke von ukrainischen Künstler*innen zur freien Entnahme angeboten, mit der Möglichkeit zu spenden. Die Kunsttaschen waren am Unicampus, entlang des Lendkanals und in mehreren Kulturinitiativen kärnten- und österreichweit aufgestellt. Bei den Kulturinitiativen können Kunstwerke nach wie vor entnommen werden.

Wie konnten Sie Kunstschaffende in der Ukraine in dieser unüberschaubaren Kriegssituation finden?

Alina Zeichen: Wir haben über Graz, die auch eine Anlaufstelle für geflüchtete Künstler*innen aus der Ukraine sind, Kontakt mit der ukrainischen Kuratorin Nastia Khlestova aufgenommen, die dann wiederum für uns die zehn Künstler*innen für die Kunsttaschen ausgewählt hat. Mehr als die Hälfte von ihnen befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Ukraine und auch das war uns ein Anliegen – die Künstler*innen vor Ort zu unterstützen.

Beim Betrachten der Werke kommt man nicht unbedingt darauf, dass es sich um Künstler*innen handelt, in deren Land Krieg herrscht.

Meixner: Wir wollten die Aufmerksamkeit auf die Kunst und die Künstler*innen legen und nicht unbedingt auf das Thema Krieg. Deshalb hat unsere Kuratorin Werke ausgewählt, die sich nicht mit der Kriegssituation beschäftigen. Sie decken ganz unterschiedliche Stile ab – von klassischer Malerei über Fotografie bis hin zu digitaler Kunst.

Macht das die Arbeit des UNIKUMS aus – auf das zu reagieren, was gerade um uns passiert?

Zeichen: Nicht unbedingt. Da unser aktuelles Thema „Europa verschieben“ lautet und die Ukraine Teil Europas ist, war es aus unserer Sicht notwendig, darauf zu reagieren. Es hat thematisch gepasst. Europa wird gerade verschoben und verschiebt sich selbst, weil so viele Dinge neu ausverhandelt werden müssen, zum Beispiel was Ressourcen betrifft. Europa sieht sich nach fast 30 Jahren wieder mit Krieg konfrontiert. Das ist schon außergewöhnlich.

Meixner: Aber so kurzfristig haben wir bis dahin noch keine Aktion ins Leben gerufen! Es ging auch darum, dass wir uns ohnmächtig gefühlt haben. Wir haben uns gefragt: Was können wir tun? Wie können wir Kunstschaffende unterstützen, denen gerade alles wegbricht? Nachdem der Kontakt zu den Künstler*innen hergestellt worden war, gab es die Schwierigkeit, an die Kunstwerke zu kommen. Deshalb haben wir uns überlegt, dass sie uns ihre Werke digital schicken und wir sie hier produzieren lassen. Die Künstler*innen wurden selbstverständlich für ihre Kunst bezahlt.

Warum das Format der Kunsttasche?

Meixner: Das Konzept dahinter, das auf dem Vertrauen aufbaut, dass jemand Geld einwirft oder eben nicht, hat uns gut gefallen. Wir haben bei unserer Aktion auch auf einen Vertrauensvorschuss gesetzt: Menschen entnehmen die Kunst aus den Taschen, und wir hoffen, dass sie im Gegenzug spenden. Zusätzlich bieten die Taschen einen niederschwelligen Zugang zu Kunst, da Menschen jederzeit hineingreifen und sich ein Stück Kunst mitnehmen können.

Zeichen: Die Spenden, die durch die Aktion zusammenkommen, gehen an den Ukrainian Emergency Art Fund, eine NGO, die in der Ukraine Künstler* innen, Kulturarbeiter*innen und -vermittler*innen unterstützt. Viele von ihnen können derzeit nicht frei arbeiten, haben keinen Zugang zu ihren Ateliers, zu Materialien und können nicht ausstellen.

Was kann Kunst in Krisenzeiten bewirken? Welche Rolle sollte sie übernehmen?

Zeichen: Kunst kann alles … [aber muss nichts, wirft J.N. Meixner ein]. Kunst kann Möglichkeiten zur Ablenkung und Unterhaltung bieten, um sich kurzzeitig auch mit etwas Anderem zu beschäftigen. Sie kann uns auf andere Gedanken bringen. Sie kann aber auch aktuelle Themen auf andere Art aufgreifen, vertiefen, kritisch hinterfragen und blinde Flecken aufdecken. Oft zeigt sie uns auch Wege und Richtungen auf, in die wir gehen könnten, seien sie noch so utopisch und idealistisch.

Meixner: Bei einem anderen großen Projekt, das wir in diesem Jahr realisiert haben, wurde deutlich, wie Kunst die Vergangenheit reflektieren, die Gegenwart darstellen und eine positive Fragestellung für die Zukunft aufwerfen kann. Mit dem Architekturstudio Studio Wild aus den Niederlanden und Stazione di Topolò/Postaja Topolove haben wir eine Landart-Installation in Topolò/Topolove in Italien umgesetzt. Studio Wild hat einen verwilderten Berghang in Topolò freigelegt, an dem einst Terrassengärten angelegt waren, und dort Pappeln gepflanzt. ‚Topol‘ ist Slowenisch für ‚Pappel‘ und es wird erzählt, dass der Name des Dorfs daher rührt. Die Bäume waren dort einst sehr verbreitet, sind aber heute größtenteils verschwunden. So wie die Menschen, denn es handelt sich um eine von starker Abwanderung betroffene Region. Das Projekt hat sozusagen die Pappeln zurückgeholt – auch als Metapher dafür, dass die Menschen zurück in die Dörfer und diese Region kommen.

Wird der Einfluss von Kunst hier nicht überschätzt?

Zeichen: Das Werk ‚The Present‘ von Aldo Giannotti, welches zurzeit an der Ost-Fassade des Nordtrakts der Universität Klagenfurt zu sehen ist, ist wahrscheinlich die beste Antwort auf die Frage, wie groß der Einfluss von Kunst ist oder sein kann: Wir würden gerne die Revolution starten, aber dann kommt doch wieder etwas dazwischen – etwas ‚Kleines‘ wie eine familiäre Krise oder etwas ‚Großes‘ wie ein Krieg, die Klimakatastrophe oder Neuwahlen. Kulturakteur*innen sind auch ‚nur‘ Teil der Gesellschaft und sie sitzen mit uns allen im selben Boot.

Meixner: Kunst kann alles, wie Alina gesagt hat, aber auch nichts. Und das ist für mich die große Leistung. Die Arbeit in Topolò/Topolove beispielsweise ist eine ästhetische. Es wird keine neue Infrastruktur aufgebaut, das heißt aufgrund der Installation werden kaum große wirtschaftliche Veränderungen zu erwarten sein. Dennoch macht das Projekt einen Raum auf, wo Utopien, Dystopien, Reflexionen möglich sind, die der Ohnmacht etwas entgegensetzen.

Für ad astra: Katharina Tischler-Banfield

OLHA LISOWSKA. Zeichnung LÖWE
Kunsttasche am Campus der Universität

Buchtipp


Landschaften und Orte sprechen zu uns. Durch die Menschen, die sie bewohnen, aber auch durch ihre Gestalt und ihre Namen. Anna Baar, Maja Haderlap, Elke Laznia, Elena Messner und Verena Gotthardt, Antonio Fian, Alois Hotschnig und Daniel Wisser wollten wissen, was es mit den Orten Gallizien/Galicija, Kanaren/Kanare, Klein Venedig/Pri Jecmenu, Malta, Straßburg, Türkei/Turce, Unterloibl/ Podljubelj auf sich hat — die alle einen europäischen „Zwilling“ haben. Die Autor*innen haben die Orte erkundet und ihre Erfahrungen in Bild und Text festgehalten.

Kanaren im Nebel. Europäische Ansichten aus Kärnten/Koroška
Ein Text- und Bildband des Universitätskulturzentrums UNIKUM Kulturni center univerze. 2022. Drava Verlag.

Über das UNIKUM


Das UNIKUM wurde 1986 als freie Kulturinitiative gegründet und als besondere universitäre Einrichtung an der Universität angesiedelt. Nach Gerhard Pilgram im vergangenen Jahr wird mit Ende des Jahres auch Emil Krištof als langjähriger Leiter in den Ruhestand gehen. Das UNIKUM startet mit Jänner 2023 unter der Leitung von Alina Zeichen und Josef Nikolaus Meixner.