Switbert Lobisser: Kärntner Volksabstimmung 10. Oktober 1920, Holzschnitt 1930 | Bearbeitung: Mayü Belba 2018

10. Oktober in Kärnten

Wie gehen die Kärntnerinnen und Kärntner mit den Erinnerungen und den Inszenierungen zum 10. Oktober um?

2020 jährt sich das Ereignis zum 100. Mal. Im Gefolge des Vertrags von Saint-Germain wurde über die staatliche Zugehörigkeit der überwiegend von slowenischsprachigen KärntnerInnen bewohnten Gebiete im Südosten Kärntens entschieden. Rund 37.000 Menschen waren abstimmungsberechtigt. 59 Prozent von ihnen entschieden sich für den Verbleib bei Österreich, 41 Prozent für eine Zugehörigkeit zum SHS-Staat. Selbst ein erheblicher Teil der Kärntner SlowenInnen, es sind etwa 40 Prozent, entschied sich für eine Zugehörigkeit zu Österreich.

„Dieses Ereignis hätte auf unterschiedliche Weise interpretiert werden können“, erläutert Projektleiter Bernd Liepold-Mosser, Theatermacher und Lehrbeauftragter an den Instituten für Philosophie, Kulturanalyse und Germanistik an der AAU: „Der 10. Oktober könnte als Pilotprojekt für direkte Demokratie oder als Best-Practice-Beispiel für die Lösung von Grenzkonflikten durch die Vermittlung der internationalen Staatengemeinschaft gelesen werden. In den vergangenen hundert Jahren wurde die Volksabstimmung in der Folge des Abwehrkampfs jedoch zum Narrativ für ein ‚Deutsch-Kärnten‛. Dieses Narrativ bestimmte das Kärntner Geschichtsbild, dem ungelöste Widersprüche und Fragestellungen innewohnen, die das Land bis heute beschäftigen, und führte zum ‚Dispositiv Kärnten/Koroška‛, innerhalb dessen man sich im 20. Jahrhundert subjektivierte und defi nierte – übrigens in gewisser Weise auch, wenn man sich kritisch damit auseinandersetzte.“

Das vom österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) geförderte Projekt mit dem Titel „Performing Reality – Dis- und Reartikulation des Dispositiv Kärnten/Koroška“ ist am Institut für Kulturanalyse der AAU angesiedelt und möchte, so der Institutsvorstand Klaus Schönberger, „zu einem neuen und die bisherige Schützengraben-Mentalität überschreitenden Blick“ beitragen. Er führt weiter aus: „Es geht in dem Projekt darum, die bisherige Form der Erinnerung um den 10. Oktober einerseits kulturanalytisch zu untersuchen und andererseits mit künstlerischen Mitteln nicht nur zu dekonstruieren, sondern auch zu einem erweiterten Blick beizutragen.“ Die Analyse der geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung der Volksabstimmung stand in diesem ersten Halbjahr des Projekts im Vordergrund, nun will die Forschungsgruppe sich der Literatur und der Kunst zuwenden.

Gleichzeitig werden erste Ergebnisse dieser Kooperation von Kunst und Wissenschaft bereits jetzt präsentiert: Im Rahmen einer von Bernd Liepold-Mosser und Christine Wetzlinger-Grundnig kuratierten Ausstellung im Museum Moderner Kunst Kärnten unter dem Titel „Das andere Land“ sind noch bis 6. Oktober erste Beispiele zu begutachten. Im Rahmen der Ausstellung treten ab 28. September in der Regie von Projektmitarbeiterin Ute Liepold auch die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts (Ute Holfelder, Klaus Schönberger und Wilhelm Kuehs) in Aktion. Weitere Theaterprojekte folgen 2019 in Form eines „anderen“ Kärntnerabends und 2020 mit einem großen Finale im Stadttheater Klagenfurt.

für ad astra: Romy Müller