„Neue Perspektiven schaffen“
Im Gespräch mit ad astra erzählen die Iranerin Afarin Rasoli (29) und der Syrer Ibrahim Khalil (32) über ihr Leben als Geflüchtete in Kärnten. Beide studieren seit Oktober an der Universität und berichten über ihre Erfahrungen im MORE-Studierendenprogramm.
Wie lange leben Sie schon in Kärnten?
Khalil: Seit neun Monaten lebe ich nun in einer Flüchtlingsunterkunft in St. Jakob im Rosental. Ich bin alleine hier und musste aus Damaskus in Syrien im Vorjahr flüchten, meine Frau und die drei Kinder sind derzeit in der Türkei. Ich habe mich bewusst für Österreich entschieden.
Rasoli: Seit knapp einem Jahr bin ich gemeinsam mit meinem Mann und meinem vierjährigen Sohn in Kärnten. Wir leben zusammen in einer Privatunterkunft in Feldkirchen.
Wie haben Sie von der MORE-Initiative erfahren?
Rasoli: Mehrere Menschen im Begegnungscafé haben von dem Projekt berichtet. Das war natürlich eine einmalige Gelegenheit für mich, mein Wissen und meine Deutschkenntnisse weiterzuentwickeln und ein Studium aufzunehmen.
Khalil: Ein Betreuer kam in die Unterkunft nach St. Jakob und informierte uns über das MORE-Programm und die Möglichkeit, an der Universität Kurse zu belegen. Ich war sofort von der Idee begeistert und habe mich an das International Office der Universität gewandt.
Mussten Sie das Studium im Heimatland abbrechen?
Rasoli: Nein, ich habe bereits ein abgeschlossenes Hochschulstudium und bin Physikerin.
Khalil: Auch ich habe einen akademischen Abschluss und studierte Betriebswirtschaft an der Universität in Damaskus. Ich war sehr froh darüber, dass dieser Fachbereich an der Universität in Klagenfurt angeboten wird.
Welche Kurse haben Sie gewählt?
Khalil: Für mich ist es ganz wichtig, dass ich sehr gut Deutsch lerne. Daher besuche ich zwei Deutschkurse, die vom Verein Aspis Mellon angeboten werden. Entsprechend meiner Ausbildung habe ich zusätzlich drei Kurse aus der Angewandten Betriebswirtschaft belegt und möchte in diesem Semester weitere einzelne Lehrveranstaltungen aus der Wirtschaft wählen.
Rasoli: Bei der Kursauswahl war ich mir anfangs nicht sicher. Ich schwankte zwischen Mathematik, da dieses Gebiet meinem Physik-Studium fachlich sehr nahe ist. Letztendlich entschied ich mich aber für Kurse aus der Angewandten Kulturwissenschaft, die mich meinem Ziel näher bringen, gute Deutschkenntnisse zu erwerben. Dieses Semester werde ich Kurse aus der Informatik auswählen.
Wie gelangen Sie zur Universität?
Khalil: Der Weg an die Universität nimmt viel Zeit in Anspruch, aber das macht mir nichts aus. Unter der Woche fahre ich täglich knapp zwei Stunden mit dem Bus und mit der Bahn in jede Richtung zur Universität und wieder zurück nach St. Jakob.
Rasoli: Meistens bekomme ich die Möglichkeit mit jemandem mitzufahren. Das wird von unserem Begegnungscafé in Feldkirchen organisiert. Für die Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bekommen wir Fahrkarten zur Verfügung gestellt.
Welche Unterschiede gibt es im universitären Alltag im Vergleich zu Ihrer Heimatuniversität?
Khalil: Der Unterschied ist sehr groß. Hier ist alles modern, strukturiert und übersichtlich. Die Universitätssysteme sind sehr verschieden: Beispielsweise haben wir kein ECTS-System, kein freies WLAN am Campus und auch keinen Online-Zugang zu den Kursen und Prüfungen. Die Vorbereitung einer Power-Point-Präsentation war für mich ebenfalls etwas Neues.
Bei Fragen und Problemen, wer unterstützt Sie?
Khalil: Mein persönlicher „Buddy“. Sie ist Studentin an der Universität und hilft mir beispielsweise bei allen organisatorischen Fragen rund um das MORE-Programm. Wir sind meistens über WhatsApp in Kontakt. Manchmal wende ich mich an die ÖH Klagenfurt oder an Aspis Mellon. Viele Menschen engagieren sich für uns und sind sehr hilfsbereit.
Rasoli: Das International Office steht mir für praktische, als auch fachspezifische Fragen immer zur Verfügung. Weiters finde ich viel Unterstützung im Begegnungscafé.
Verbringen Sie viel Zeit mit Studierenden, die Sie an der Universität kennengelernt haben?
Rasoli: Wenn ich an der Universität bin, dann ja. Ich fühle mich gut aufgenommen und integriert. Ein weiterer sozialer und wichtiger Treffpunkt sind für mich die regelmäßig stattfindenden Begegnungscafés. Dort habe ich nette Freunde kennengelernt und wir verbringenviel Zeit miteinander.
Khalil: Die Mentalität der Menschen empfinde ich als sehr offen, daher war es leicht für mich, Freundschaften zu knüpfen. Am Campus bin ich vielen internationalen Studierenden begegnet und habe viele nette Gespräche geführt. Überhaupt sind die Studierenden sehr aufgeschlossen und hilfsbereit. Ich fühle mich in Kärnten sehr wohl.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Khalil: Ich hoffe auf einen positiven Asylbescheid und dass meine Familie bald nachreisen kann. Das MORE-Programm hat mir neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet. Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen, das treibt mich voran. Deutsch möchte ich perfekt lernen und mich dann am Arbeitsmarkt neu orientieren, möglicherweise als Übersetzer.
Rasoli: Mein Ziel ist es, mit einer guten Ausbildung und Sprachkenntnissen eine Chance auf einen Arbeitsplatz zu bekommen. Ich wünsche mir, zukünftig für die Lebenshaltungskosten selbst aufkommen zu können. Das motiviert mich, nach vorne zu blicken.
für ad astra: Lydia Krömer
MORE: Eine Studienmöglichkeit für Flüchtlinge
Im Wintersemester 2015/16 startete auf Initiative der Universitätenkonferenz (uniko) das Projekt MORE für Flüchtlinge. AsylwerberInnen sowie Asylberechtigte können als außerordentliche Studierende ausgewählte Lehrveranstaltungen an den österreichischen Universitäten besuchen. Die Initiative wird mittlerweile von allen 21 österreichischen Universitäten mitgetragen. Insgesamt waren im Wintersemester 77 MORE-Studierende an der Alpen-Adria-Universität inskribiert. Der größte Teil der Studierenden stammt aus Syrien (39 Personen), die zweitgrößte Gruppe bilden Männer aus Afghanistan (17 Personen). Neun Prozent der im MORE-Programm inskribierten Studierenden sind Frauen.
An der Alpen-Adria-Universität wird die Initiative vom International Office koordiniert. Dank der Unterstützung des MORE-Projekts durch das Vorsitz-Team der ÖH, ÖH MORE und Aspis Mellon können MORE-Studierende an der AAU einen Deutschkurs besuchen und bei weiten Anreisewegen um Fahrtkostenzuschüsse ansuchen. Bei Herausforderungen des universitären Alltags steht ihnen außerdem ein Buddy zur Seite.