Karl Popper war ein arbeitsamer und vielseitig interessierter Gelehrter.

Das Karl-Popper-Archiv dokumentiert das Werden und Wirken des kritischen Rationalisten Karl R. Popper. Sein bedeutsamer Nachlass und seine Arbeitsbibliothek befinden sich seit 1995 an der Universität Klagenfurt.  

 

Heuer jährt sich der 120. Geburtstag von Sir Karl Popper, einem der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Was verbindet die Universität Klagenfurt mit dem österreichisch-britischen Wissenschaftstheoretiker?

Manfred Lube: Um diese Frage zu beantworten, muss ich etwas weiter ausholen. Popper wurde in Wien geboren und lebte dort bis zu seinem 33. Lebensjahr. Er erlernte das Tischlerhandwerk und später war er mit großer Leidenschaft als Lehrer tätig. Er wollte eine akademische Laufbahn einschlagen, aber das war für einen Abkömmling einer jüdischen Familie damals in Österreich unmöglich. Er hat sich in der europäischen Umgebung umgesehen, an vielen internationalen Kongressen teilgenommen und ist 1937 mit seiner Frau Hennie, die auch Lehrerin war, nach Neuseeland emigriert. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog das Ehepaar nach London, wo Popper an der London School of Economics lehrte. Ihre Urlaube verbrachten sie in den Tiroler Bergen. Ihre Heimat Österreich haben beide sehr geliebt und sie nie vergessen, obwohl sie auf der ganzen Welt unterwegs waren.

Thomas Hainscho: Als Kind war Karl Popper in Kärnten auf Badeurlaub, aber historisch-biografisch lassen sich kaum Bezugspunkte zwischen ihm und der Universität Klagenfurt herstellen.

 

Wie kam es dann zu dieser Übergabe des gesamten Karl-Popper- Nachlasses an die Universität Klagenfurt?

Lube: Ich würde das eher als eine zufällige Fügung sehen. Politische Vertreter* innen des Landes Kärnten und der Bundesregierung kauften den Nachlass des Philosophen um elf Millionen Schilling bei Sotheby’s in London, bevor er versteigert wurde. Gemeinsam konnten die beiden Proponent*innen diese hohe Summe aufbringen, wozu andere Interessent* innen, vor allem Universitäten, nicht in der Lage waren. Zahlreiche Gebote gab es für einzelne bibliophile Werke aus Poppers Bibliothek.

Hainscho: Im Mai 1995 wurden der Universität Klagenfurt anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens sämtliche Bücher, Zeitschriftenhefte, Sonderdrucke und zahlreiche Manuskripte aus dem Besitz des 1994 in London verstorbenen Karl Popper durch Bund und Land übergeben.

 

Wie war das damals, als die ganzen Kartons angekommen sind?

Lube: Es waren über 200 Kartons mit ungeordnetem Inhalt, die durch eine Londoner Speditionsfirma angeliefert wurden. Dieses Material wurde gesichtet, geordnet und katalogisiert. Das Wissenschaftsministerium stellte uns Budgetmittel zur Verfügung und dadurch konnte Personal eingestellt und ein adäquater repräsentativer Raum für Poppers Nachlass eingerichtet werden, in dem wir jetzt sitzen.

 

Dieser wohlgeordnete Raum ist als eigenständige Bibliothek zu sehen. Wie umfangreich ist das Karl-Popper-Archiv?

Nicole Sager: Es handelt sich hierbei um eine weltweit einzigartige Sammlung, und sie rückt die Universität immer wieder ins Zentrum internationaler Aufmerksamkeit. Zahlreiche Forscher*innen besuchten das Archiv, um Fragen über Poppers Gedankenwelt nachzugehen. Das Archiv umfasst 205 Bände bibliophiler Literatur des 15. bis 19. Jahrhunderts mit fünf Inkunabeln, 49 Aldinen, 79 Erstausgaben, 744 Ausgaben von Poppers eigenen Werken im Original und Übersetzungen, viele Fachzeitschriften und 460 Archivschachteln mit Kopien seiner Manuskripte, Sonderdrucke, Briefe und Notizen. Die Sammlung beinhaltet nicht nur Poppers eigene Werke, sondern auch seine gesamte Arbeitsbibliothek mit naturwissenschaftlichen Bänden, Belletristik, Kinderbüchern und Expeditionsliteratur. Deshalb suchen auch immer wieder Schüler*innen die Arbeitsbibliothek auf.

Hainscho: Nicht zu vergessen sind die 91 Mikrofilmrollen mit Vorträgen, Aufsätzen und weiterer Korrespondenz. Das Archiv wird auch um neue Dokumente ergänzt. Diesen Sommer durfte ich eine umfangreiche Schenkung des kürzlich verstorbenen Herausgebers Poppers, Troels Eggers Hansen, in Dänemark mit zahlreichen neuen Briefen Poppers entgegennehmen.

 

Was ist das Herzstück des Karl-Popper- Archivs? Welche Werke sind von besonderem Interesse? Lube: Hier denke ich eher an mehrere Herzkammern. Da ist einerseits Poppers Arbeitsbibliothek und andererseits sind da seine eigenen Werke, die hier wohlgeordnet in den Regalen in allen Übersetzungen und Editionen zu sehen sind. Ein weiteres Herzstück ist der schriftliche Nachlass, bestehend aus 462 Archivboxen. Die dritte Herzkammer sind die bibliophilen Bücher. Popper hat es geliebt, ganz an die Quellen heranzugehen. Ein Buch, das er sehr geschätzt hat, ist von Galileo Galilei aus dem Jahr 1632. Dieses Buch, der Dialogo, verfügt bereits über ein Register, was zur damaligen Zeit nicht üblich war.

Sager: Eine Besonderheit von Poppers Büchern sind seine persönlichen Widmungen, handschriftlichen Bemerkungen und Ergänzungen, Zettel, Notizen und eingelegten Briefe. Für die Archivarbeit ist das besonders wertvoll.

 

Manfred Lube im Gespräch mit ad astra |

Galileo Galileis Diagolo (1632) war eines der Lieblingsbücher von Karl Popper

 

Das Karl-Popper-Archiv hat ein wichtiges Standbein, nämlich das Copyright-Büro.

Lube: Karl Popper hat die Urheberrechte nie an Verlage übertragen, sondern selbst behalten und verwaltet. Nach seinem Tod hat er die Rechte, da er keine Nachkommen hatte, an seine Mitarbeiterin Melitta Mew vererbt. Von der Einrichtung des Archivs in Klagenfurt war Mrs. Mew so angetan, dass sie im Jahr 2008 die Übertragung der Rechte an Poppers Werken und Korrespondenzen an die Universität veranlasst hat. Das hat in der Fachwelt große Verwunderung, aber auch großen Respekt hervorgerufen. In der Folge wurde das Copyright- Büro eingerichtet und seit dessen Bestehen wurden mit 110 Verlagen in 40 Ländern Verträge über 60 Publikationen Poppers abgeschlossen. Das ist sehr beträchtlich. Vor zwei Jahren, nachdem ich mich fast 25 Jahre lang mit Karl Popper befasst hatte, bin ich in der Funktion des Hüters der Rechte zurückgetreten und Thomas Hainscho wurde mein Nachfolger.

Hainscho: Pro Jahr erscheinen zwischen zehn und 15 neue Bücher Poppers, Audiobücher und E-Books miteingeschlossen. Und in diesen Publikationen wird die Universität Klagenfurt namentlich im Impressum angeführt. Die Aufgabe des Copyright-Büros ist es, Poppers Publikationen in seinem Sinn am Leben zu erhalten und eine Auseinandersetzung mit dem kritischen Rationalismus zu unterstützen.

 

Wie aktuell sind Poppers Werke in der heutigen Zeit?

Hainscho: Seine wissenschaftstheoretische Position ist nach wie vor aktuell und sein Einfluss auf die moderne Naturwissenschaft und Philosophie ist bedeutend. Viele Begriffe, die Popper maßgeblich geprägt hat, wie Falsifikation, Offene Gesellschaft oder Verschwörungstheorie, gehören heute zur Alltagssprache. Im Frühjahr erschien der letzte Band der deutschsprachigen Werkausgabe von Karl R. Popper. Wie kam es zu diesen gesammelten Werken?

Hainscho: Die Planungen der Werkausgabe begannen bereits Mitte der 1980er Jahre, noch bevor Popper mit Klagenfurt in Verbindung gebracht wurde. Gemeinsam mit Verlagsinhaber Georg Siebeck wählte Popper die Texte aus und entschied über die inhaltliche Zusammenstellung der insgesamt 15 Bände. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass die Bände erst nach seinem Tod erscheinen sollen.

Karl Poppers Schreibmaschine

Auf dieser Schreibmaschine hat Poppers Ehefrau Hennie die Manuskripte von Karl Popper getippt.

Was für ein Mensch war Karl Popper?

Lube: Popper war ein arbeitsamer und vielseitig interessierter Gelehrter. Als ausgesprochener Bücherliebhaber und -sammler hat er stets, wie es unter Bibliophilen Sitte ist, seinen Namen in die Bücher eingetragen.

Sager: Beim Arbeiten mit Poppers Werken konnte man viel über ihn erfahren. Er war ein sehr ordentlicher, aber auch bescheidener Mensch, mit einer sehr schönen und klaren Handschrift, die er bis ins hohe Alter bewahrt hat. Er hat in den Büchern Notizen angebracht und die betreffenden Seitenzahlen hinten auf der Innenseite des Einbanddeckels vermerkt. Fotos belegen, dass Popper Schokolade besonders gern hatte (schmunzelt), und er war ein begeisterter Bergsteiger.

 

Herr Lube, Ihnen wurde im Sommer der Ehrenring der Universität Klagenfurt verliehen. Ein bedeutsamer Moment in Ihrem Leben?

Lube: Das hat mich sehr berührt und hat bestätigt, dass mir für meine Arbeit als Bibliotheksdirektor und für das Karl-Popper-Archiv immer Vertrauen, Respekt und Wertschätzung entgegengebracht wurden.