Nina Eisenmenger | Foto: Kurt Prinz

Erschöpfte Erde

Ende September wurde in Wien eine Studie des UN-Resource Panel zu den globalen Materialflüssen und zur Rohstoffnutzung präsentiert, die aufzeigt, dass seit den 1970er Jahren die jährliche Ressourcenentnahme um das Dreifache gestiegen ist. Mitautorin der Studie ist Nina Eisenmenger, die mit ad astra über die zunehmende Erschöpfung der Natur sprach.

Wie dramatisch ist der zunehmende Ressourcenverbrauch?
Die Zahlen sind eindrucksvoll: Um 1900 haben wir global gesehen ungefähr 7 Milliarden Tonnen Ressourcen jährlich der Natur entnommen. Dieser Wert liegt im Jahr 2010 bei rund 70 Milliarden Tonnen.

Wie lässt sich dies erklären?
Wir brauchen diese Ressourcen für unser hochentwickeltes Wirtschaftssystem. Während es in den letzten Jahren zu einem geringer steigenden Bedarf in den Industrieländern kam – bei dennoch hohem Niveau –, brauchen die wachsenden Ökonomien zunehmend mehr.

Welche Ressourcen verbrauchen wir besonders stark?
Global gesehen brauchen wir viel Biomasse, das heißt, Nahrungsmittel, aber auch Holz für Energie- und Bauzwecke. Einen großen Anteil nimmt auch das Futter für unsere Tierhaltung ein. Ein zweiter großer Posten sind Baurohstoffe, also beispielsweise Sand, Schotter, Kalkstein oder Tone. Sie bilden mittlerweile den größten Anteil am Materialverbrauch. Fossile Energieträger und Metalle brauchen wir zwar mengenmäßig weniger, dennoch sind diese für die industrielle Wirtschaft von strategischer Bedeutung.

Sie sagen, es gäbe einen deutlichen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch. Wie lässt sich dieser aufzeigen?
Krisen, wie die letzte ökonomische Krise in den Jahren 2008/09, haben zwar einen recht unmittelbaren Effekt auf den Materialverbrauch, allerdings keinen nachhaltigen. Die große Hoffnung von Wirtschaft und Politik ist, dass wir den Ressourcenverbrauch von dem Wirtschaftswachstum in irgendeiner Weise entkoppeln können. Dies gelingt uns aber noch nicht hinreichend: Beispiele, wo der Ressourcenverbrauch tatsächlich sinkt, gibt es international kaum. Wenn wir uns Österreich ansehen, dann stagniert der Ressourcenverbrauch in den letzten Jahrzehnten, obwohl das Wirtschaftswachstum steigt. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass wir sehr viele Ressourcen aus anderen Ländern importieren. Wenn man nun die Rohmaterialien berücksichtigt, die im Ausland verbraucht wurden, um unsere Importwaren zu erzeugen, ist die Stagnation gar nicht mehr so deutlich nachzuweisen.

Ein steigendes Wirtschaftswachstum scheint aber der einzige Garant für den Erhalt unseres Wohlstandes zu sein, oder?
Hier könnten vielleicht andere Maßstäbe hilfreich für einen Perspektivenwechsel sein. Eine solche Maßzahl ist der Human Development Index, der weniger auf die ökonomische Situation fokussiert, sondern auch andere Bereiche wie Lebenserwartung und Bildungsniveau berücksichtigt. Basierend darauf sehen wir, dass wir weniger Ressourcen benötigen, um einen hohen Lebensstandard zu erreichen. Aber auch hier ist eine Entkoppelung nicht signifikant genug, um sagen zu können, dass wir die Natur entscheidend entlasten können. Dafür brauchen wir mehr Ideen.

Müssen wir uns beim Konsum einschränken?
Letztlich hat alles, was wir an Ressourcen verbrauchen, das Ziel, den Endkonsum zu bedienen. Wir haben in den letzten Jahren durch Effizienz und durch innovative Technologien erreicht, dass wir weniger Ressourcen für dieselbe ‚Service‘-Leistung benötigen, beispielsweise beim Wohnen oder beim Einsatz von effizienteren Geräten. Aber Effizienzgewinne werden dann wieder wettgemacht, indem wir in Summe noch mehr konsumieren. Es braucht also ein neues Verständnis und eine andere Schwerpunktsetzung.

Was können wir tun?
Wir können weniger Fleisch essen. Wir können weniger fliegen und das Auto weniger für kurze Fahrten nutzen. Wir können mehr regionale Produkte kaufen und auf lokale Vertriebssysteme setzen. Wir können langlebigere Güter bauen, und wir können mehr recyceln. Es braucht viele Initiativen in diese Richtung und noch viele neue Ideen, an die wir bisher noch nicht gedacht haben.

In der aktuellen Studie wird auch unterstrichen, dass der Handel mit Ressourcen dazu führt, dass die Industrienationen häufig auf Kosten der Natur in den so genannten Entwicklungsländern leben. Wie wird das sichtbar?
Ja, wir brauchen viele Ressourcen aus dem Ausland. Aus dem asiatischen Raum beziehen wir arbeitsintensive Produkte, während wir aus Südamerika Rohstoffe einkaufen. Der Schaden, der dort passiert, ist, dass die Ressourcen von dort abgezogen werden und wenig Geld als Abgeltung in den Ländern bleibt, weil Rohstoffe sehr oft noch einen niedrigen Preis haben. Oftmals ist diese Extraktion auch mit sehr hohen Umweltauswirkungen verbunden, also beispielsweise der Abholzung von Regenwald, um Zugang zu Minen zu schaffen oder um Straßen zu bauen.

Wie misst man globale Effekte?
Bei der Entwicklung von Indikatoren ist zuletzt viel passiert. Wir wissen sehr gut, wie viele Materialien wir entnehmen, wo wir sie verbrauchen und wie sie gehandelt werden. Wir wissen auch gut über Umweltauswirkungen, wie den Klimawandel, Bescheid. In anderen Bereichen müssen wir uns noch verbessern: Wir haben noch zu wenig Information darüber, wie sich die Nutzung von Metallen auch in Verbindung zu anderen Ressourcen verhält und wie viele Infrastrukturbestände, also Gebäude und Straßen, wir mit den nicht-metallischen Rohstoffen wo aufbauen. Insgesamt haben wir aber genug Kennziffern, um politische Programme und Zielsetzungen zu formulieren und handlungsfähiger zu werden.

Wann werden unsere Ressourcen erschöpft sein?
Es gibt Studien, wonach der jährliche Verbrauch bis 2050 auf 180 Milliarden Tonnen anwachsen wird. Die entsprechenden Empfehlungen, wonach die Industrienationen ihren Ressourcenverbrauch mindestens halbieren müssten, geben uns Maßzahlen vor, die jenseits unserer Vorstellungskraft sind. Daher fällt es der Politik auch schwer, Ziele zu setzen. Wir brauchen aber schnelle und umfassende Maßnahmen. Momentan hilft uns – passiv gesehen – das schwächer ansteigende Wirtschaftswachstum, aber es braucht mehr Kreativität, um tatsächlich ressourcenschonender zu leben und gleichzeitig eine neue Qualität unseres Alltagslebens zu erreichen.

für ad astra: Romy Müller

Zur Person

Nina Eisenmenger ist Human- und Umweltökologin am Institut für Soziale Ökologie. 2016 habilitierte sie zum Thema „Ressourceneffizienz aus sozial-metabolischer Perspektive“. Sie ist Mitautorin des Berichts „Global Material Flows and Ressource Productivity“ des UN-Resource Panel.

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