Daniel Spoerri im Interview

„Man zerfällt und bleibt.“

Sie haben am Naschmarkt mexikanische Pferdesporen aufgestöbert und wegen deren Schönheit und den Bezug zu Ihrem Namen erstanden. Wem geben eigentlich Sie die Sporen?
(Lacht.) Zuerst einmal mir selbst.

Sie arbeiten seit über sechs Jahrzehnten und bis heute sehr produktiv, sie „funktionieren“ also noch immer sehr gut?
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich so gut funktioniere. Ich versuche immer weiter, mich anzuspornen. So einfach ist das gar nicht. Man muss sich immer neu aus dem Dreck ziehen, in den man hineingebracht wird durch Langweiligkeit, durch Routine, Faulheit, durch alles Mögliche. Dann muss man sich einen Ruck geben und wieder alles in Frage stellen. Das Sich-in-Frage-Stellen ist sehr wichtig, zumindest für mich. Vielleicht leben andere davon, dass sie an ihre Großartigkeit glauben; ich lebe davon, dass ich an meine Nichtigkeit glaube und mich deswegen immer wieder ansporne.

Derzeit arbeiten Sie an „Fadenscheinigen Orakeln“. Was hat Sie auf die Idee gebracht?
1969 hatte ich schon einmal ein derartiges Wandtuch für eine Assemblage verarbeitet. Der Spruch darauf hieß: „Wenn alle Künste untergehn, die edle Kochkunst bleibt bestehn.“ Die Aussage ist natürlich ein völliger Schwachsinn, aber sie spricht das Überleben an. Es gibt Künstler, die leben von Erotik oder von Fortpflanzung usw. Ich habe mich ganz bewusst der Nachkommen enthalten.

Das war nicht einfach – oder?
Es war sogar so schlimm, dass ich einige Frauen schwer gekränkt habe, weil ich partout keine Nachkommen wollte. Ich vermisse eigene Kinder bis heute nicht. Man hat mich oft gewarnt, wenn ich dann alt wäre, würde ich es bedauern. Um Gottes willen, wenn ich mir vorstelle, wenn ich jetzt einen älteren Herrn neben mir hätte, der „Papa“ zu mir sagt!

Oder Enkelkinder?
Ja, das finde ich alles grauenvoll, weil sie sicher nicht so sind wie ich sie mir wünsche. Verwandte sind nicht automatisch Leute, mit denen ich eine bedeutende Freundschaft anbahnen kann. Eine Freundschaft ist etwas, wo man spürt, dass man in derselben Spur läuft.

Mir scheint, mit der Schneidermeisterin Silke Eggl hat sich mittlerweile so eine freundschaftliche Beziehung entwickelt, und dabei sind 100 neue Wandschoner entstanden. Sie arbeiten an weiteren. Fehlen Ihnen nicht bestimmte Worte?
Ja, aber ich lasse mich vom Fundus der Worte gerne verleiten. Da gibt es viele Worte wie Leiden und Herzeleid und Liebe und Beten. Lauter altmodische Dinge, die man gerade nicht oder nur ironisch benutzen kann. Das Wort Herzeleid etwa würde ich sicher nie freiwillig benutzen. Die Sätze entwickeln sich aus sich selbst. Ich fange oft einen Satz an und finde: Das ist mir zu peinlich. Dann versuche ich ihn zu negieren mit einem anderen Wort.

Der Begriff Herzeleid war ja im Mittelalter sehr populär?
Genau, und damit könnte die Seele gemeint sein. Dieses Denken geht noch viele Jahrtausende weiter zurück. Ich glaube nicht an die Seele. Ich glaube aber an eine Seele als eine Zusammenfassung
der jetzigen geistigen und körperlichen Verfassung, aber nicht daran, dass eine „Seele“ nach dem Tod wie ein Vögelchen davon fliegt. Mir fällt dazu eine Erfahrung in frühen Jahren ein. Ich hatte gekifft. Plötzlich war ich wie immobilisiert und musste mich hinlegen. Da hatte ich das echte Gefühl, dass etwas wie ein Schmetterling aus mir herausfliegt. Ich hatte große Angst, dass es nicht wieder hinein kann in meinen Körper und ich dann irgendwie verrückt oder geistlos sein würde. Ich vermute, dass diese Erfahrung auch andere hatten. Das Davonfliegen eines Vögelchens könnte ein Prototyp sein für die Vorstellung der Seele.

Woran glauben Sie dann?
Ich glaube eher, dass man sich zersetzt und dass sich alles in Atome und noch kleinere Teile auflöst und sich neu wieder zusammensetzt. Wie beim Heizen, wenn alles nur als Feuer, als Wärme bleibt. Seitdem ich mir das so zurecht gelegt habe, brauche ich nicht mehr berühmt zu sein, muss ich nicht mehr ehrgeizig sein. Es geht mir sehr gut dabei. Ich muss auch keine Angst mehr vor dem Tod haben. Man zerfällt und bleibt. Und selber bin ich auch ein Konglomerat von Atomen, die schon irgendwo im Universum existiert haben, von Partikelchen einer Gesamtenergie. Diese wurschtelt da vor sich hin und verändert sich ständig.

Welche Fragen sind noch unbeantwortet?
Diese Frage, was wir sind und warum, hat mich schon immer am meisten interessiert. Ich habe auch an der Sprache gezweifelt. Meine Sätze sind doppelbödig. Da steht keine eindeutige Aussage dahinter wie bei Zwei und Zwei ist Vier. Mich interessiert die Fragwürdigkeit des Glaubens. Meine Notwendigkeit, alles zu hinterfragen, ist den Leuten schon früh aufgefallen. Als Pfadfinder bekam ich den Übernamen „Immi“. So heißt im Morsealphabet das Fragezeichen und steht für zweimal kurz, zweimal lang, zweimal kurz.

Beim Fragen sind Sie geblieben?
Ja, und ich werde weiter fragen.

für ad astra: Barbara Maier

 

Spoerrisporen | Foto: Daniel Spoerri

Spoerrisporen | Foto: Daniel Spoerri