21.05.: Valerie Fritsch – Zitronen

„Valerie Fritsch schreibt, als würde sie zeichnen – und zwar meisterhaft: Sie braucht nur wenige Linien, ein Satz, zwei Sätze, dann steht das Bild, und es öffnet sich ein ganzer Kosmos.“
(Katharina Kluin, stern)

 

Valerie Fritsch:
Zitronen

 

Dienstag, 21. 05. 2024

19.30 Uhr                    

Lesung

 

Moderation: Felix Kucher

 

August Drach wächst in einem Haus am Dorfrand auf, das Hölle und Paradies zugleich ist. Der Vater, von sich und dem Leben enttäuscht, misshandelt seinen Sohn, Zärtlichkeit hat er nur für die Hunde übrig. Trost findet August bei seiner Mutter, die ihn liebevoll umsorgt. Doch als der Vater die Familie verlässt, verwandelt sich die Zuwendung der Mutter: Sie mischt August heimlich Medikamente ins Essen, schwächt das Kind, macht es krank; von seiner Pflege verspricht sie sich Aufmerksamkeit und Bewunderung. Erst Jahre später gelingt es August, sich aus den Fängen der Mutter zu befreien, ein unabhängiges Leben zu führen, erste Liebe zu erfahren.

Doch wie lernt ein erwachsener Mensch, das Rätsel einer Kindheit zu lösen, in der Grausamkeit und Liebe untrennbar zusammengehören? Wie durchbricht er den Kreislauf von Lügen und Betrügen? Und was passiert, wenn sich dieser Mensch, Jahre später, an den Ursprung des Schmerzes zurückwagt?

Sprachgewaltig, in packenden Bildern und Episoden erzählt Valerie Fritsch in ihrem neuen Roman von der Ungeheuerlichkeit einer Liebe, die hilflos und schwach macht, die den anderen in mentaler und körperlicher Abhängigkeit hält. Ein Entkommen ist nicht vorgesehen, es sei denn um den Preis, selbst schuldig zu werden.

 

Valerie Fritsch, geboren 1989, arbeitet als freie Autorin und bereist die Welt. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2015 wurde sie mit dem Kelag-Preis und dem Publikumspreis ausgezeichnet. 2020 erhielt sie den Brüder-Grimm-Preis für Literatur. Sie lebt in Graz und Wien.

 

 

 

14.05.: Max Höfler & Stefan Schmitzer

Der Ritter Verlag steht für Sprachkunst, experimentelle Texte und Avantgarde in der Literatur. Dies vertreten auch Max Höfler und Stefan Schmitzer mit ihren beiden neuen Publikationen.

 

Max Höfler: Alles über alles – oder warum

Stefan Schmitzer: loop garou – invokationen

 

 

Dienstag, 14. 05. 2024

19.30 Uhr                    

Moderation: Paul Pechmann

 

Warum dreht sich am Äquator die Erde schneller? Wofür wurden Aquädukte gebaut? Max Höfler hat die Antworten parat: Es sind die Beschleunigungskräfte des flotten Springbocks und des zackigen Impalas, die den Untergrund zum Rotieren bringen, und in den Hochleitungen sollte einst der Lambrusco und Veltliner für die Haute Volée rinnen.
Es sind die Fragen des Trivial Pursuit-Spiels, die sich Höfler in Alles über alles als Ausgangspunkt für Mutmaßungen über die Beschaffenheit der Welt hernimmt, streng formelhaft und stets als Gegenfrage formuliert. Der Kanon weitgehend nutzlosen Wissens ist als Unterscheidungsmerkmal sogenannter Eliten funktionslos geworden.
Max Höfler lässt dieses in grotesken „Erklärungen“ verpuffen und treibt dessen Trägern die Bildungsdünkel aus. Eine hybride Kunstsprache, die sich der kreativen Energie der Idiome von Halbstarken, kleinbürgerlichen Poseuren und Sprücheklopfern des Privat-TV zunutze macht, usurpiert das Pädagogendeutsch des Gesellschaftsspiels.
Neuseeländische Kampfschafe und Berserker-Pinguine machen sich über das Thema Postfaktizität her und diverse, uns Lesende aufs Korn nehmende Clickbaits und Bilder stellen Hierarchien von Wissensgenerierung bloß.

Alles über alles bietet ebenso extravagante Unterhaltung wie deren Dekonstruktion, und noch mehr: Wenn der Enzyklopädist die Herkunft der roten Farbe der Golden Gate Bridge mit dem Blutzoll, den die Arbeiter bei deren Errichtung zahlten, erklärt, tippt er Wissensformationen an, die nicht nur beim trivialen Party-Spiel unter den Tisch gekehrt werden.

 

Stefan Schmitzers invokationen stellen Strategien dichterischer Zauberei auf den Prüfstand, indem sie nach deren Wirkmöglichkeiten angesichts einer Zivilisation fragen, die ihre Fühler in den Weltraum ausstreckt, selbst aber in Auflösung begriffen ist. Die Gedichte und Prosatexte dieses Bandes entrücken in eine universelle Raum-Zeit: Unter die angerufenen Olympischen Götter mischt sich ein „Prof. Dr. Freud!“, Athene erscheint in Gestalt von Arnold Schwarzenegger, Traktoren, Kinderwägen und der Moses von Michelangelo sind ebenso Sujets der Anrufungen wie GPS-Bewegungsprofile oder die Wohltaten eines Bildungssystems, das jenen weit offen steht, die zufällig nicht zu einer ethnischen Minderheit zählen.

Gestalt verleiht einem solchen Panorama eine furiose Kompilation unterschiedlicher Stilgesten zwischen klassizistischer Feierlichkeit und futuristischer Prägnanz, österreichisch gefärbtem Parlando, freien Beatrhythmen und Slang. Die aus dem Zusammenprall von Sprach-Welten resultierende Dialektik legt den Fehlschluss naiver Anverwandlung mythischen Denkens offen. Mit coolem Humor und feiner Ironie begegnet „loop garou“ der Suppression heutiger staatlicher und merkantiler Zusammenhänge samt ihrer Legitimationsdiskurse. Stefan Schmitzers wendige Poetik der Entzauberung lässt die als falsch erkannten Redeweisen ins Leere laufen.

 

Max Höfler, geboren 1978 in der Oststeiermark, lebt als Autor in Graz. Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Literaturreferent des Forum Stadtpark (2009–2017). Herausgeber des Leinwandliteraturmagazins Glory Hole – Nachrichten von drüben.

Stefan Schmitzer, geboren 1979 in Graz, nach dem Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik in Graz und Wien lebt er heute als Autor von Lyrik und Prosa, Performer und Kritiker in Graz.

 

 

08.05.: Hans Platzgumer – Die ungeheure Welt in meinem Kopf

NEUE LITERATUR

 

Hans Platzgumer

Die ungeheure Welt in meinem Kopf

 

Mittwoch, 08. 05. 2024
19.30 Uhr                    

Lesung

 

Moderation: Manfred Müller

 

Sascha Konjovic, ein psychisch angeschlagener Taxifahrer wartet vor dem Wiener Westbahnhof auf Kundschaft, hört Jazzmusik und schmökert in Kafkas gesammelten Tagebuchnotizen. Bis die Tänzerin Eduardowa mit ihrem Liebhaber zusteigt und eine zweitägige Fahrt beginnt, die alle Beteiligten weiter fortträgt, als sie es für möglich gehalten hätten.

Hans Platzgumer hat ein außergewöhnliches Buch geschrieben und mit ihm eine außergewöhnliche Hommage an Franz Kafka. Nicht nur greift er auf eine Figur aus Kafkas Träumen zurück und katapultiert sie in die Jetztzeit mitten in das Leben eines Wiener Taxifahrers. Nicht nur führt er mit Saschas irrem Trip vor, wie schnell Grenzen überschritten und Schleusen geöffnet werden können. Auch wählt er eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Form. Die Geschichte wird ausschließlich in direkten Reden erzählt. Der einsame Taxler unterhält sich mit seinen Fahrgästen, und auch andere sprechen mit, Lebende, Tote, sogar Franz Kafka höchstpersönlich.

 

„Eine Tour de Force in Dialogen durch Wien und dorthin, wo auch Kafkas Literatur situiert ist: zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen der ungeheuren Welt im Kopf und jener außerhalb der Scheiben eines Taxis.“
(Manfred Müller, Präsident der Österreichischen Franz Kafka Gesellschaft)

 

Hans Platzgumer, 1969 in Innsbruck geboren, lebt in Bregenz und Wien. Er absolvierte die Wiener Musikhochschule und studierte Filmmusik in Los Angeles. Nach seiner Rückkehr nach Europa verlagerte er den Schwerpunkt seines Schaffens hin zur literarischen Arbeit. Vielfach ausgezeichnet schreibt er Romane, Essays, Hörspiele, Theatermusiken und weiterhin auch Songs.

29.04.: Ödön von Horvath – Präsentation der Wiener Ausgabe

Präsentation der historisch-kritischen Edition mit Lesung und Gespräch

Montag, 29. 04. 2024
19.30 Uhr                    

Ein Kind unserer Zeit
Ödön von Horvath: Wiener Ausgabe sämtlicher Werke

Einleitung: Klaus Kastberger, anschließend im Gespräch mit Nicole Streitler-Kastberger
Lesung: Florentin Groll
Moderation: Anke Bosse
Ödön von Horváth (1901–1938) ist ein Klassiker der Moderne. Seine Stücke gehören zu den meistgespielten im deutschsprachigen Raum und sein Roman Jugend ohne Gott ist fixer Bestandteil des Kanons. Am Franz-Nabl-Institut der Universität Graz wurde vor kurzem die historisch-kritische Ausgabe Ödön von Horváths nach jahrzehntelangen Forschungsarbeiten fertiggestellt. In neunzehn großformatigen und mit vielen Faksimiles ausgestatteten Bänden werden hier erstmals alle abgeschlossenen und Fragment gebliebenen Werke, Briefe, Notizbücher und Lebensdokumente sowie alle Akten, in denen der Autor erwähnt wird, ediert. Die gesicherten Endfassungen der Texte, die genaue Darlegung ihres Entstehungsprozesses und die philologische Neubewertung vieler Quellen geben einen veränderten Blick auf das Werk, die Arbeitsweise und die Biographie des Autors frei.
Die neue Horváth-Ausgabe ist ein Meilenstein in der Edition der österreichischen Moderne. In einem digitalen Tool auf der Grazer Langzeitarchivierungsplattform GAMS erschließen sich sämtliche Theaterstücke des Autors in Netzwerkanalysen und anderen Anwendungsformen der Digital Humanities. Von den philologischen Qualitäten der Druckausgabe in dem renommierten Wissenschaftsverlag De Gruyter ist nicht nur die literaturwissenschaftliche Fachwelt angetan. Auch in mehreren zeitgenössischen Theateraufführungen wurde die neue Ausgabe bereits genutzt. So tun sich auf der Grundlage der neu etablierten Quellenbasis Innovationsschübe auch direkt in aktuellen Inszenierungspraktiken auf.
Auch das allgemeine Publikum und die Theaterwelt haben daran ihre Freude, denn hier eröffnen sich neuartige Zugänge zu einem der meistgespielten und mit Jugend ohne Gott nach wie vor auch meistgelesenen österreichischen Autoren.