Angela Fabris und Jörg Helbig vor Filmpostern im Kino Visionario, Udine | Foto: Cristina Dittadi

Der erotische Film in Italien und England

Die Romanistin Angela Fabris und der Anglist Jörg Helbig widmen sich in ihrem gemeinsamen Projekt einer bis dato stark vernachlässigten Filmgattung: dem erotischen Film. Die kulturspezifischen Unterschiede und Übereinstimmungen zwischen Italien und England stehen im Mittelpunkt ihrer Forschung.

In den letzten 20 Jahren hat die Filmgeschichtsschreibung einen ungeheuren Aufschwung erlebt, und alle wichtigen
Filmgenres wurden wissenschaftlich dokumentiert. Dass der erotische Film ausgeklammert wurde, ist angesichts der vielen Meisterwerke des britischen und italienischen Kinos, die Erotik, Liebe und Sexualität thematisieren,  überraschend. Diese Forschungslücke nehmen Angela Fabris und Jörg Helbig zum Anlass, um die Geschichte des  erotischen Films in Italien und England aufzuarbeiten.

Woran liegt es, dass Erotik im Film bisher noch so wenig erforscht wurde?
Helbig: Vielleicht gibt es gewisse Berührungsängste. Der englische Filmemacher Michael Winterbottom hat vor  einigen Jahren eine öffentliche Diskussion hierüber angestoßen. Er meinte, dass von einem gesellschaftlichen Tabu keine Rede sein kann, weil Sexualität in Literatur und Kunst, aber auch in Medien wie Fernsehen und Zeitungen sehr präsent ist. Lediglich das Kino weicht dem Thema aus, als ob es eine völlig entgegengesetzte Moral besäße. Möglicherweise hemmt dies auch die akademische Diskussion.

Heißt das, der erotische Film ist weniger wichtig als andere Genres?
Helbig: Ganz im Gegenteil, der erotische Film ist eines der Schwergewichte des britischen Kinos. Erotische Stoffe  gehörten dort von Anfang an dazu. David Leans Liebesfilm Brief Encounter gilt als eines der bedeutendsten Werke der britischen Filmgeschichte.
Fabris: Für Italien trifft dies sogar in noch stärkerem Maße zu. Praktisch alle bedeutenden Regisseure Italiens haben
in diesem Genre gearbeitet: Bertolucci mit Ultimo tango a Parigi, Antonioni mit Blow-Up oder Fellini mit Casanova, ganz zu schweigen von den Filmen Pasolinis. Trotzdem ist die Forschungslage zum erotischen Film in Italien nicht besser als in England.

Gibt es Aspekte der Filme, die Sie besonders interessieren?
Fabris: Wir möchten offensichtlichen Klischees – prüdes England, sinnliches Italien – nachgehen und untersuchen, ob
es kulturspezifische Unterschiede zwischen den beiden Ländern gibt. Zudem schauen wir uns die Kooperationen  zwischen der italienischen und englischen Filmindustrie im Bereich des erotischen Films an. Solche Schnittstellen interessieren uns besonders, weil es sich um einen bislang wenig beachteten Aspekt handelt.
Helbig: Das Thema Erotik beinhaltet auch viele gesellschaftspolitisch relevante Aspekte, zum Beispiel Mechanismen der Filmzensur und der öffentlichen Moral. Was galt in beiden Ländern als tolerierbar und was nicht? Bis zur  Abschaffung der Filmzensur in Großbritannien war die Sexualität das kontroverseste Thema. Es gab aber immer wieder Regisseure, die provozieren und die Grenzen des Akzeptablen austesten wollten. Die Explizitheit der Darstellungen hat sich kontinuierlich erhöht. Diese Entwicklung hat in der Literatur längst stattgefunden. Um solchen Forschungsfragen nachzugehen, werden wir im Herbst 2017 eine Doppeltagung an den Universitäten Klagenfurt und Kassel über die Erotik in Film, Literatur und Theater veranstalten.

für ad astra: Katharina Tischler-Banfield
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Zu den Personen

Angela Fabris ist assoziierte Professorin für Romanische Literaturwissenschaft am Institut für Romanistik. Sie habilitierte sich mit einer Arbeit über die venezianischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts. Ihre Forschung widmet sich auch  spanischen Kurzromanen des 17. Jahrhunderts, Raumdiskursen in der Kurzprosa vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit sowie der Genretheorie und der italienischen Filmgeschichte.

Jörg Helbig habilitierte sich mit einer Arbeit zur Theorie der Intertextualität. Seit 2008 ist er Vorstand des Instituts für Anglistik und Amerikanistik. Seine Forschungsfelder umfassen u. a. Britische Literatur und Filmgeschichte, Erzähltheorie, Intermedialität sowie die Popkultur der 1960er Jahre.