Zucker | Foto: Photographee.eu/Fotolia.com

Zucker, der Liebling fast aller Kinder

Manche Studien sprechen sogar schon von einer Übergewichtsepidemie. Fest steht, dass in Österreich rund 20 Prozent der Kinder zwischen vier und sechs Jahren  übergewichtig oder adipös sind. Im Alter von sechs bis neun erhöht sich diese Zahl bei Jungen bereits auf 29 Prozent und bei Mädchen auf 26 Prozent. Die österreichischen Kinder unterscheiden sich hier kaum von jenen aus anderen Ländern und im Übrigen auch nicht von ihrer Elterngeneration: Mindestens jeder dritte Erwachsene weltweit ist übergewichtig oder sogar adipös.

Brigitte Jenull, Nadja Frate und Robert Birnbacher beschäftigen sich seit einigen Jahren mit kindlichem Übergewicht im Zusammenhang mit Ernährungs- und Freizeitverhalten als auch biologischen und psychologischen Risikofaktoren. Dabei untersuchten sie bislang das Verhalten von 300 Kindern zwischen drei und sechs Jahren aus Kindergärten im Bezirk Villach. Da die Ernährungs- und Verhaltensmuster von Kindern eng mit den Gewohnheiten im Elternhaus zusammenhängen, wurden auch die Eltern mit in die Studie einbezogen. Untersucht wurden vor allem so genannte Mutter-Kind-Dyaden, da Personen, die miteinander in Beziehung stehen, sich auch in ihren Ernährungsvorlieben und Bewegungsgewohnheiten wechselseitig beeinflussen können.

Nicht jedes Kind hat das gleiche Risiko
Dennoch ist die Gefahr, im Kindes- oder Erwachsenenalter übergewichtig zu werden, nicht für jedes Kind gleich hoch. Neben grundlegenden Risikofaktoren wie der Zunahme von Portionsgrößen und stark energiehaltigen Fertigprodukten und Snacks, zuckerhaltigen Getränken und der steigenden Anzahl von Fast-Food-Anbietern gibt es auch biologische, ökosoziale und psychische Risikofaktoren, die bei Kindern zu einer erhöhten Anfälligkeit für Übergewicht führen können.

Schon im Mutterleib legen äußere Einflüsse wie beispielsweise Rauchen oder eine starke Gewichtszunahme der Mutter den Grundstein für das spätere Gewicht des Kindes. Kindlicher Schlafmangel ist ein weiterer kritischer Baustein auf dem Weg zu Übergewicht: Die ForscherInnen haben herausgefunden, dass ein Zusammenhang zwischen der kindlichen Schlafdauer und einem erhöhten Übergewichtsrisiko besteht. Nicht nur biologische, auch ökosoziale Faktoren spielen, wie schon erwähnt, eine Rolle bei der Entstehung von Übergewicht. Mit einer intensiven Nutzung von Fernsehern oder Spielkonsolen, also einem eher passiven und konsumierenden Freizeitverhalten, gehen oft geringe körperliche Aktivität sowie ungünstige Ernährungsgewohnheiten einher: Kinder konsumieren überwiegend energiereiche Nahrungsmittel während ihres medienbasierten Spiels nebenbei.

Auch ein niedriger Sozialstatus der Eltern und Migrationshintergründe gelten als Risikofaktoren für Übergewicht. Eine Studie in Deutschland hat zum Beispiel gezeigt, dass Kinder mit Migrationshintergrund doppelt so häufig übergewichtig sind als deutsche Kinder. Das höchste Risiko tragen jedoch Kinder und Jugendliche aus niedrigen sozialen Schichten, egal welcher Herkunft. Als Erklärung wird angeführt, dass sie mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen und sich weniger bewegen.

In einer weiteren Studie untersuchte die ForscherInnengruppe die Körperzufriedenheit von Vorschulkindern. Die Ergebnisse zeigen, dass nur 22 Prozent der befragten Kinder mit ihrem Körper zufrieden sind. Die Kinder wurden anhand von Bildkärtchen gefragt, wie sie ihren eigenen Körper und den ihrer Meinung nach idealen Körper einstuften. Die Körperzufriedenheit bemaß sich schließlich aus Differenz zwischen dem Ideal und der gefühlten Realität der Kinder. Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper ist, so eine weitere Studie, ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung von Übergewicht. Dass nur jedes fünfte der Kleinen mit ihrem Körper zufrieden war, zeigt, wie sensibel alle Themen rund um Körper, Gewicht und Aussehen schon im Vorschulalter sind. „Wir leben in einer Gesellschaft mit Idealbildern, was Schönheit und Schlankheit anbelangt. Das erreicht schon die ganz Kleinen“, erläutert Jenull (Institut für Psychologie) die Ergebnisse. Der hohe Grad an Verunsicherung bei den befragten Kindern zeigt sich auch daran, dass von den Unzufriedenen jeweils rund die Hälfte ein dünneres (43 Prozent) und ein dickeres (36 Prozent) Idealbild wählen. Je jünger das befragte Kind, desto eher tendierte es zu einem korpulenteren Idealbild – eine Tatsache, die sich mit zunehmendem Alter radikal ändert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entstehung von Übergewicht nur multifaktoriell zu erklären ist, in einem Zusammenspiel aus biologischen, psychischen und öko-sozialen Risikofaktoren. Psychische Faktoren wurden bislang zu wenig berücksichtigt.

„Am liebsten mag ich Süßes“
Die Studie der Klagenfurter ForscherInnen, bei denen den Kindern Kärtchen mit Essensbildern gezeigt wurden, zeigt, dass Kinder grundsätzlich zuckerhaltige Speisen bevorzugen. Für zwei Drittel der befragten Drei- bis Sechsjährigen sind zuckerhaltige Speisen das absolute Lieblingsessen. Vitamine, Eiweiß und Kohlehydrate spielen dagegen eine sehr untergeordnete Rolle.

Freizeit- und Ernährungsverhalten hängen eng zusammen
Beim Freizeitverhalten der Kinder hat Sport die größte Bedeutung, gefolgt von konsumierenden Freizeittätigkeiten wie Fernsehen oder Computerspielen. Bei zunehmendem Gewicht verschieben sich allerdings die Präferenzen, weg von einer aktiven, sportlichen Freizeitgestaltung hin zu rein konsumierenden, eher passiven Tätigkeiten. Fast ein Drittel der befragten Vorschulkinder besitzt einen eigenen Fernseher, insgesamt sehen schon 42 Prozent morgens, immerhin 69 Prozent mittags und 71 Prozent abends fern. Die Kinder mit eigenem Fernseher wählen auch ansonsten eher konsumierende Formen von Freizeitverhalten als Lieblingsbeschäftigung und essen auch öfter nebenbei vor dem Fernseher. Ähnliches trifft auch auf die kleinen Verwender von Spielkonsolen und Computern zu. Die Höhe des täglichen Fernsehkonsums hat einen negativen Einfluss auf die Schlafdauer des Kindes: Je länger am Tag ferngesehen wird, desto weniger lang ist die Schlafdauer des Kindes. Wenn der Fernseher überdies im Zimmer des Kindes, also außerhalb der Kontrolle der Eltern, steht, erhöht sich dieser negative Einfluss weiter. „Medienkonsum hat einen großen Einfluss auf das Gewicht“, so Jenull. „Kinder mit einem hohen Medienkonsum von mehr als drei Stunden pro Tag haben eine verkürzte Schlafdauer und ein höheres Risiko, übergewichtig zu werden. Daraus entsteht ein Teufelskreis von verminderter körperlicher Aktivität, vermehrtem Rückzug und einer Präferenz für konsumierende Freizeitbeschäftigungen“, erklärt Jenull.

Die Rolle der Eltern
Bei der Studie wurden auch die Eltern untersucht. Während ganz offensichtlich der Body Mass Index (BMI) der Väter nur einen geringen Einfluss auf das Gewicht des Kindes hat, erwies sich der BMI der Mütter als prädikativ für den BMI des Kindes. Auch der Bildungsstand der Eltern beeinflusst das Gewicht des Kindes: Kinder von Eltern mit höherem Bildungsniveau hatten einen niedrigeren BMI.

Die Studie zeigt, wie wichtig es ist, mit Präventionsmaßnahmen schon früh zu beginnen. Die besten Erfolgsaussichten haben Behandlungsansätze mit kombinierten multidisziplinären Therapien, im Gegensatz zu solchen Therapien, die nur einen Teilaspekt, z. B. eine Ernährungsumstellung, berücksichtigen. Eltern spielen bei der Vorbeugung von Übergewicht eine zentrale Rolle, nicht nur bei der Wahl der richtigen Ernährung. Sie können beispielsweise den passiven Medienkonsum ihrer Kinder beeinflussen und für eine ausreichende Schlafenszeit Sorge tragen: wichtige Bausteine im Kampf gegen kindliches Übergewicht und Adipositas. Präventions- und Interventionsprogramme für Eltern und Kinder haben leider sehr hohe Drop out-Quoten. „Leider gelingt der Transfer von Verhaltensänderungen in den Alltag selten“, so Jenull. Bisherige Programme funktionieren auch oft nach dem Gießkanneneffekt, intervenieren nur auf der Ernährungs- und Bewegungsschiene und vernachlässigen individuelle Problemkonstellationen. Jenull erklärt: „Psychologische Faktoren wurden bisher viel zu wenig berücksichtigt. In Zukunft gilt es viel mehr zu hinterfragen: Welche Rolle spielen Bindungssicherheit, Emotionsregulation und die eigene Körperzufriedenheit?“

für ad astra: Annegret Landes