Männergesundheit in der Verantwortung von Frauen
Frauen als Zielgruppe für Kampagnen zur Männergesundheit: Sandra Diehl, Franzisca Weder und Isabell Koinig untersuchten Kommunikationskampagnen zu Männergesundheit, die sich an Frauen richten. Solche indirekten Kommunikationsstrategien nennt man „Crabwise Campaigns“. Warum Kommunikationsspezialisten zu solchen „Tricks“ greifen und für welche Art von Kampagnen diese Kommunikationsstrategie Sinn macht, untersuchten die Forscherinnen in einer qualitativen und quantitativen Studie.
Frauen und Männer haben sehr unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungen zum Thema Gesundheit. Außerdem interessieren sich Frauen ganz generell mehr für das Thema Gesundheit, als Männer es tun. Und obwohl traditionelle Rollenbilder in unserer Gesellschaft eine immer kleinere Rolle spielen, sind Frauen in Familien und Partnerschaften doch oft diejenigen, die für die Gesundheit ihrer Kinder und Partner Sorge tragen und Gesundheitsthemen offen ansprechen.
Männer hingegen tendieren in Sachen Gesundheit zu einer gewissen Gleichgültigkeit, außerdem schätzen sie ihren eigenen Gesundheitszustand anders ein als Frauen. Sie sprechen eher nicht über Gesundheitsthemen und überlassen die Verantwortung damit ihren Partnerinnen. Es erweist sich damit als besonders schwierig, Männer für wichtige Themen wie Krebsvorsorge zu sensibilisieren. Diese Umstände macht sich das „Crabwise Campaigning“ zunutze: es richtet sich ganz gezielt an Frauen, obwohl es eigentlich um Männergesundheit geht.
Bei Kommunikationsstrategien zur Männergesundheit – also Gesundheitsthemen und Diagnosen, die ausschließlich Männer betreffen – gibt es generellen Forschungsbedarf. Männer reden nicht gerne über Gesundheitsthemen oder Krankheiten, viele empfinden dies als unmännlich. Intimere Themen, wie zum Beispiel Prostatakrebs, sind noch einmal schwieriger zu kommunizieren. Ganz spezifisch untersuchte das Forscherinnenteam eine Gesundheitskampagne, die Frauen dazu animieren sollte, „ihre“ Männer dazu zu bewegen, regelmäßig einen so genannten „Androcheck“ durchzuführen – eine spezielle Vorsorgeuntersuchung gegen Prostatakrebs. Hier untersuchten sie auch, ob ein Thema wie Prostatakrebsvorsorge einfacher an die Männer direkt zu vermitteln ist oder ob es in einem solchen Fall sinnvoller ist, Frauen anzusprechen, also auf „Crabwise Campaigning“ zu setzen. Die Forscherinnen interessierten sich auch dafür, ob Männer sich von solchen Kampagnen bevormundet fühlten. Dies war aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Die in der Studie befragten Männer fanden es im Großen und Ganzen ziemlich praktisch, Verantwortung abzugeben: der „Convenience“- Aspekt überwog für sie die Gefahr der Bevormundung. Gerade etwas ältere Männer zeigten sich besonders zufrieden mit der Delegierung ihrer Gesundheit an die Frauen. Jüngere und auch besser ausgebildete Männer tendierten eher zu stärkerer Selbstständigkeit und Kontrolle über sie selbst betreffende Gesundheitsthemen. Besser ausgebildete Männer informieren sich auch umfassender in den sozialen Medien oder sprechen mit befreundeten Ärzten und Ärztinnen über das Thema. Das damit verbundene „Self Empowerment“ ermöglichte es ihnen, schneller und selbstständiger zu agieren.
Ein weiteres interessantes Ergebnis zeigt sich in der Literatur auch bei der Art der vermittelten Botschaft. So genannte Zwangsbotschaften – Enforcement Messages –, bei denen auch Strafen (zum Beispiel eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge) angedroht wurden, zeigten sich als besonders wirksam.
Sandra Diehl, Franzisca Weder und Isabell Koinig fanden in ihrer Studie heraus, dass „Crabwise Campaigns“ in Sachen Männergesundheit strategisch durchaus sinnvoll sind, da sie tatsächlich die „richtigen“ Ansprechpartnerinnen, also die Frauen, erreichen. Allerdings besteht bei dieser Form der Kampagne die Gefahr, traditionelle Rollenbilder zu zementieren, während sie Männern die Gelegenheit gibt, Verantwortung für Gesundheitsthemen weiter auf ganz einfache Art und Weise ihren Partnerinnen zu übertragen.
Neben der Fixierung von eher traditionsgeprägten Rollenbildern zwischen Mann und Frau zeigte das „Crabwise Campaigning“ in Sachen Prostata-Gesundheit auch noch andere Schwächen. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften zwischen Männern fanden aufgrund des Kampagnen- Aufbaus keine Berücksichtigung, ebenso können mit solchen Kampagnen keine alleinstehenden bzw. Single-Männer erreicht werden. In den USA werden derzeit schon „Crabwise Campaigns“ erprobt, die traditionelle Rollen aufbrechen und humorvoll-spielerische Zugänge zu den Kommunikationsstrategien suchen.
„Crabwise Campaigns“ eignen sich aber nicht nur für Gesundheitsthemen, sie werden auch häufig in Antidrogen-Kampagnen eingesetzt, bei denen zum Beispiel Eltern oder Freunde angesprochen werden. Auch Kampagnen zur Mediennutzung von Kindern richten sich häufig an Eltern.
Sandra Diehl, Franzisca Weder und Isabell Koinig werden das Forschungsthema weiter verfolgen und versuchen herauszufinden, wie in Medien über Männergesundheit im Allgemeinen gesprochen wird – ein bisher eher vernachlässigtes Thema. Dann wollen sie sich auf Konzeptionsstrategien für „Crabwise Campaigns“ konzentrieren: Welche Appelle eignen sich? Ist es Angst, Verantwortung, Schuld oder sind positive Appelle doch erfolgversprechender? Welche Rolle spielen Emotionalität und Information? Zur Konzeption von neuartigen und ent-traditionalisierten „Crabwise Campaigns“ gibt es noch einiges an Forschungsbedarf.
für ad astra: Annegret Landes
Die Rolle von Doctor Google: „Self Empowerment im Gesundheitswesen“
Die Ordination von Doctor Google ist rund um die Uhr geöffnet, es gibt keine Warteschlangen und keine Kosten. Immer mehr Menschen konsultieren das Internet zum Zweck der Selbstdiagnose, bevor sie einen Arzt aufsuchen. Gesundheitskampagnen, aber auch die vielfältigen anderen Informationen in Internet und sozialen Medien führen dazu, dass sich Betroffene umfassend und selbstständig über Gesundheitsaspekte und Krankheitsbilder informieren können. Heute ist es völlig normal, im Internet aktiv nach Gesundheitsinformationen zu suchen, während noch vor einigen Jahren eine meist passive Arztdiagnose üblich war.
Durch diesen Wandel verändert sich die Arzt- und PatientInnenbeziehung, da die PatientInnen autonomer werden und informierter sind. Gesundheitskampagnen tragen zusätzlich zu dieser verstärkten Autonomie bei, da sie Know-how und Informationen zu Vorsorgethemen und Krankheitsbildern liefern. Diese verstärkte Autonomie ist grundsätzlich positiv zu bewerten.
Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass besonders die großen und international agierenden Pharmaunternehmen effizient und wirkungsvoll für ihre Produkte werben können. Dadurch entsteht der Effekt, dass die Produkte dieser einflussreichen Unternehmen in der Wahrnehmung der KonsumentInnen präsenter sind und sie nach den beworbenen Produkten verlangen, auch wenn es aus der Sicht des behandelnden Arztes ein besser geeignetes Präparat gäbe.