Medienverantwortung und Rechenschaftspflicht | Foto: svort/Fotolia

How safe is safe enough?

Ein Gespräch über Medienverantwortung und Rechenschaftspflicht mit dem Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin.

 

Matthias Karmasin hat gemeinsam mit Tobias Eberwein und Susanne Fengler ein neues Buch herausgegeben. „The European Handbook of Media Accountability“ ist im Routledge Verlag erschienen und behandelt Medienverantwortung und die Selbstregulierung von Medien in Europa und angrenzenden Ländern. Außerdem haben die ForscherInnen einen Index entwickelt, der auf europäischer Ebene ein Instrumentarium anbietet, um mediale Qualitätssicherung und Selbstregulierung zu fördern und zu fordern.

 

Herr Karmasin, da haben Sie ein hochaktuelles Thema aufgegriffen!

Wir leben in Zeiten einer fragmentarisierten und digitalisierten Öffentlichkeit. Da ist die Frage nach der Qualität von öffentlichen Diskursen und besonders auch der damit einhergehenden Verantwortung sehr relevant.

Was bedeuten Fragmentarisierung und Digitalisierung für die Verantwortung der Medien?

Es entstehen neue Risiken, über die erst einmal ein gesellschaftlicher Konsens erzielt werden muss. Welche Risiken wollen wir in Kauf nehmen? In diesem Kontext haben auch die sozialen Medien Vor- und Nachteile. Amerikanischer Wahlkampf, Brexit, die vermutete Einflussnahme Russlands auf europäische Diskurse – dadurch sind die Risiken zusehends in den Mittelpunkt geraten. Da stellt sich natür- lich die Frage, wie man diese Effekte in den Griff bekommen kann. Oft handelt es sich ja gar nicht um kommunizierende Menschen, sondern um algorithmisch generierte Kommunikation, um Bots.

Wie können Chatbots und Social Bots Verantwortung übernehmen?

Eine abschließende Antwort darauf gibt es nicht. Die Vorschläge reichen von der Konstruktion einer elektronischen Person, die mit Rechten und Pflichten ausgestattet ist, bis hin zur rechtlichen Verantwortung der Plattformbetreiber. Darum ist das Thema so aktuell: Es wird durch die algorithmisch gesteuerte Kommunikation noch herausfordernder und komplexer. Das Thema wird auf der Tagesordnung bleiben.

Welche Lösungsansätze gibt es?

Wir haben Länder und Medienkulturen verglichen. Dabei zeigt sich deutlich: Die eine, einzige und allumfassende Lösung gibt es nicht. In manchen Bereichen kann die Selbstregulierung der Branche oder können Feedbacks durch die Zivilgesellschaft sehr gut funktionieren. In anderen Bereichen braucht es deutliche staatliche Vorgaben im Sinne einer regulierten Selbstregulierung oder Co-Regulierung. Wir plädieren sehr stark für Differenzierung.

In Ihrem neuen Buch stellen Sie auch einen Index vor.

Wir haben das Handbook in Folge eines EU-FP7-Projekts und einer Debatte der Europäischen Kommission erstellt und werden der Kommission unsere Ideen präsentieren. Zurechenbare Verantwortung, ein klares System der Qualitätssicherung, aber auch ein System der Fehlerkorrektur sind für die Qualität der Öffentlichkeit sehr wichtig. Eine weitere Beobachtung ist, dass es gerade im Medienbereich sehr schwer ist, „gute“ nationale Politik zu betreiben, nämlich der Versuchung zu widerstehen, Medienpolitik als Machtpolitik zu missbrauchen. Deshalb ist hier die europäische Politikebene gefordert. Unser Index bietet eine Vergleichsfläche an, um einen wissenschaftlich soliden Maßstab auf der Basis evidenzbasierter Fakten an der Hand zu haben. Damit könnte die Europäische Politik Media Accountability fordern, aber auch fördern.

Was sind die nächsten Schritte?

Wir haben schon am Rande der letzten Konferenz der European Communication Research und Education Association (ECREA) eine eigene Pre-Conference durchgeführt und werden im Rahmen der Buchreihe einen Band dazu veröffentlichen, der auch die europäische Politikebene in den Blick nimmt. Im nächsten Juli organisieren wir in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine große internationale Konferenz, bei der auch über internationale Umsetzungsthemen gesprochen wird.

für ad astra: Annegret Landes