Svínafellsjökull Glacier in Island aus dem Film Chasing Ice | Foto: James Balog

Umwelt fühlen: Wenn Filme und Bücher Emotionen wecken

Ob Literatur oder Film, Fiktion oder Sachbuch – Geschichten können uns in ihren Bann ziehen und ganz unterschiedliche Emotionen hervorrufen. Was mit uns passiert, wenn wir Texte rezipieren, in denen Umweltthemen wie Klimawandel und Naturkatastrophen eine zentrale Rolle spielen, weiß die Amerikanistin Alexa Weik von Mossner.

Wie kommt es, dass wir im Kino oder bei der Romanlektüre ein emotionales Verhältnis zu den Charakteren, aber auch zu deren Umwelt aufbauen? Wie ist es möglich, dass wir solche imaginären Umwelten sensuell erleben können? Und welche Konsequenzen kann dieses imaginäre Erleben auf das Verhältnis zu unserer realen Umwelt haben? Fragen, denen Alexa Weik von Mossner (Institut für Anglistik und Amerikanistik) in ihrem Buch „Affective Ecologies: Empathy, Emotion, and Environmental Narrative“ auf den Grund geht. Die Kulturwissenschaftlerin nutzt  Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften, der Kognitionspsychologie und der Narratologie für die Analyse von umweltorientierter amerikanischer Literatur und Film.

„Mein Fokus liegt darauf, welchen Unterschied es macht, ob in einem Roman in der ersten oder dritten Person erzählt wird, oder ob es sich um Fiktion oder Nicht-Fiktion handelt. Auch die Sprache von Texten wird von mir analysiert, ebenso wie die Bildsprache eines Films“, führt Weik von Mossner aus. Bei den von ihr untersuchten Texten und Filmen nimmt die Umwelt in ihren unterschiedlichen Ausprägungen eine zentrale Rolle ein. „Neben der Amerikanistik ist meine Forschungsarbeit in den Environmental Humanities angesiedelt und daher interessiert mich, wie Umwelt-Geschichten Sorge und Mitgefühl für andere Lebewesen beim Publikum hervorrufen und die Einstellung zu Umweltaspekten beeinflussen können. Neben vielen Gemeinsamkeiten gibt es dabei wichtige Unterschiede zwischen Texten und einem audiovisuellen Medium wie dem Film. Darüber hinaus spielt es für unser emotionales Erleben eine Rolle, ob wir annehmen, dass eine Erzählsituation ‚nur gespielt‘ ist, wie z. B. in einem Spielfilm, oder ob wir davon überzeugt sind, dass uns die tatsächlichen Zustände präsentiert werden, wie in einer Dokumentation.“

Um durch ihre Geschichten Emotionen zu wecken und in weiterer Folge ein Umdenken zu erreichen, arbeiten AutorInnen mit strategischer Empathie: sie versuchen durch Erzählstrategien gezielt Mitgefühl für bestimmte Protagonisten zu wecken. Das können Angehörige von benachteiligten Minderheiten sein, wie z. B. in Percival Everetts Roman Watershed, in dem ein anfänglich apolitischer afroamerikanischer Hydrologe am Ende sein Leben riskiert, um eine Gruppe von Sioux-Indianern in ihrem Kampf gegen lebensbedrohliche Wasserverschmutzung zu unterstützen. In anderen Umwelt-Erzählungen sind Tiere die Protagonisten, für die über Speziengrenzen hinweg Mitgefühl erzeugt werden soll. Diese Technik funktioniert besonders gut in Filmen, wie Weik von Mossner in ihrem Buch untersucht hat. Das Abschlachten von Delfinen im Doku-Thriller The Cove oder die Bedrohung der Berggorillas durch ruandische Wilderer in Gorillas in the Mist sind nur zwei Beispiele dafür.

Bücher und Filme stellen Mensch-Umwelt-Interaktionen unterschiedlich dar, haben sie doch verschiedene Werkzeuge zur Verfügung. LeserInnen haben bei Texten zwar keine Bilder vor Augen, so Weik von Mossner, dafür aber Worte und Sätze, die Aktionen, Gefühle oder Sinneswahrnehmungen beschreiben und dabei dieselben Regionen im Gehirn anregen und lebhafte imaginäre Bilder evozieren. „Trotzdem hat es das audiovisuelle Medium Film oft leichter, noch weitere Sinne anzuregen. Wir sehen beispielsweise, dass es im Film regnet, und fühlen zugleich, wie der Regen sich anfühlt oder wie er riecht. Der Neurowissenschaftler Vittorio Gallese nennt das die Multimodalität visueller Wahrnehmung.“

Film hat auch einen weiteren Vorteil gegenüber literarischen Texten: Es gibt wesentlich mehr Rezeptionsforschung, inzwischen auch zu Umweltthemen, auf die sich Weik von Mossner in ihrer Forschungsarbeit stützen kann. So zeigt eine Studie von Rachel Howell zum Dokumentarfilm The Age of Stupid, welchen Einfluss der Film auf ZuseherInnen und deren Einstellung zum Klimawandel hatte. Entgegen der weitverbreiteten Meinung, dass negative Szenarien in Klimawandelfilmen nicht viel bewirken, konnte die Studie zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Die hervorgerufenen negativen Emotionen lösten große Besorgnis beim Publikum aus und ein Bedürfnis, Dinge zu ändern. Jedoch zeigte eine spätere Studie der gleichen Autorin, dass der durch den Film angeregte Tatendrang und das Bedürfnis nach Veränderung mit der Zeit wieder abflauen.

Ähnliche Ergebnisse hat Weik von Mossner auch bei ihrer eigenen empirischen Studie zum Dokumentarfilm Chasing Ice bekommen, die sie gemeinsam mit Brigitte Hipfl (Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft) an der AAU und im Kulturzentrum Gasteig in München durchführte. Der Film begleitet den Fotografen James Balog auf seiner Reise in die Arktis, wo er den Rückgang der Gletscher dokumentieren möchte. „Wie erwartet, haben die spektakulären Zeitrafferaufnahmen am Ende des Films viele Zuschauer tief getroffen. Die Story rund um den Fotografen, dem es trotz widriger Umstände gelingt, seine Aufnahmen zu machen, löste beim Publikum unterschiedliche Reaktionen aus. Die einen fühlten mit ihm und freuten sich über seinen persönlichen Erfolg, die anderen empfanden die personal-interest-Geschichte überflüssig. Insgesamt scheint es dem Film aber zu gelingen, Zuschauern das Ausmaß des Eisverlusts in der Arktis bewusst zu machen. Ob das langfristig zu Änderungen im persönlichen Verhalten führt, ist eine andere Frage.“

Die größte Gefahr bei dystopischen Erzählungen, die primär negative Emotionen evozieren, ist ein begleitendes Gefühl der Machtlosigkeit. „Wut und Angst haben eine starke Handlungsdimension“, erläutert Weik von Mossner, „aber wenn man dann scheinbar nichts verändern kann, können sie leicht in Apathie umschlagen.“ Deshalb plädieren ForscherInnen dafür, beim Hervorrufen von negativen Gefühlen zeitnah Handlungsoptionen zu geben.

Eine weitere Option, die Weik von Mossner ebenfalls in ihrem Buch untersucht, ist die Evokation von positiven Emotionen wie Sehnsucht und Hoffnung in utopisch ausgerichteten Umwelt-Erzählungen. Dass solche Narrative große Faszination ausüben können, beweist unter anderem der weltweite Erfolg von James Camerons Blockbuster Avatar. „Cameron hat angekündigt, dass die vier geplanten Sequels der Avatar-Reihe noch expliziter auf die Risiken eingehen werden, die sich aus einem fahrlässigen Umgang mit der Natur ergeben. Ob dies zu einem globalen Umdenken beitragen kann, bleibt abzuwarten.“

für ad astra: Katharina Tischler-Banfield

Zur Person

Alexa Weik von Mossner forscht und lehrt am Institut für Anglistik und Amerikanistik. Ihr Forschungsinteresse gilt u. a. der amerikanischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, Film und visueller Kultur, Ecocriticism und den Environmental Humanities. Ihr Buch „Affective Ecologies: Empathy, Emotion, and Environmental Narrative” ist im Mai 2017 erschienen.

Alexa Weik von Mossner | Foto: aau/Tischler-Banfield