Wise Home | Foto: Mopic/Fotolia.com

Wohnen in einer weisen Umgebung

Der Kühlschrank, der selbst erkennt, wenn die Milch ausgeht, und entsprechend nachbestellt, steht für eine Vision von Smart Homes. Er zeigt aber auch deren Grenzen auf: Wenn ich gerade krank bin und keinen Kaffee trinken möchte, wird die Milch-Bestellung trotzdem aufgegeben. Gerhard Leitner hat sich damit beschäftigt, wie wir von „Smart Homes“ zu „Wise Homes“ kommen können, die die Individualität des Einzelnen und seiner jeweils aktuellen Situation berücksichtigen können.

Lichtsteuerung, die tageslichtabhängig funktioniert. Eine Heizung, die weiß, ob sich die Bewohnerin vom Schlafzimmer ins Badezimmer begeben wird und schon mal vorheizt. Automatische Türen in Unternehmen, die nach Feierabend schließen. Was für den privaten und öffentlichen Bereich gut klingt, birgt oft zahlreiche Einschränkungen in sich: Was, wenn man gerade verkühlt ist und es gerne noch wärmer hätte. Oder wenn man sich für einen Termin früher als sonst vorbereiten muss und daher außerhalb der definierten Türöffnungszeiten in das Bürogebäude möchte. Der Psychologe Gerhard Leitner, der am Institut für Informatik-Systeme der AAU forscht und lehrt, meint dazu: „Intelligenz auf der technischen Ebene ist vielerorts vorhanden. Das heißt aber nicht, dass die Technik auch zu dem passt, was wir als Menschen haben wollen.“ Leitner bemüht sich um die Konzeption eines „Wise Homes“, wobei es ihm darum geht, Weisheit in der Kommunikation und Interaktion zwischen Mensch und Technik zu erreichen.

„Der Begriff der Weisheit referiert häufig auf Erfahrung. Weise Menschen haben viel erlebt und diese Erlebnisse gut verarbeitet“, so die Weisheitsforscherin und Psychologin Judith Glück. Sie sieht hier auch einen Brückenschlag zu technischen Systemen, die einerseits eine breite Wissensbasis haben müssen, aber zugleich auch in der Lage sein sollen, durch Erfahrungen weiterzulernen. Die Crux am Lernen von technischen Systemen ist aber: Es müssen dafür Daten gesammelt werden. Ein Aspekt, der viele kritische Nutzerinnen und Nutzer alarmiert und den Ruf nach verlässlichen Datensicherheitsmaßnahmen laut werden lässt, wie Leitner anmerkt.

Gerhard Leitners Ziel ist ein System für die breite Masse, das diese Bedenken ernst nimmt und für alle verwendbar und leistbar ist. „Smartness muss dabei individualisierbar sein. Besonders im Bereich des Ambient Assisted Living, das technische Unterstützungssysteme für ältere Menschen anbietet, ist dies wichtig. Es gibt auch bei dieser Zielgruppe technikaffine und technophobe Menschen. Es soll also eine Basis geben, und der oder die Einzelne soll die Möglichkeit haben, Komponenten den eigenen Bedürfnissen entsprechend dazukaufen zu können und sich nicht darüber Gedanken machen zu müssen, ob diese auch passen.“ Dazu brauche es aber Standards, damit die verschiedenen Einheiten miteinander funktionieren, wie dies z. B. bei Sockeln für Leuchtmittel der Fall ist, in die LED, Energiesparlampen oder konventionelle Glühbirnen passen.

An der Umsetzung eines vollausgestatteten „Wise Homes“ arbeitet Leitner auch in seinen eigenen vier Wänden. In seinem Einfamilienhaus hat er 70 bis 80 Einzelkomponenten verbaut. Das System hat einen softwaretechnischen Überbau und sammelt Daten zu den Lebensgewohnheiten der Familie Leitner. Noch kein System für die breite Masse, denn „dahinter steht ein großer Installationsaufwand. Da ist es nicht nur mit einem Laptop für die Programmierung getan, sondern es kommt auch der Bohrhammer zum Einsatz.“ Um sich für Ausfälle, die immer wieder vorkommen, zu wappnen, muss die konventionelle Steuerung weiter funktionieren, auch wenn smarte Komponenten ihren Dienst versagen. Dies ist auch Teil des Konzepts eines „Wise Homes“, und Ansätze in diese Richtung gibt es bereits, wie auch Christoph Herzog, Produktmanager der Kelag für Smart Home Austria, bekräftigt. Im Fall der Familie Leitner waren Frau und Kinder bereit zur Kooperation. Der Technik- und Wissenschaftsforscher Daniel Barben gibt jedoch für den kommerziellen Bereich, also beispielsweise für Bürogebäude, zu bedenken, dass es auch die Widerständigkeit der Nutzerinnen und Nutzer zu berücksichtigen gilt. Will man beispielsweise über bestimmte Maßnahmen eine Verringerung des Energieverbrauchs erreichen, müsse man die individuellen Bedürfnisse berücksichtigen, denn „die Leute sind schlau genug, die Sensoren auszutricksen, wenn das System nicht für sie passt“.

Ein Tätigkeitsfeld mit vielen Ambivalenzen ist das bereits erwähnte „Ambient Assisted Living“, das sich an ältere Personen richtet. Leitner hat in seinem Projekt „Casa Vecchia“ in mehr als 20 Haushalten älterer Menschen vorwiegend in den ländlichen Regionen Kärntens „smarte“ Komponenten eingebaut, deren Alltagstauglichkeit evaluiert und sie weiterentwickelt. „Damit wollten wir dem klassischen Problem am Land begegnen, dass die Kinder und Enkelkinder vieler Seniorinnen und Senioren in Ballungszentren ziehen und sie daher mit Unsicherheit konfrontiert sind, ob zuhause alles in Ordnung ist.“ Das System sieht vor, dass Aktivitäten wie beispielsweise Kochen oder Fernsehen registriert werden. Dies geschieht lediglich auf Basis des Stromflusses, das heißt, ob und wann ein Gerät eingeschaltet ist oder nicht. Was gekocht bzw. was im Fernsehen angeschaut wird, wird nicht aufgezeichnet. Somit sind Privatsphäre und Eigenständigkeit gewahrt. Solange die Bewohnerin in diesem Sinne aktiv ist, wissen die Verwandten, dass alles in Ordnung ist. Bei Abweichungen wird mittels einer Ampelfarben-Systematik am Handy informiert.

Eva Maria Wernig, Fachbereichsleiterin für mobile Betreuung & Pflege der Caritas Kärnten, hält ein solches System für unterstützenswert, weil „es die Autonomie des zu betreuenden Menschen lange erhält“. Auf den Einsatz von mehr Technik in der Pflege blickt sie aber skeptisch: „Was uns fehlt, sind menschliche Betreuerinnen und Betreuer, die Zeit, die Fürsorge, Zuspruch, ein Wort, ein In-die-Augen-Schauen.“ Das System „Casa Vecchia“, das explizit nicht für pflegebedürftige Menschen geeignet ist, unterstützt auch insofern, als relativ isoliert am Land lebende Menschen mehr Kontakt mit ihren Kindern und Enkelkindern in der Ferne brauchen: So wurden Kommunikationstechnologien wie beispielsweise die Videotelefonie über das Internet für die Bedürfnisse von älteren Menschen maßgeschneidert. Wenn der häufige persönliche Kontakt durch die räumliche Distanz schwierig ist, so bieten sich hier dennoch Möglichkeiten zur Kommunikation.

Es gibt noch viele Fragezeichen auf der Reise hin zu einem „Wise Home“. Daniel Barben betont, dass Technik immer gestaltbar ist. Sie kommt niemals alternativlos auf uns zu. Für ihn gilt es zu fragen: „Was bedeuten die technischen Systeme für die Nutzerinnen und Nutzer? Welche Akteure sind in ihre Entwicklung noch involviert? Wie verschiebt die Technik Kompetenzen, Machtverhältnisse, Kontrollmöglichkeiten, Risiken, Verletzlichkeiten? Welche Chancen ergeben sich beispielsweise für den Energieverbrauch oder auch die Lebensgestaltung?“ Das Gemeinwesen müsse sich, so Barben, regulatorisch mit solchen Fragen auseinandersetzen. Gleichzeitig geht es, wie Judith Glück hervorhebt, letztlich um ein „gutes Leben“ (ebenfalls ein zentrales Konzept des „Wise Home“) und die Frage: „Wie viel Technik brauchen wir für ein gutes Leben? Und wie kann Technik den Einzelnen oder die Einzelne dabei unterstützen, ein gutes Leben zu führen?“

für ad astra: Romy Müller

Zum Buch

Leitner, G. (2015). The Future Home is Wise, Not Smart. A Human-Centric Perspective on Next Generation Domestic Technologies. Berlin, Heidelberg: Springer.

Das Buch wurde in der Veranstaltungsreihe Wissen schafft Bücher vorgestellt. Davon stammen die hier zitierten Diskussionsbeiträge.

Buchcover Gerhard Leitner: The Future Home is Wise, Not Smart