Ihtesham Haider & Bernhard Rinner | Foto: Matthias Weyrer mit der TrustEYE-Kamera

„Wir sind von Kameras umgeben, ob wir wollen oder nicht.“

Bernhard Rinner plädiert für mehr Bewusstsein für Sicherheit und Privatheit im Umgang mit Kamera- und Sensornetzwerken. In zahlreichen Projekten, unter anderem gemeinsam mit dem Doktoranden Ihtesham Haider, arbeitet sein Team an neuen Technologien.

Wo finden intelligente Kameras Anwendung?
Rinner: Wenn wir über Kameranetze sprechen, kommen uns meist Überwachungsszenarien in den Sinn, wie sie auf Flughäfen, Bahnhöfen oder in Hochsicherheitsanlagen genutzt werden. In diesen Bereichen gibt es schon sehr lange Kameranetze. Sie sind typischerweise recht teuer in der Installation und im Betrieb. Neu sind Anwendungen, die kostengünstiger und in kleinerem Rahmen zum Einsatz kommen, wie im Haushalt. Beispielsweise versucht man, mithilfe von Kameras oder anderen Sensoren älteren Personen zu ermöglichen, lange zuhause zu leben.

Wo bleibt die Privatsphäre?
Rinner:
Wir haben einerseits Sicherheits- Anforderungen, andererseits ist aber auch der Schutz der Privatsphäre sehr wichtig. Dabei soll das Kameranetz gleichzeitig kostengünstig realisiert werden; Schutz-Technologien benötigen jedoch Rechenkapazität und steigern die Systemkosten.

Worin liegt der Unterschied zwischen Datensicherheit und Privatheit?
Rinner:
Bei der Datensicherheit geht es um die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der Daten: Wie kann ich die Daten so verschlüsseln, dass nur autorisierte Personen den Inhalt zu sehen bekommen? Wie kann ich die Daten vor beabsichtigten oder unbeabsichtigten Veränderungen schützen? Und: Wie kann der ständige Zugriff auf die Daten sichergestellt werden? Bei der Privatheit geht es darum, die Identität zu schützen. Die Daten werden dabei anonymisiert, d. h. Information reduziert, damit daraus einzelne Personen nicht mehr identifiziert werden können.

Sie haben sich zuletzt in zwei Projekten, ProSecCo und TrustEYE, mit Aspekten von Sicherheit und Privatheit von Kameras beschäftigt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Rinner:
In TrustEYE haben wir eine vertrauenswürdige Kameraplattform, ähnlich einem geschützten Auge, entwickelt. Unsere Plattform schützt alle aufgenommenen Bilder und verhindert unerlaubten Zugriff darauf. In ProSecCo haben wir untersucht, wie wir diese Funktionalität möglichst ressourceneffizient umsetzen können.

Warum ist Ressourceneffizienz wichtig?
Haider: Wir haben es mit sehr kleinen Kameras zu tun, die meist wenig Rechenkapazität haben. Deshalb ist es sehr wichtig, effiziente Schutzverfahren zu entwickeln.

Was haben Sie entwickelt?
Haider: Wir nutzen die inhärenten Herstellungsvariationen von integrierten Schaltkreisen aus: Durch sehr kleine Veränderungen in der Halbleiterproduktion gleicht kein Schaltkreis exakt einem anderen. Diese Unterschiede stellen einen eindeutigen Fingerabdruck des Schaltkreises dar, den wir zur Authentifizierung oder Verschlüsselung nutzen. Da der Fingerabdruck auf physikalischen Eigenschaften des Chips basiert, kann er auch nicht auf andere Chips kopiert werden.

Inwiefern ist dieser Aspekt neu?
Haider: An diesen so genannten Physical Unclonable Functions, den physikalisch nicht vervielfältigbaren Funktionen, wird schon seit etwa zehn Jahren geforscht. Neu an unserer Arbeit ist, dass wir diese Funktion für Kameras nutzen wollen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Der Fingerabdruck ist schon im Chip innewohnend; das heißt, wir brauchen keine zusätzlichen Komponenten, um eine starke (hardware-unterstützte) Datensicherheit realisieren zu können. Die Anwendung steckt noch in den Kinderschuhen, hier sind noch viele Schritte zu tun.

Eine solche Technologie unterstützt bei der Sicherheit von Kameranetzen. Was kann die Wissenschaft zum Schutz der Privatheit beitragen?
Rinner: Wir bemühen uns darum, dass die Personen auf den Bildern nicht erkennbar sind. Wir verändern das Bild so, dass nach wie vor zu sehen ist, was passiert, aber nicht, wer das tut. Dabei setzt man auf Modifizierung des Bildinhaltes, beispielsweise durch automatisches Verpixeln. Diese Bilder sind aber oft nicht schön anzusehen. Deshalb arbeiten wir an anderen Methoden, wie dem Cartooning.

Wenn nun ein älterer Mensch mittels Kameras beobachtet wird und so Auffälligkeiten gegenüber den Verwandten kommuniziert werden, wie kann man sicherstellen, dass trotzdem genug vom Geschehen erkennbar bleibt?
Rinner: Privatheit ist subjektiv. Was für den einen ein massiver Eingriff ist, ist für den anderen kein Problem. Der Beobachtete muss auch wissen, was mit den aufgenommenen Daten passiert. Wir müssen uns eingestehen, dass es keine perfekte Lösung gibt, sondern dass immer ein Kompromiss unterschiedlicher Anforderungen nötig ist. Die „beste“ Lösung zum Schutz der Privatsphäre wäre ein schwarzes Bild, das aber keinen Nutzen hätte. Wir bemühen uns also um adaptive Verfahren wie das Cartooning, wo wir die Stärke der Veränderung modifizieren können.

Wenn Sie alt sind, möchten Sie solche Kamerasysteme in Ihren Wohnräumen haben?
Haider: (lacht) Nur jene, die wir selbst entwickelt haben.

Wie intelligent sind Kameras heute? Kann eine Kamera beispielsweise auf einem Flughafengelände das auffällige Verhalten eines Einzelnen erkennen?
Rinner: Um auffälliges Verhalten zu erkennen, muss die Technologie wissen, was normales Verhalten ist. Typischerweise werden Bewegungs- und Verhaltensmuster über die Zeit analysiert. Damit versucht man, Normalität zu beschreiben. Gibt es dann signifikante Änderungen zu dem, was die Kamera gelernt hat, wird Alarm gegeben.

Wer hat konkret gelernt?
Rinner: Ob die einzelne Kamera oder ein System: Es lernt ein Algorithmus und nicht die beobachtende Person. Aktuell wird sehr intensiv daran geforscht, Bilder und Videos mit Hilfe von Lernalgorithmen zu „verstehen“. Damit kann auch auffälliges Verhalten erkannt werden.

Wie soll dies die Kamera tun, ohne den Einzelnen zu erkennen?
Rinner: Wir müssen hier sicherstellen, dass alles, was die Kamera verlässt, bereits geschützt ist. Die Verschlüsselung darf nicht erst in der Cloud passieren, da sich sonst Sicherheitslücken ergeben. Anhand dieses Beispiels darf ich also niemanden erkennen, außer den, den man aufgrund von Auffälligkeiten vielleicht verfolgen möchte.

Gibt es Zukunftsvisionen, vor denen Sie sich fürchten?
Rinner: Wir sind von Kameras umgeben, ob wir wollen oder nicht. Derzeit sind viele Kameras im Einsatz, ohne dass sich jemand um Privatheit oder Sicherheit bemüht. Denken wir nur an die Selfie-Drohnen. Mir ist es wichtig, Aufmerksamkeit darauf zu lenken und Sicherheits- und Privatheitsaspekte, aber auch den Bedarf an rechtlichen Reglements anzusprechen. Es gibt bereits gute Technologien, die Kameras sicherer zu machen.

für ad astra: Romy Müller

Zu den Personen

Bernhard Rinner ist Professor für Pervasive Computing am Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme (NES).

Ihtesham Haider ist seit 2014 am NES tätig. Er verfasst seine Dissertation zu Physical Unclonable Functions.

TrustEYE wurde vom Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds finanziert. ProSecCo wird von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG finanziell unterstützt.