„Wir arbeiten in einem Kunstwerk“

Der knapp 120 m2 große Kunstraum Lakeside liegt zu ebener Erde an der Zentralachse des Klagenfurter Lakeside Science & Technology Parks und ist immer einsehbar. Darin wird seit 2005 Gegenwartskunst abseits von Markt und Mainstream gemacht, gezeigt und reflektiert. Die Kunsthistorikerin Nora Leitgeb managt ihn seit 2011, der Kurator Franz Thalmair verantwortet seit Jahresbeginn das Gesamtprogramm. Im Gespräch mit ad astra erzählen sie von der speziellen Qualität des Ortes und vom Generieren von Kunst und Publikum.

61 Unternehmen, 3 Forschungseinrichtungen, 5 Kinderbetreuungseinrichtungen, 2 gastronomische Betriebe, ein Veranstaltungszentrum und das educational lab sind im Lakeside Science & Technology Park versammelt. Das kleine Silicon Valley ganz nah am Wörthersee mit den Schwerpunkten IKT-Forschung und Entwicklung, Bildung und Gründung bietet derzeit über 1.200 Menschen Arbeits- und Lebensraum. Was an prominenter Stelle vom ersten Tag an auch dabei ist? Der „Kunstraum Lakeside“, ein an die Forschung gekoppeltes Laboratorium für Gegenwartskunst, das im deutschen Sprachraum kein vergleichbares Pendant hat.

Die Einrichtung geht auf Erhard Juritsch, Hans Schönegger und Maria Mack zurück, die einen Teil der Mittel für Kunst am Bau in die Einrichtung des Kunstraums und das laufende Programm investiert haben, „damit der entgrenzten Wirtschaft und Hochtechnisierung ein Raum gegenübergestellt wird, in dem Reflexion ausdrücklich gewünscht und gefördert wird.“ Diese nachhaltige Idee ist aufgegangen: Der Kunstraum wurde zwischenzeitlich mit fünf Preisen ausgezeichnet.

Frau Leitgeb, Sie erlebten mit Jahresbeginn den zweiten Kuratorenwechsel. Die ersten zehn Jahre bestimmten Hedwig Saxenhuber und Christian Krawagna das Programm, danach kam Hemma Schmutz. Was wurde bislang geboten?

Nora Leitgeb: Saxenhuber und Krawagna gestalteten mit Bezug auf die unmittelbar nebenan befindliche Universität Klagenfurt ein sehr diskursives Semesterprogramm mit starken thematischen Klammern zu Ökonomie, Arbeit, Mobilität etc. Hemma Schmutz stellte auf Jahresprogramme um, hinterfragte die Rolle eines Kunstraumes am Rande der Stadt und als Teil eines technologischen Großlabors und öffnete den Raum für ein neues Publikum. Wir gingen mit Kooperationsprojekten auch in Kärntner Orte und zur Parallel Vienna. Das hat gut geklappt. Sie ist 2017 wegen der Direktionsübernahme der Museen LENTOS und NORDICO nach Linz gegangen.

Mit Franz Thalmair verschiebt sich die Schwerpunktsetzung erneut. Der gebürtige Oberösterreicher arbeitet als Autor, Herausgeber und Kurator in Wien und lehrt an der Angewandten. Herr Thalmair, kennt man den Kunstraum in Wien überhaupt? Und warum haben Sie sich dafür beworben?

Franz Thalmair: In Wien kennen ihn viele. Der Kunstraum Lakeside hat einen sehr guten Namen, nur hierher kommen – bis jetzt – nur wenige. Was mich für die Bewerbung sehr gereizt hat, ist die unmittelbare Nachbarschaft zur Universität. Einen solchen Spannungsbogen, räumlich wie inhaltlich, gibt es in Österreich nur hier. Ich wurde auch zur Lehre im neuen Masterstudium Visuelle Kultur an der AAU eingeladen, wo ich mit den Studierenden anhand des Modells „Kunstraum Lakeside“ erarbeiten möchte, wie ihr Studium in einem Arbeitskontext aussehen könnte.

Welches Konzept setzen Sie in den ersten drei Jahren um?

Thalmair: Eine Mischform. Wir machen nun ein an Semester angepasstes Jahresprogramm mit kurzer Sommerpause. Es gibt jeweils vier Ausstellungen und vier Statements. Die inhaltliche Ausrichtung orientiert sich ganz am Ort. Da hier die drei Felder Forschung & Entwicklung, Universität und Kunst zusammenkommen, finde ich es fast zwingend, sich auch mit künstlerischer Forschung auseinanderzusetzen. Unter dieser thematischen Klammer werden Begriffe wie Recherche, Prozess und Netzwerk verhandelt. Den meisten KünstlerInnen geht es stärker um den Prozess und weniger um das Endprodukt – um Methode, Strategie, Erfahrung und Erprobung.

An wen richtet sich das neue Ausstellungsformat Statements, das Sie beide gemeinsam kuratieren?

Leitgeb: Für dieses performative und diskursive Format werden auch ausdrücklich Kunstschaffende vor Ort zur Beteiligung aufgerufen. 73 Einreichungen brachte die erste Ausschreibung, die immer im Jänner passiert. Die Jury ist neben uns mit zwei weiteren KollegInnen aus Kärnten besetzt, eine/r davon ein Künstler bzw. eine Künstlerin. 2018 waren das Eric Kressnig und Christine Wetzlinger-Grundnig, 2019 werden es Markus Waitschacher und Inge Vavra sein.

Die allererste Ausstellung 2005 war der Kunstraum und seine Einrichtung selbst. Sie stammt vom Oberkärntner Künstler Josef Dabernig. Spielt der Raum eine Rolle?

Thalmair: Ja, eine gewichtige. Wir arbeiten in einem Kunstwerk! Deshalb haben wir den Raum wieder in den Ursprungszustand zurückgeführt. Es gibt keine Fensterbeschriftung mehr und keine Vorhänge wie bisher. Der Blick hinein soll durch nichts verstellt werden – außer durch Kunst. Die vordere Glaswand ist gleichzeitig Kunstdisplay und wurde bei den beiden ersten Ausstellungen bereits als solches verwendet.

Leitgeb: Mit seiner mobilen Ausstattung kommt der Raum den verschiedenen Ansprüchen der Ausstellungen entgegen. Dabernig hat ihn als diskursiven Prozessund Produktionsraum geplant und keinen White Cube geschaffen. Hier werden ja auch Positionen gezeigt, die am Markt nicht oder noch nicht verankert sind.

Thalmair: Oder auch gar nicht verankerbar sind. Das ist in einem Raum wie dem Kunstraum Lakeside, der auf Reflexion angelegt ist, auch gar nicht notwendig.

Um dem künstlerischen Geschehen Nachhaltigkeit zu geben, sind zu den bisherigen Ausstellungen gedruckte Hefte und Flyer produziert worden. Was wird von den Ausstellungen der aktuellen Programmperiode bleiben?

Thalmair: Es entsteht für jede Saison ein Buch, das von KünstlerInnen mitgestaltet und von einer Person aus der Kulturtheorie inhaltlich begleitet wird. Aktuell stehen wir von Karin Harrasser, Kulturwissenschaftlerin an der Kunstuniversität Linz, unter „kritischer Beobachtung“. Damit wird der hier betriebenen künstlerischen Forschung eine weitere reflexive Schleife nachgespannt.

Wie halten es andere Technologieparks mit temporärer Kunstpräsentation und wie wichtig sind Gäste?

Leitgeb: Andere Technologieparks im deutschsprachigen Raum führen eine herkömmliche Kunstgalerie oder sie zeigen Werke von den Menschen, die im Park beschäftigt sind. In unserem Kunstraum wird Kunst hergestellt, wobei der Kunstmarkt außen vor bleibt. Glücklicherweise gibt es keinen Quotendruck. Das Budget ist nicht vorrangig von Zahlen abhängig. Wir haben ein sehr interessiertes Stammpublikum, und mit dem neuen Programm kommen wieder neue Gäste dazu.

Kunst ist bekanntermaßen nicht jedermanns Sache. Was sind hier die Hemmschwellen?

Leitgeb: Das hängt mit dem Umfeld zusammen. Im Lendhafen etwa, wo ich auch kuratorisch tätig bin, kommt das Publikum fast von selbst. Kunst kann im Kontext mit Konzerten und einem Café im öffentlichen Raum erfahren werden. Hier sind die Bedingungen anders. Das Publikum kommt von der Universität, von außerhalb des Parks und einige kommen von hier. Obwohl der Kunstraum von den hier beschäftigen Menschen begrüßt wird, scheint das Betreten wie bei anderen Kunstinstitutionen auch eine Hemmschwelle zu sein. Viele sind es einfach nicht gewohnt, einen Kunstort zu besuchen. Einmal wurde sogar vermutet, hier würden teure Kunstobjekte verkauft.

Der Kunstraum erhielt bereits vier Maecenas-Preise und 2011 den Bank Austria Kunstpreis in der Kategorie Kunstvermittlung. Das sind schöne Auszeichnungen für die bisherige Arbeit. Was dürfen sich potenzielle BesucherInnen erwarten?

Leitgeb: Der Kunstraum ist weder Kunstgalerie noch Elitekunsttempel. Das Programm ist abwechslungsreich und anregend. Ein Besuch kann ein nutzbringendes Reflexionsmoment sein und bereichernd wirken. Und auf Wunsch gibt es aktive Vermittlung.

Thalmair: Man braucht sich nur darauf einlassen. Der Eintritt ist frei!

PROGRAMM

für ad astra: Barbara Maier

Zur Person

Nora Leitgeb, geboren 1977 in Klagenfurt, studierte Kunstgeschichte und Kulturmanagement an der Karl-Franzens-Universität Graz und arbeitet seit als 1999 Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin im Bereich der zeitgenössischen Kunst in Graz und Klagenfurt, seit 2011 als Koordinatorin,  Kunstvermittlerin und (seit 2018) kuratorische Assistenz im Kunstraum Lakeside. Zudem ist sie im Vorstand der Lendhauer – Verein zur Belebung des Lendkanals, und externe Lehrbeauftragte an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Zur Person

Franz Thalmair, geboren 1976 in Wels und nun in Wien lebend, studierte Romanistik (Linguistik) in Salzburg, Paris und Barcelona und ist seit 2018 künstlerischer Leiter des Kunstraums Lakeside. Er ist außerdem Co-Leiter des FWF-Forschungsprojekts „originalcopy – Postdigitale Strategien der  Aneignung“ und Lehrbeauftragter für TransArts – Transdisziplinäre Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Davor war er u. a. Geschäftsführer und Kurator der Secession Wien, Kulturressortleiter bei derStandard.at und betreut(e) zahlreiche kuratorische und  editorische Projekte für Kunsträume und Institutionen in mehreren Ländern Europas.